9. Januar 2023
Von Nicola Staub und Max Königseder
Gerichte in den USA und England liessen kürzlich die Zustellung einer Zivilklage über einen Non-Fungible-Token (NFT) zu. Mit dieser wurden Ansprüche gegen einen anonymen Wallet-Inhaber geltend gemacht, der gestohlene Crypto-Assets in seinem «digitalen Portemonnaie» hatte. Ist diese Form der Zustellung auch in der Schweiz möglich?
In den Medien wurde in den letzten Jahren vermehrt von grösseren Krypto-Diebstählen beziehungsweise Krypto-Betrügereien berichtet. Die Geschädigten verloren hierbei zum Teil digitale Vermögenswerte in Millionenhöhe. Obwohl einer der Vorteile der Blockchain die lückenlose Nachvollziehbarkeit von Transaktionsketten ist, gestaltet sich die Ausforschung der verlorenen Vermögenswerte häufig als kompliziert. Gelingt es den Ermittlern, die sogenannten Tokens, also die auf der Blockchain abgebildeten Vermögenswerte, zurückzuverfolgen, befinden sich die gestohlenen Krypto-Assets regelmässig in anonymen digitalen Brieftaschen. Bei diesen sogenannten Wallets ist lediglich deren digitale Adresse, aber nicht deren Inhaber bekannt, was die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen nahezu verunmöglicht.
Gerichte in den USA und England liessen kürzlich die Zustellung einer Zivilklage über einen Non-Fungible-Token (NFT), also über eine auf der Blockchain gespeicherten, einzigartigen Dateneinheit, zu. Der NFT, welcher einen Link zur Klage und weiteren relevanten Dokumenten beinhaltete, wurde von den Anwälten in dem identifizierten Wallet mittels einem als «Airdrop» bezeichneten Verfahren «abgelegt». Dabei war der Link zu den zugestellten Dokumenten so ausgestaltet, dass dieser jedes Mal dokumentierte, sobald er angeklickt wurde.
Nachdem diese innovative Form der Zustellung bereits in den USA und England zugelassen wurde, stellt sich die Frage, ob eine Zustellung über NFT auch in der Schweiz zulässig ist.
Grundsätzlich erfolgt die Zustellung von Vorladungen in der Schweiz durch ein Gericht. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu den sogenannten «Common Law»-Staaten, wie zum Beispiel den USA und England, dar, in denen den Richtern nicht die Funktion als unabhängige Organe der Rechtspflege zugesprochen wird und bei welchen die Zustellung durch die Parteien erfolgt. Der Regelfall in der Schweiz ist eine Zustellung per eingeschriebenem Brief. Das Gericht kann auch eine andere Zustellungsform wählen, wenn zum Beispiel der Weg über die Post nicht möglich oder untunlich ist. In den beschriebenen Fällen, in denen lediglich eine Wallet-Adresse des Empfängers bekannt ist, sind die genannten Formen der qualifizierten Zustellung, die durch Übergabe der gerichtlichen Sendung gegen Empfangsbestätigung erfolgt, unzureichend.
Die Schweizer Zivilprozessordnung sieht die Möglichkeit einer elektronischen Zustellung vor, jedoch ist diese nur mit Zustimmung der betroffenen Person zulässig. Die elektronisch zugestellten Dokumente sind mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen und werden über eine anerkannte Zustellplattform übermittelt. Dadurch soll die Vertraulichkeit und Integrität der zu übermittelnden Dokumente gewahrt und die Nachvollziehbarkeit des tatsächlichen Zugangs und des Zustellungszeitpunkts gewährleistet werden. Diesen Anforderungen könnte auch durch eine NFT-Zustellung nachgekommen werden. Nichtsdestotrotz würde eine rechtskonforme Zustellung via NFT-Airdrop in der Schweiz bereits an der fehlenden Einwilligung des Empfängers scheitern.
Folglich ist eine formgültige qualifizierte Zustellung via NFT in der Schweiz nicht möglich. Jedoch können auch formungültige Zustellungen rechtliche Wirkung entfalten, sofern der Empfänger nachweislich Kenntnis von der Zustellung erhält und ihm aus der mangelhaften Zustellung keine Rechtsnachteile entstehen. Der Adressat kann sich somit nur auf einen Zustellungsfehler berufen, wenn er von der gerichtlichen Sendung keine rechtzeitige Kenntnis erlangt hat.
Der Airdrop des NFTs auf das Wallet des Adressaten wird noch nicht ausreichen, um nachzuweisen, dass der Adressat Kenntnis von der Zustellung erhalten hat. Hierfür wird der Nachweis erforderlich sein, dass er auf den Link zu den übermittelten Dokumenten, also zum Beispiel einer Vorladung, geklickt hat. Dieser Nachweis kann mittels eines sogenannten Link-Tracking-Tools erbracht werden. Dieses Tool kann beliebig ausgestaltet werden und erlaubt es zum Beispiel nachzuvollziehen, ob der Link geöffnet und die hinterlegten Dokumente angesehen wurden.
In dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich ein Schweizer Gericht überzeugen liesse, Klagen mittels NFT zuzustellen, wäre – unter der Voraussetzung, dass der Adressat auf den Link klickt – somit eine rechtsgültige Zustellung theoretisch möglich. Ein Rechtsanspruch auf solche alternativen Formen der Zustellung lässt sich aus dem Gesetz allerdings nicht ableiten.
Selbst wenn eine Zustellung via NFT theoretisch möglich wäre, ergibt sich im Fall von Klagen gegen unbekannte Wallet-Inhaber noch ein weiteres prozessrechtliches Problem, welches nicht geheilt werden kann. Das Schweizer Zivilprozessrecht sieht keine «Klage gegen Unbekannt» vor. Parteien müssen in der Klage so bezeichnet werden, dass über ihre Identität kein Zweifel besteht. Bei natürlichen Personen erfordert dies in der Regel durch die Nennung des vollständigen Namens und der Adresse.
Allenfalls ist bei Krypto-Betrugsfällen demnach ein Strafverfahren einzuleiten sowie dessen Ergebnis abzuwarten, um den Wallet-Inhaber ausfindig zu machen. Eine weitere Möglichkeit bestände darin, einen privaten IT-Forensiker für diese Abklärungen einzusetzen. Solche Ermittlungen sind jedoch oft wenig erfolgsversprechend und ressourcenintensiv, so dass als Folge davon die innovative Idee der Klagezustellung über NFT überhaupt erst entstand. Folglich führt die verpflichtende Bezeichnung des Beklagten dazu, dass die Praxistauglichkeit der Zustellung von Klagen via NFT in der Schweiz beschränkt ist.
Im Gegensatz zu den «Common-Law»-Staaten USA und England, welche diese Form der Zustellung zuliessen, ist das gerichtliche Zustellungsregime in der Schweiz wesentlich formalistischer. Selbst wenn eine formungültige Zustellung durch den tatsächlichen Zugang geheilt werden kann, erscheint es unrealistisch, dass sich ein Schweizer Gericht davon überzeugen lässt, eine formungültige Zustellung über NFT vorzunehmen. Darüber hinaus sieht das Schweizer Recht keine Zivilklagen gegen Unbekannt vor, weswegen eine Klage gegen einen unbekannten Wallet-Inhaber ohnehin abzuweisen wäre. Zusammenfassend ist demnach festzuhalten, dass NFT in der Schweiz kein taugliches Werkzeug zur Zustellung von Zivilklagen sind.
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