21. Februar 2022

Forensics & Investigation,

Wirtschaftsrecht

Risiken und Nebenwirkungen von Wirtschaftssanktionen

Risiken und Nebenwirkungen von Wirtschaftssanktionen

Von Sven Millischer

Wirtschaftssanktionen liegen auf der Schwelle zwischen Gesprächs-Diplomatie und offenem Krieg: Sie werden eingesetzt, um Kontrahenten gezielt zu bestrafen. Doch die Massnahmen gegen Personen und Unternehmen verursachen Kollateralschäden bei mittelbar betroffenen Dritten.

Diplomatie ohne Waffen sei wie ein Orchester ohne Instrumente, sagte einst der preussische König Friedrich der Grosse. Zum Arsenal moderner Diplomatie gehören heute, unterhalb der Kriegsschwelle, auch Sanktionen. Beispiele aus jüngster Vergangenheit sind der Atomkonflikt mit dem Iran, der Handelsstreit mit China oder Nordkoreas Waffenprogramm. Auch in der aktuellen Bedrohung durch Russland werden erneut Sanktionen diskutiert, allerdings in einer bisher ungeahnten Dimension.

Ein Krieg soll sich nicht lohnen

Seit Monaten arbeiten die Vereinigten Staaten und die Europäische Union an einer entsprechenden Drohkulisse. Im US-Senat war gar die Rede von der „Mutter aller Sanktionen“. Die angedrohten Sanktionen sollen Russlands Opportunitätskosten für einen erneuten militärischen Angriff auf die Ukraine in ungeahnte Höhen treiben. Auf dass sich ein Krieg für den Kreml nicht mehr lohnt.

Bislang hatte der Westen auf Finanzsanktionen und gezielte Sanktionen („targeted sanctions“) gesetzt. Die zuständige Kontrollbehörde im US-Finanzministerium, das Office of Foreign Assets Control OFAC, publiziert dazu Listen mit Personen und Unternehmen, welche vom amerikanischen Finanzsystem auszuschliessen sind. Deren Effektivität ist empirisch belegt. Am Tag der OFAC-Publikation frieren Geschäftsbanken die Konten sanktionierter Personen und Entitäten ein, obwohl Betroffenen eine Übergangsfrist einzuräumen möglich wäre. Auch Schweizer Banken verhalten sich im Regelfall kompromisslos. Selbst wenn das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft SECO den Sanktionsentscheid nicht mitträgt.

Mit der Ukraine-Krise deutet sich nun allerdings eine drastische Ausweitung des Sanktionsregimes an. Es droht ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges. So sind sektorielle Sanktionen und Exportkontrollen geplant, die Lieferungen von Schlüsseltechnologien nach Russland verbieten sollen. Dazu gehören beispielsweise Hi-Tech-Güter der Bereiche Künstliche Intelligenz, Robotik, Quanten- oder Verschlüsselungstechnologie. Für diese und weitere Industriebereiche dürften auch finanzielle und logistische Dienstleister in den Sanktionsfokus rücken. Ziel all dieser Massnahmen ist es, Russland und seine Verbündeten als Wirtschaftsblock vom Westen – zumindest partiell – abzutrennen.

Risiken für Schweizer Unternehmen

Die Schweiz hat in der Vergangenheit einzelne „target sanctions“ nur fallweise nachvollzogen. So wurden beispielsweise in der Schweiz domizilierte Personen und Gesellschaften, die von Sanktionen der EU und der USA betroffen sind, vom SECO nicht sanktioniert. Es ist aber politisch fraglich, ob die Schweiz im Falle eines Angriffskrieges die bisherige Praxis beibehalten kann.

Für die Risikobeurteilung der Unternehmen ist es letztlich nicht relevant, was politisch wünschenswert wäre. Es geht darum, sich auf das vorzubereiten, was kommen kann. Allein die Sanktionen der USA vermögen das Osteuropa-Geschäft eines Schweizer Unternehmens massiv zu schädigen. Wenn beispielsweise die Vereinigten Staaten eine russische Bank sanktionieren, dann wird ein russischer Kunde dieser Bank keine Zahlungen zu Gunsten einer Schweizer Korrespondenzbank mehr vornehmen können.

Daher birgt ein sektorielles Sanktionsregime für hiesige Unternehmen hohe Risiken auf der gesamten Wertschöpfungskette. Denn auch mittelbare Dritte können über Gegenparteien sehr direkt und existentiell von Exportkontroll-Beschränkungen betroffen sein. Beispielsweise, indem aufgrund von sanktionierten Gütern plötzlich Lieferanten ausfallen oder Vertriebspartner nicht mehr bezugsberechtigt sind. Als besonders komplex in einem Sanktionsumfeld sind dabei Lizenzpartnerschaften und Outsourcing-Verhältnisse zu betrachten. Bei Lizenzpartnerschaften sind oftmals sanktionierte Finanzintermediäre ein Problem, wenn es um die Lizenzentschädigung geht. Bei Outsourcing-Betrieben können gewisse Vorleistungen unter die Exportkontrolle fallen, wodurch die Produktion gestört wird.

Ohne Zweifel sind in einem Sanktionsumfeld auch andere Korruptions- und Betrugsrisiken erhöht, indem beispielsweise versucht wird, gewisse verbotene Güter und Produkte durch illegale Umgehungshandlungen zu importieren.

Nur eine proaktive und kontinuierliche Verwundbarkeitsanalyse kritischer Aussenbeziehungen in Osteuropa auf mögliche Gefährdungen hin kann sicherstellen, dass ein Sanktionsentscheid nicht zum geschäftskritischen Ereignis wird.

Autor: Sven Millischer

Sven Millischer ist Head of Open Source Intelligence bei der AC Assets Control AG in Zug. Die Firma ist spezialisiert auf investigative Due Diligence und betreut Unternehmen bei der Analyse von mittelbaren Sanktionsrisiken. Millischer ist zertifizierter Betrugsprüfer und arbeitete während 20 Jahren als investigativer Wirtschaftsjournalist. Zuletzt war er Mitglied der Chefredaktion der Handelszeitung.

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