10. Juni 2024

Wirtschaftskriminalistik,

Wirtschaftsrecht

Betreibungsregisterauskunft Schweiz: Stärkung von Betrugsprävention und Datenschutz

Betreibungsregisterauskunft Schweiz: Stärkung von Betrugsprävention und Datenschutz

Von Prof. Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel

Die Scheinsanierung durch Sitzwechsel ist ein verbreitetes Übel. Zahlungsunfähige stehen nach der Verschiebung der Papiere in eine andere Gemeinde mit sauberem Betreibungsregister da. Die Einführung der schweizweiten Betreibungsregisterauskunft soll diesem Missstand einen Riegel schieben. Doch gegen dieses Projekt der Bundesverwaltung regt sich eine von Partikularismus getriebene Lobby.

Im Oktober 2023 folgte die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) einem Projektinitialisierungsantrag der Stadtzürcher Betreibungsämter zur Einführung einer schweizweiten Betreibungsregisterauskunft (BRA CH). Diese stützten ihren Antrag auf eine detaillierte Machbarkeitsstudie. Der Realisierungsbeschluss ist auf Sommer 2024 geplant. Doch bereits regt sich Widerstand: Die Anbieterinnen von Wirtschaftsauskünften verteidigen ihre Pfründe mit einer starken Lobby. Abgesehen von diesem Partikularinteresse bringt die Neuerung indessen nur Vorteile, wie die folgende Betrachtung zeigt.

«Der Fünfer und das Weggli»: Datenschutz und Betrugsschutz

Gemäss Art. 8a SchKG erhält nur eine Betreibungsregisterauskunft, wer ein Interesse glaubhaft macht, namentlich im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Abwicklung eines Vertrages mit der betroffenen Person. Daran soll die BRA CH nichts ändern. Ihr vorgesehener Betrieb durch die eOperations Schweiz  gewährleistet jedoch diesbezüglich eine einheitliche und damit rechtssichere Praxis.

Die schweizerische Rechtsordnung erwartet von der Gläubigerschaft Selbstschutz durch kritische Prüfung der Gegenpartei. Die Betreibungsregisterauskunft gilt als typisches Beispiel einer zumutbaren Bonitätsprüfung.[1] Wird sie nicht eingeholt, ist der Nachweis der Arglist erheblich erschwert, die in der Schweiz eine wichtige Voraussetzung für den Betrug gemäss Art. 146 StGB ist.[2] Diese Einschränkung der Strafbarkeit von Irreführungen ist als Massnahme zur Förderung der Schadens- und Verbrechensprävention gedacht.[3]

Doch die Aussagekraft der heutigen Betreibungsregisterauskunft ist beschränkt. Bislang gibt jedes Betreibungsamt gestützt auf Art. 8a SchKG nur Auskunft über seine eigenen Betreibungen. Säumige Schuldnerinnen und Schuldner erhalten nach einem Wechsel des Sitzes beziehungsweise Wohnsitzes eine saubere Betreibungsregisterauskunft. Gewisse Betreibungsämter geben sogar vorteilhafte Auskünfte über Personen, die nie dort wohnten, denn der Abgleich der Personalien im Auskunftsgesuch mit dem Einwohnerregister ist nicht schweizweit gewährleistet. Dadurch besteht auch eine Verwechslungsgefahr. Ferner erleichtert der heutige Pluralismus auch die Herstellung von schwer als solche erkennbaren Fälschungen. Diese Möglichkeiten werden regelmässig zu Betrugszwecken missbraucht, wovon als «Spitze des Eisbergs» mehrere Bundesgerichts-Urteile zeugen.[4] Deshalb kann nur die kritische Analyse Gewähr bieten, dass die Betreibungsregisterauskunft zu Recht sauber ist. Dies ist ein unzumutbarer Aufwand und schafft ein schädliches Klima des Misstrauens zum Nachteil der überwiegenden Mehrheit der aufrichtigen und pünktlichen Schuldnerinnen und Schuldner. Die BRA CH entlastet die Gläubigerschaft davon, in Bezug auf natürliche Personen als Schuldnerinnen und Schuldner zum Selbstschutz Wohnsitzprofile anlegen zu müssen. Wer einen Raum mieten oder sonst eine Verpflichtung eingehen will, muss dank der BRA CH weniger persönliche Daten bekanntgeben, um die eigene Zahlungsmoral zu belegen. Das hebt den Datenschutz. Dasselbe gilt für die geplante Verknüpfung der BRA CH mit der AHV- beziehungsweise UID-Nummer, was die Verwechslungsgefahr beseitigt.

Bekämpfung der «Konkursreiterei»

Die BRA CH wird auch dazu beitragen, der «Konkursreiterei» entgegenzuwirken. Dabei werden überschuldete Kapitalgesellschaften bei absehbarer Insolvenz durch Organ-, Firmen-, Sitz- und Zweckänderungen durch «Firmenbestatter» von den Vororganen abgekoppelt, damit diese mit scheinbar ungetrübtem wirtschaftlichem Leumund ihr Verlustgeschäft im Rahmen einer Auffanggesellschaft fortsetzen können. Denn die Gläubigerschaft und die Behörden benötigen Knowhow und müssen Aufwand betreiben, um die Involvierung des Vororgans in den wirtschaftlichen Niedergang der insolventen Gesellschaft zu erkennen. Die BRA CH dokumentiert die ganze Geschichte der Schuldnerin und wirkt so der Täuschung und Verwirrung der Gläubigerschaft und Behörden durch rein formale gesellschaftsrechtliche Umgestaltungen entgegen. Durch die so geschaffene Transparenz fällt ein grundlegender Anreiz für die «Konkursreiterei» dahin.

Dazu kommt, dass insolvente Gesellschaften nicht immer in Konkurs oder in Zwangsliquidation fallen. Oft geschieht es auch, dass die Gläubigerschaft die umgewandelte Gesellschaft nicht mehr als ihre Schuldnerin erkennt oder sonst vergisst. Zudem bleiben viele Betreibungen im Stadium der Konkursandrohung stehen, weil niemand die Kosten des Konkursgerichts und der ersten Phase des Konkursverfahrens bevorschussen will. Die «Firmenbestatter» betrachten inaktive, insolvente Gesellschaften, die ein Jahr lang in Ruhe gelassen werden, als «saniert» und bieten sie den «Konkursreitern» günstig zum Kauf an. Diese verwenden sie dann als Auffanggesellschaften zur Fortsetzung ihrer Verlustgeschäfte. Die BRA CH zeigt die Betreibungen der «vergessenen» Schuldnerinnen vor der Umgestaltung auf und macht dadurch solche Recycling-Gesellschaften als Objekte des Mantelhandels unbrauchbar. Wer eine Auffanggesellschaft braucht, wird deshalb unter dem Regime der BRA CH mehr Geld in die Hand nehmen müssen, wodurch die «Konkursreiterei» an Attraktivität verliert.

Trotz dieser Vorteile wäre es illusorisch, im BRA CH ein Allerweltsheilmittel gegen die «Konkursreiterei» zu sehen. Weder die BRA CH noch die Anfang 2025 in Kraft tretende Gesetzesrevision beseitigen das Kernproblem, dass die Konkurseinstellung mangels Aktiven die Organe immun gegen Verantwortlichkeitsklagen der Gläubigerschaft macht.

Keine Pseudosanierung durch Schlupflöcher

Es besteht kein schützenswerter Anspruch, dass einer Person mit unvorteilhaftem Betreibungs-Leumund «Schlupflöcher» offenstehen sollen. Denn dies bedeutet, dass ein sozialstaatliches Problem durch Täuschung auf einzelne Gläubiger und Gläubigerinnen abgewälzt wird. Es ist eines Rechts- und Sozialstaates unwürdig, gesellschaftliche Probleme mit solchen Mechanismen unter den Teppich zu kehren.

Zwar lässt sich darüber diskutieren, ob die Sanierung des Betreibungsregisterauszugs über Art. 8a Abs. 3 SchKG hinaus zu erleichtern ist. Doch das ist keine Frage der BRA CH. Es ist unakzeptabel, gesetzlich die weitgehende Vollständigkeit der Betreibungsregisterauskunft zu statuieren und dieses Regime dadurch zu mildern, dass «Schlupflöcher» für Täuschungswillige offengelassen werden.


[1] Z.B. BGer, Urteil 6B_748/2008 vom 16.2.2009, E. 2.5; OG BE, Urteil 151/II/2001 vom 3.7.2001 gemäss Rechtsprechungsübersicht ZBJV 2003 570; Cassani Ursula, Der Begriff der arglistigen Täuschung als kriminalpolitische Herausforderung, ZStrR 1999, 152 ff., 173; Dupuis Michel et al., Petit Commentaire Code pénal, 2. Aufl., Basel 2017, Art. 146 N 19; Graf Damian, Schützt das Strafrecht auch Dumme? Zur Opfermitverantwortung beim Betrug, ZStrR 2021, 55 ff., 85; Nydegger Micha, Grund und Grenzen der Arglist beim Betrug, ZStrR 2013, 281 ff., 312; Schlegel Stephan, in: Wohlers/Godenzi/Schlegel, Handkommentar StGB, 4. Aufl., Bern 2020, Art. 146 N 8; Techsel Stefan/Crameri Dean, in: Trechsel/Pieth [Hrsg.], Praxiskommentar StGB, 4. Aufl., Zürich/St. Gallen 2021, Art. 146 N 7.

[2] Betrug von Vorinstanz mangels BRA verneint: BGer, Urteile 6B_511/2020vom 10.3.2021, E. 3.2; 6B_364/2012 vom 19.4.2013, E. 1.2; Betrug in Beschwerde mangels BRA bestritten: BGer, Urteile 6B_310/2021 vom 5.10.2022, E. 1.1, 1.3.2, 1.4; 6B_25/2017 vom 14.11.2017, E. 1.3; 6B_309/2017 vom 16.10.2017, E. 3.1.

[3] BGE 6B_271/2022 vom 11.3.2024, E. 5.1.2; BGE 128 IV 18, E. 3.a S. 21.

[4] Beispiel für sauberen BRA durch Wohnsitzwechsel: BGer, Urteil 6B_1081/2019 vom 15.5.2020, E. 1.5.1-2; Beispiele für Fälschung des BRA: BGer, Urteile 6B_448/2018 vom 9.1.2019, E. 1.4.3; 6B_408/2020 vom 30.6.2021, E. 7; 6B_600/2016 vom 1.12.2016, E. 2.2.

Autor: Prof. Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel

Prof. Dr. iur. Marc Jean-Richard-dit-Bressel, LL.M., Rechtsanwalt, ist Staatsanwalt und Abteilungsleiter an der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, Qualifizierte Wirtschaftskriminalität und internationale Rechtshilfe, und Verantwortlicher für die Federführung Insolvenzdelikte der Staatsanwaltschaft Zürich. Des Weiteren ist er Titularprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Zürich.

Kommentare

0 Kommentare

Kommentar verfassen

Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.