23. Juni 2025
Von Mona Fahmy
Ereignisse bei der RUAG rund um mutmassliche Veruntreuungen und zweckentfremdete Vermögenswerte werfen die Frage auf, wie mit Meldungen von Whistleblowern umgegangen werden sollte.
Im Zusammenhang mit fragwürdigen Geschäften mit den Kampfpanzern Leopard 1 und 2 ersuchte die Finanzdelegation der eidgenössischen Räte (FinDel) die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) um eine unabhängige Beurteilung möglicher Betrugsaspekte bei der RUAG MRO Holding AG (RUAG). Die EFK kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass es ausreichende Hinweise auf Betrug gebe, insbesondere durch ein ehemaliges Kadermitglied mit Doppelfunktion in der Schweiz und Deutschland. Der finanzielle Schaden wird auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag geschätzt, verursacht durch Verkäufe unter Marktwert, nicht eingehaltene Lieferverpflichtungen und betriebswirtschaftlich fragwürdige Transaktionen.
Interessante Aspekte zum Fall RUAG
Der Fall RUAG weist drei Aspekte auf, welche im Rahmen des Economic Crime Blog in drei Beiträgen näher betrachtet werden. Die Untersuchung der EFK brachte Hinweise zu Tage, wonach RUAG unbewilligt Ersatzteile aus dem Konsignationslager im Besitz der Armee für ihr eigenes Geschäft mit Dritten verwendet haben könnte. Prof. Dr. Marco Passardi hat sich in einem ersten Beitrag «Der Fall RUAG: Konsignationslager» dem Umgang mit Konsignationswaren im Rahmen der Rechnungslegung gewidmet. Susanne Grau griff im zweiten Beitrag «Der Fall RUAG: Verantwortung des Verwaltungsrates» die Rolle und Pflichten des Verwaltungsrats auf. Im vorliegenden Beitrag beleuchtet Mona Fahmy, wie die RUAG mit einer detaillierten Whistleblowing-Meldung umging und was eigentlich Best Practices wären.
Ein Kadermitglied, das sich persönlich bereichert. Eine ernsthafte Anschuldigung, die ein Whistleblower detailliert ausführt. Doch statt die Meldung zu untersuchen, habe es die RUAG unterlassen, «die notwendigen Schritte einzuleiten, um die möglichen Versäumnisse aufzudecken und weiteren Schaden zu vermeiden». So lautet der Befund der EFK in ihrem Bericht zum Fall RUAG.
Eine «sehr gezielte» Whistleblowing-Meldung
Ein Hinweisgeber oder eine Hinweisgeberin schrieb im August 2019 «eine sehr gezielte Whistleblowing-Meldung», welche an die «Vorsteherin des VBS und den VR der RUAG Holding AG», der Vorgängerin der RUAG MRO Holding AG, «übermittelt wurde». Ein Kadermitglied bereichere sich persönlich, so die Anschuldigung. In der Meldung seien die Transaktionen, Geschäftspartner und der Modus Operandi rund um Geschäfte mit den Panzern Leopard 1 und 2 ganz konkret beschrieben worden, steht im Bericht der EFK. Die Hinweise deckten sich mit den Fällen, welche die EFK und die Kanzlei NKF fünf Jahre später untersuchen.
Nun wäre es aufgrund der beschriebenen Vorgänge und der detaillierten Bezeichnung der Geschäftspartner, u.a. einem deutschen Schrotthändler, naheliegend gewesen, die Anschuldigungen erst einmal zu prüfen. In diesem Fall hätte eine einfache Handelsregisterabfrage in Deutschland genügt, um zu sehen, dass dort tatsächlich Beziehungs- und Firmenstrukturen bestehen, welche erklärungsbedürftig sind.
Doch statt unabhängig zu prüfen, leitete der CEO der RUAG das Schreiben an verschiedene interne Bereiche weiter. Über seinen Vorgesetzten erhielt auch das angeschuldigte Kadermitglied das Schreiben, «obschon dieses, wie aus der Meldung implizit zu vermuten war, potenziell direkt involviert war».
Keine Weiterverfolgung der Meldung: «nicht nachvollziehbar»
Wenig überraschend gab das Kadermitglied in seiner Stellungnahme Entwarnung. «Die mutmasslich am selben Tag verfasste zweiseitige Stellungnahme der RUAG übernahm diese Entwanung», steht im EFK-Bericht. Unterzeichnet vom CEO der RUAG und dem Vorgesetzten des verdächtigen ehemaligen Kadermitglieds. Einen Tag nach Eingang der Whistleblowing-Meldung wurde der gesamte Verwaltungsrat der RUAG zur Meldung und Stellungnahme informiert.
Die EFK findet in ihrem Bericht deutliche Worte: «Für die EFK ist es unverständlich, dass weder der Verwaltungsrat noch weitere informierte Personen der Geschäftsleitung und des Managements die Stellungnahme nachweislich kritisch hinterfragten. Die offizielle Stellungnahme der RUAG zu den konkret benannten Vorwürfen in der Whistleblowing-Meldung wurde in nur wenigen Stunden verfasst. Zudem fehlt darin die Entkräftung des wichtigsten Vorwurfs aus der Whistleblowing-Meldung, nämlich die Veräusserung von Material deutlich unter Marktpreisen. Die zeitliche Abfolge und Qualität der Stellungnahme lässt darauf schliessen, dass eine seriöse und unabhängige Aufarbeitung nicht im Vordergrund stand.»
Und weiter: «Diese konkrete Whistleblowing-Meldung hätte der RUAG eine unabhängige Untersuchung ermöglicht. Dass dies nicht erfolgt ist, ist unverständlich. Der Umstand, dass die Meldung RUAG-intern an das verdächtigte Kadermitglied weitergeleitet wurde , obwohl aus der Meldung implizit zu vermuten war, dass die Vorwürfe ihre Zuständigkeit betreffen, ist nicht nachvollziehbar. Damit besteht auch das Risiko, dass wichtige Dokumente zur Klärung vernichtet wurden. Die Tatsache, dass die RUAG nach Erhalt der Meldung damit weiterfuhr, in der Meldung kritisierte Geschäfte abzuwickeln, unterstreicht das Versagen des Compliance-Management-Systems. Es zeigt auch deutlich die fehlende Kontrollkultur.»
Ein Lehrstück, wie man nicht mit einer Whistleblowing-Meldung umgehen sollte.
Ein anonymer Hinweis, ein möglicher Missstand. Und nun?
Weil Hinweise auf Fehlverhalten von Mitarbeitenden zu Belastungsproben im Unternehmen werden können, ist der Umgang mit solchen «Whistleblowing-Meldung» unbedingt Chefsache. Der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung tragen die Verantwortung, professionell, gesetzeskonform und effizient zu reagieren.
Seit dem Inkrafttreten des revidierten Schweizer Datenschutzgesetzes (DSG) am 1. September 2023 und unter dem Eindruck internationaler Standards, wie der EU-Whistleblower-Richtlinie, die auch auf Schweizer Tochtergesellschaften europäischer Konzerne Einfluss hat, ist der Druck gestiegen: Unternehmen müssen mit Personendaten besonders sorgsam umgehen und den Umgang mit Meldungen strukturiert regeln – nicht nur zur Risikominimierung, sondern auch zur Wahrung ihrer Integrität.
Es braucht eine klare Rollenverteilung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung. Dem Verwaltungsrat obliegt die Oberaufsicht. Insbesondere bei Hinweisen auf schwerwiegende Vorfälle wie Korruption ist er direkt zu involvieren. Die Geschäftsleitung ist für den operativen Umgang mit der Meldung zuständig. Die Unabhängigkeit der internen Meldestelle ist von grösster Wichtigkeit, allenfalls sollte in Betracht gezogen werden, diese durch einen externen Dienstleister betreuen zu lassen.
Prüfung der Meldung essenziell
Die Whistleblowing-Meldung ist der Ursprung von allem. Ihre Prüfung erfordert daher Sorgfalt, Unparteilichkeit und Diskretion. Zunächst muss abgeklärt werden, ob die Meldung substanzielle Hinweise auf ein potenziell regelwidriges Verhalten enthält oder ob es sich lediglich um vage Anschuldigungen oder persönliche Unzufriedenheit handelt. Dabei ist es wichtig, den Inhalt sachlich zu analysieren und mögliche Beweismittel – etwa Dokumente, E-Mails oder Zeugenaussagen – zu identifizieren, ohne voreilige Schlüsse zu ziehen.
Besteht ein Anfangsverdacht, sollte eine interne Untersuchung eingeleitet werden, idealerweise durch eine von der Führung unabhängige Stelle. Entscheidend ist, dass die Prüfung unter Wahrung der Vertraulichkeit und mit Respekt gegenüber allen Beteiligten erfolgt. Auch bei anonymen Hinweisen gilt: Jeder glaubwürdige Verdacht erfordert eine sorgfältige und nachvollziehbare Abklärung. Durch den sorgfältigen und effizienten Umgang mit Whistleblowing-Meldungen nehmen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ihre Verantwortung wahr, schützen das Unternehmen vor grossem finanziellem Schaden und bewahren seine Reputation.
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