27. Februar 2023

Forensics & Investigation

Sanktionen als geschäftskritisches Risiko

<strong>Sanktionen als geschäftskritisches Risiko</strong>

Von Sven Millischer

Der Ukraine-Krieg führte zu einer Flut von Sanktionen, deren Umsetzung Unternehmen vor grosse Herausforderungen stellt. Vom Lieferanten-Netzwerk bis zum Kundenstamm ist die Wertschöpfungskette laufend zu überwachen. Ansonsten drohen empfindliche Strafen und Reputationsschäden. 

Es ist ein trauriges Jubiläum. Ziemlich genau seit einem Jahr führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Im Zuge der Kriegshandlungen hat der Westen – unter Führung der Vereinigten Staaten – fortlaufend neue Sanktionen erlassen.

In der Art und Ausprägung sind die verschiedenen Sanktionsmassnahmen, auch als Sanktionspakete bezeichnet, vielschichtig. Sie reichen von Verkehrsbeschränkungen, wie Start- und Landeverbote für russische Flugzeuge, bis hin zu sektoriellen Export-, beziehungsweise Importverboten, wie beispielsweise von Rohstoffen oder Dual-Use-Gütern, also Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind. Weiter wurden Vermögens- und Reisesperren gegen natürliche Personen verhängt sowie gebietsbezogene Massnahmen erlassen, wie beispielsweise ein umfassendes Handelsembargo für die von Russland eroberten ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk. Die Listen mit den sanktionierten Personen umfassen mehrere Tausend Namen, die fortlaufend ergänzt und aktualisiert werden. Darauf finden sich enge Kreml-Vertraute ebenso wie Duma-Abgeordnete, Personen mit hohem militärischem Grad und regimetreue Oligarchen. Aber auch Gewährs- und Mittelsleute im Westen, wie beispielsweise Anwältinnen und Anwälte sowie Treuhänderinnen und Treuhänder, sind auf den Listen vertreten.

Verdeckte Beschaffungen

Die Sanktionspakete der westlichen Bündnispartner haben mit der Fortdauer des Konflikts ihren Charakter verändert. Nach Ausbruch des Krieges im Februar 2022 standen zunächst gezielte Wirtschaftssanktionen gegen Schlüsselpersonen sowie der Kernindustrien im Vordergrund. Die Aggression gegen die Ukraine sollte für Russland einen möglichst hohen wirtschaftlichen Preis haben. Daneben nahm der Westen die Oligarchen und deren globale Vermögensbestände ins Visier. Die langjährigen Profiteure des Putin-Regimes sollten in ihren persönlichen und finanziellen Freiheiten schmerzhaft beschnitten werden.

Inzwischen hat sich der Schwerpunkt der Massnahmen verschoben. Russland leidet im Abnützungskampf mit der Ukraine zusehends unter militärischen Versorgungsengpässen. Der Kreml versucht deshalb neue Beschaffungskanäle zu erschliessen. Konkret treten staatliche Akteure verdeckt über ausländische Tarnfirmen, also Unternehmen, bei denen sich die tatsächlichen Eigentümerinnen und Eigentümer hinter Strohleuten verstecken, als Käufer der sanktionierten Waren auf. So beispielsweise im Bereich der Dual-Use-Güter, wie Mikroelektronikprodukte, die für den Betrieb moderner Waffensysteme benötigt werden.

Neues Aufnahmekriterium

Die Sanktionsmassnahmen der USA zielen unter anderem darauf ab, solche Umgehungsgeschäfte zu unterbinden. Unter den sanktionierten Organisationen befindet sich beispielsweise eine Schweizer Firma, welche die US-Kontrollbehörde zum internationalen Beschaffungsnetzwerk des russischen Militärs zählt. Auch die EU nimmt sich der Umgehungsthematik an. Im achten Sanktionspaket hat Brüssel ein neues Kriterium für die Aufnahme auf die Sanktionsliste geschaffen: Künftig können Personen sanktioniert werden, die gegen das Verbot der Umgehung von Sanktionen verstossen.

Die Massnahmen wiederum verändern die Handelsströme Russlands. Sanktionierte Güter aus dem Westen werden vermehrt über Drittstaaten gehandelt. Dazu gehören beispielsweise die Mitglieder der eurasischen Wirtschaftsunion. Armenien, Belarus, Kasachstan und Kirgistan bilden mit Russland einen Binnenmarkt beziehungsweise eine Zollunion, was den freien Warenverkehr begünstigt. Auch die Türkei gilt aufgrund ihrer geografischen Lage als Transithub zwischen West und Ost.

Wie die Beispiele zeigen, befindet sich das Sanktionsregime in einem fortlaufenden Wandel. Die Umgehungsversuche und die darauffolgenden Gegenmassnahmen schaffen für Unternehmen eine grosse Rechtsunsicherheit. Sie sehen sich dauernd der Gefahr ausgesetzt, für einen Verstoss gegen die Sanktionen bestraft zu werden. Ein simpler «Tick the box»-Abgleich, also der Direktvergleich der eigenen Lieferanten- und Kundendaten mit den Sanktionslisten, reicht längst nicht mehr aus, um das eigene Risiko abzuschwächen. Denn allzu oft verbergen sich sanktionierte Personen und Organisationen hinter komplexen Unternehmens- und Eigentümerstrukturen oder es werden für Umgehungsgeschäfte Tarnfirmen beigezogen.

Risikobasierte Bestandesaufnahme

Trotz dieser Hürden gilt aus Sicht der Unternehmen: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Das Embargogesetz in der Schweiz sieht bei «fahrlässiger Sanktionsumgehung» drei Monate Gefängnis und eine Busse von bis zu 100’000 Schweizer Franken vor. Ganz zu schweigen von den geschäftlichen Folgen, wenn sich eine Kontrollbehörde, wie das amerikanische Office of Foreign Assets Control (OFAC), einschaltet. Hinzu kommt der Reputationsschaden, wenn öffentlich wird, dass ein Unternehmen mit einer sanktionierten Organisation Geschäfte getätigt hat – ob wissentlich oder nicht.

«Unternehmen sind demnach gefordert, ihre gesamte Wertschöpfungskette, vom Lieferanten-Netzwerk bis zum Kunden-Stamm, fortlaufend auf Sanktionsrisiken hin zu überwachen.»

Diese Abklärungen müssen zwingend über den Abgleich von Namenslisten hinausgehen. Gefragt ist vielmehr eine risikobasierte Bestandesaufnahme sämtlicher geschäftlicher Beziehungen des Unternehmens sowie ein strukturierter Onboarding-Prozess, welcher die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit neuen Kundinnen und Kunden oder Lieferanten regelt. Dieser sollte vertiefte Hintergrundabklärungen, wie beispielsweise die Feststellung der tatsächlichen Eigentümerinnen und Eigentümer, miteinschliessen. Nur so haben Unternehmen ihre Wertschöpfungskette auch in Bezug auf Sanktionsrisiken im Griff.

Autor: Sven Millischer

Sven Millischer ist Head of Open Source Intelligence bei der AC Assets Control AG in Zug. Die Firma ist spezialisiert auf interne Untersuchungen, Background Checks und Litigation Support. AC Assets Control unterstützt Unternehmen bei der Analyse und Umsetzung von Sanktionsbestimmungen. Millischer ist zertifizierter Betrugsprüfer CFE und arbeitete während 20 Jahren als investigativer Wirtschaftsjournalist. Zuletzt war er Mitglied der Chefredaktion der Handelszeitung.

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