15. Mai 2023
Von Enrico Carisch
Bis anhin wurden Sanktionen noch nie so energisch eingesetzt wie heute, um illegale Konflikte, Menschenrechtsverletzungen, terroristische Handlungen und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu stoppen. Dabei kann jeder Verstoss gegen eine Sanktion eine kriminelle Handlung darstellen. Sind mangelnde Kenntnisse oder politische Skepsis schuld daran, dass Strafverfolgungsbehörden diesen offensichtlichen Anzeichen für kriminelle Aktivitäten nicht nachgehen?
Die Bedrohungen, die beispielsweise von Nordkoreas Massenvernichtungswaffenprogramm oder Irans wachsendem ballistischem Raketenarsenal für seine Nachbarn und die internationale Gemeinschaft ausgehen, machen deutlich, wie wichtig ein universell vereinbartes sowie von den Vereinten Nationen geführtes Reaktionssystem ist. Obschon UN-Sanktionen weit weniger wirksam sind, als man es sich wünschen würde, überwiegt der Vorteil, sie überhaupt zu haben. Das zeigt sich am Beispiel der Ukraine, wo multilaterale Sanktionen fehlen und eine chaotische Situation herrscht. Es liegt jedoch auf der Hand, dass Russland gegen jeden Versuch, eine Sanktionsregelung zu verabschieden, sein Veto einlegen würde. Als Lösung bleiben demnach nur unilaterale Sanktionen von einzelnen Staaten oder die Massnahmen der Europäischen Union. Grosse Teile der Welt sind jedoch nicht daran beteiligt und halten sich von der Durchsetzung westlicher Sanktionen fern.
Das internationale Sanktionssystem
Gegenwärtig wenden bis zu 100 Staaten politische Zwangsmassnahmen an, um gegen Staaten vorzugehen, die die nationale Sicherheit gefährden. Diese Massnahmen werden in der Regel als Sanktionen bezeichnet und kommen in einem Wirtschaftskrieg zur Anwendung. Einen besonderen Stellenwert hat das Sanktionssystem der Vereinten Nationen. Es ist von insgesamt 193 Mitgliedern anerkannt und verpflichtet die Staaten, gestützt auf internationales Völkerrecht, sämtliche in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beschlossenen Massnahmen umzusetzen und einzuhalten. In chronologischer Reihenfolge ihrer Verabschiedung gelten derzeit Sanktionen gegen Somalia, Al-Qaida, IS/ISIL/Da’esh und (einzelne Mitglieder der) Taliban, Irak, die Demokratische Republik Kongo, Sudan, Libanon (Hariri-Attentat), Nordkorea, Libyen, Guinea-Bissau, die Zentralafrikanische Republik, Mali, den Südsudan, Jemen und die jüngste Regelung gegen Haiti. Die Resolution 2231 zu Iran ist technisch gesehen kein Sanktionsregime, obwohl damit einige Sanktionen durchgesetzt werden. Die Sanktionen zielen fast immer auf die Verhinderung des Transfers von Waffen, Massenvernichtungswaffen und damit zusammenhängenden Gütern mit doppeltem Verwendungszweck ab. Ausserdem auf das Einfrieren von Vermögenswerten und weiteren Wirtschaftsmassnahmen sowie das Verbot von Auslandsreisen für bestimmte Personen. Im Fall von Nordkorea wurden zusätzliche Massnahmen ergriffen. So sind beispielsweise Diplomaten, die gegen das Wiener Übereinkommen verstossen, das die Vorrechte des diplomatischen Personals regelt, zu sanktionieren. Jedes UNO-Sanktionsregime wird von einem Sanktionsausschuss verwaltet, der vom ständigen Vertreter eines der 10 gewählten Mitgliedstaaten geleitet wird und in dem alle 15 Mitglieder des Sicherheitsrats ihre technischen Experten delegieren. Die Schweiz hat soeben den Vorsitz des Sanktionsausschusses für Nordkorea übernommen. Die Ausschüsse werden in vielen Fällen von einem Expertengremium unterstützt, das in der Regel aus 4 bis 10 Nicht-UNO-Experten für den jeweiligen Konflikt besteht, gegen den die Sanktionen gerichtet sind.
Straftaten als Folge der Sanktionen
Der fehlende politische Konsens darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Staaten dennoch Schauplatz von Straftaten sind, die mit den Sanktionen im Zusammenhang stehen – allenfalls auch nur unwissentlich. Es liegt nahe, dass Sanktionsverletzungen bei Verstössen gegen nationale Gesetze zum Waffenhandel, bei Transfer von blockierten Vermögenswerten oder bei Fälschungen von Bank- oder Zolldeklarationen vorliegen. UNO Experten-Gruppen, die für die Überwachung der Sanktionen zuständig sind, berichten jedoch von weitaus vielfältigeren Verstössen gegen nationale und internationale Gesetze und Vorschriften. So zum Beispiel bei nachfolgenden Handlungen:
Situation am Beispiel von Nordkorea
In Nordkorea, wo das Regime wegen den Sanktionen weitgehend von der legalen Beschaffung von Devisen abgeschnitten ist, sind die von diesen unterstützten kriminellen Strategien sogar systematisch mit Sanktionsumgehungen gekoppelt. Zu den am häufigsten beobachteten kriminellen Strategien, die mit der sanktionierten Devisenbeschaffung kompensiert werden, gehören:
Die Situation in Nordkorea stellt die vielleicht extremste Form von staatlicher Förderung und Organisation von kriminellen Unternehmen dar. Sie agieren im Auftrag ihrer Führungselite und sind insbesondere im Bereich der kriminellen Geldbeschaffung, dem sanktionswidrigen Handel mit Militär- und Massenvernichtungswaffentechnologien sowie dem Schmuggel von Luxusgütern tätig.
Situation am Beispiel von Russland
Russland’s Sanktionsumgehungen hat Nordkorea mit seinem gewaltigen Einsatz von «privaten Militärorganisationen», von denen die Wagner-Gruppe die prominenteste ist, punkto Kriminalität rasch eingeholt. So sind angeblich von der Regierung Wladimir Putins unabhängige, russische Söldner seit fast 10 Jahren in Afrika in denjenigen konfliktbeladenen Regionen tätig, die unter UN-Sanktionen stehen. Ihre Aktivitäten reichen von der Partnerschaft mit Rebellenarmeen oder korrupten Regierungen bis hin zu Diebstahl, Erpressung, systematischem Schmuggel und massiven Menschenrechtsverletzungen. Letzteres beispielsweise, wenn sie als «Sicherheitskräfte» bei der illegalen Erlangung von Förderrechten für Mineralien, Holz und anderen natürlichen Ressourcen eingesetzt werden. Im Sudan haben russische Söldner den Anführer der berüchtigten Janjaweed, General Mohammed Hamdan Daglo, auch bekannt als Hemedti , unterstützt, der inzwischen zum stellvertretenden Vorsitzenden der Übergangsregierung aufgestiegen ist. Hemedti, der dank seines brutalen Stils als faktischer Führer des Sudan gilt, baut nun eine Partnerschaft mit Russland auf und hat den mit der Wagner-Gruppe verbundenen Bergbauunternehmen die Türen zu den reichen Goldminen des Sudan geöffnet.
Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden
Es liegt auf der Hand, dass die internationalen Dimensionen dieser komplexen Verbrechen, die russische Söldner oder nordkoreanische Proliferationsagenten begehen, viele Möglichkeiten für Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden bieten. Als Beispiele können genannt werden:
Wichtigkeit des Informationsaustausches sowie der Zusammenarbeit
Damit die nationalen Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf die Durchsetzung der Sanktionen in der Lage sind zusammenzuarbeiten, ist ein intensiverer und detaillierterer Informationsaustausch sowie eine engere Kooperation zwischen den diplomatischen Diensten eines Staates, den Nachrichtendiensten und den Strafrechtssystem erforderlich. Diplomaten, die mit dem internationalen Sanktionssystem bei den Vereinten Nationen und der EU zusammenarbeiten, sind die ersten Empfänger von Berichten und Hintergrundinformationen der internationalen Ermittlungsbehörden. Wenn diese Informationen jedoch nur als geheime diplomatische Angelegenheiten behandelt werden, könnte die Strafjustiz eines Landes leicht überrumpelt werden, wenn beispielsweise Nachrichtenberichte plötzlich Verbindungen zu demselben Land aufzeigen.
Ein systematischer, behördenübergreifender Informationsaustausch, gekoppelt mit der Analyse und der Entwicklung von Strafverfolgungsindizien ist dringend notwendig. Ohne diese formalisierte Zusammenarbeit werden die Staaten nicht in der Lage sein, angemessen auf die immer stärker wachsende, politisch motivierte Kriminalität zu reagieren. Werden die Kriminellen nicht verfolgt und bleiben damit frei von rechtsstaatlichen Strafen, dann signalisiert dies nicht nur die Bereitschaft zur politisierten Strafverfolgung, sondern stärkt darüber hinaus diejenigen, die den Frieden und die Sicherheit untergraben.
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