23. Mai 2022
Von Simone Nadelhofer und Gabriela Svalduz
Das Anwaltsgeheimnis ist für den Schutz der Rechtsordnung ein unerlässliches Institut und schützt neben natürlichen Personen auch Unternehmen. Gesetzes- und Compliance-Verstösse in Unternehmen führen häufig zu internen Untersuchungen. Nicht zuletzt aufgrund des Schutzes des Anwaltsgeheimnisses werden dazu Anwaltskanzleien beigezogen. Das Bundesgericht hat diesen Schutz in den letzten Jahren aber erheblich eingeschränkt. Was haben Anwältinnen und Anwälte, welche mit der Durchführung von internen Untersuchungen beauftragt werden, in diesem Zusammenhang zu beachten?
Gesetzes- und Compliance-Verstösse können für Unternehmen verheerende Folgen haben. Interne Untersuchungen sind ein Mittel für Unternehmen, solchen Verstössen vertieft nachzugehen und Schlüsse daraus zu ziehen. Sie gehören zu einem wirksamen Compliance-Management-System und sind ein wichtiges Führungsinstrument für die Unternehmensleitung.
Die Vertraulichkeit interner Untersuchungen
Die Berichte und Materialien von internen Untersuchungen können für diverse Parteien von grossem Interesse sein – nicht zuletzt für die Behörden, aber auch für Mitarbeiter, Kunden und Aktionäre. Entsprechend ist die Vertraulichkeit der Informationen aus internen Untersuchungen für Unternehmen von grundlegender Bedeutung. Mitunter aus diesem Grund entscheiden sich Unternehmen dafür, eine Anwaltskanzlei mit der Durchführung von internen Untersuchungen zu beauftragen. Dies in der Erwartung, dass diese unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses erfolgen kann. Denn interne Unternehmensjuristen unterstehen nicht dem Anwaltsgeheimnis. Dies ist ein durchaus legitimes Anliegen, ist doch das Anwaltsgeheimnis ein für den Schutz der Rechtsordnung und des Justizzugangs unerlässliches Institut, welches auch Unternehmen zugutekommt.
Zunächst erinnern wir daran, dass vom Anwaltsgeheimnis nur erfasst wird, was mit der berufsspezifischen Tätigkeit des Anwalts («infolge ihres Berufes») zu tun hat. Dies beinhaltet nicht nur die Tätigkeit im Bereich des Anwaltsmonopols, insbesondere die berufsmässige Vertretung von Parteien vor Verwaltungs- und Gerichtsbehörden, sondern auch die rechtsgeschäftsplanende und rechtsberatende Tätigkeit. Als nicht berufsspezifisch wird die anwaltliche «Geschäftstätigkeit» angesehen, wie zum Beispiel die Wahrnehmung eines Verwaltungsratsmandats, die Vermögensverwaltung oder Treuhandfunktionen. Solche Tätigkeiten unterstehen nicht dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses – auch nicht, wenn sie von einer Anwältin oder einem Anwalt durchgeführt werden.
Einschränkung des Anwaltsgeheimnisses bei internen Untersuchungen
Bis 2016 bestanden kaum Zweifel daran, dass die Tätigkeit von Anwältinnen und Anwälten im Zusammenhang mit internen Untersuchungen vom Anwaltsgeheimnis umfasst sein würde. Bis zu einem Entscheid des Bundesgerichts vom 20. September 2016, mit dem dieser Schutz deutlich eingeschränkt wurde. Eigentlich sollte man meinen, dass interne Untersuchungen eine anwaltsspezifische Tätigkeit darstellen. Diese dienen denn auch in der Regel dazu, einen Sachverhalt abzuklären und daraus Schlussfolgerungen rechtlicher Natur, in- oder ausserhalb von Verfahren, zu ziehen. Dies setzt vertieftes rechtliches Know-how voraus. Anders sieht es jedoch das Bundesgericht.
Dem besagten Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Bundesanwaltschaft führte ein Strafverfahren gegen den Kundenberater einer Bank wegen qualifizierter Geldwäscherei und Urkundenfälschung. Die Bundesanwaltschaft warf dem Kundenberater im Strafverfahren vor, Konten verwaltet zu haben, über die Bestechungsgelder an griechische Regierungsvertreter für Rüstungsgeschäfte geflossen waren. Die Bundesanwaltschaft hatte Sitzungsprotokolle der Bank sowie Unterlagen in Zusammenhang mit einer internen Untersuchung, die im Auftrag der Bank von zwei Anwaltskanzleien zu strafrechtlich verdächtigen Bankbeziehungen durchgeführt wurde, herausverlangt. Im Entsiegelungsverfahren – Bank und Anwaltskanzleien verlangten die Siegelung der edierten Unterlagen – ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern unter anderem die Entsiegelung der von den Anwaltskanzleien erstellten Unterlagen an, insbesondere der Aktennotizen über die Befragung der Bankmitarbeitenden sowie der Entwurf des Auswertungsberichts. Dagegen erhoben die Anwaltskanzleien Beschwerde beim Bundesgericht und rügten insbesondere eine Verletzung des strafprozessual geschützten Anwaltsgeheimnisses. Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab und hiess die Entsiegelung der Unterlagen gut, soweit diese nicht erkennbar mit rechtsberatenden anwaltlichen Dienstleistungen verknüpft waren. Das Bundesgericht hielt fest, dass eine integrale Berufung auf das Anwaltsgeheimnis nicht zulässig sei. Es begründete dies einerseits damit, dass die Bank mit der internen Untersuchung ihre eigenen gesetzlichen Compliance- und Controlling-Aufgaben im Bereich der Geldwäschereiregulierung sowie die damit verbundene Pflicht, verdächtige Geschäftsabläufe sachgerecht zu dokumentieren, an eine Anwaltskanzlei delegiert habe. Wenn anders entschieden würde, könnten die Bestimmungen des Geldwäschereigesetzes unterlaufen werden, indem die Bank ihre entsprechenden gesetzlichen Aufgaben weder selber wahrnehme noch an ein spezialisiertes externes Wirtschafsprüfungsunternehmen delegiere, sondern an eine Anwaltskanzlei übertrage. Andererseits verwies das Bundesgericht auf seine Rechtsprechung, wonach sich der Anwalt oder die Anwältin bei problematischen Misch- bzw. Globalmandaten, bei denen sich anwaltsspezifische Dienstleistungen und akzessorische Geschäftstätigkeit überschneiden, nicht integral und umfassend auf das Berufsgeheimnis berufen könne. Die fragliche bankinterne Controlling- und Untersuchungstätigkeit der Anwaltskanzleien, inklusive der Dokumenten-Transaktionsanalysen und der Mitarbeiterbefragungen, ginge deutlich über eine vom Anwaltsgeheimnis geschützte Rechtsberatung hinaus, weshalb die Unterlagen nicht vom anwaltlichen Berufsgeheimnis integral und vollständig geschützt seien.
Zusätzlicher Druck auf das Anwaltsgeheimnis
In einem weiteren Entscheid aus dem Jahr 2018 bestätigte das Bundesgericht diese Auffassung und ging noch einen Schritt weiter.
Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das Eidgenössische Finanzdepartement EFD führte ein Verwaltungsstrafverfahren gegen verantwortliche Organe einer Bank wegen Verdachts der Verletzung von Meldepflichten nach dem Geldwäschereigesetz. Es warf den verantwortlichen Personen vor, sie hätten in Zusammenhang mit Kontenbeziehungen zu betrugsgeschädigten Kunden die gesetzlich vorgeschriebene Verdachtsmeldung an die Meldestelle für Geldwäscherei MROS unterlassen. Das EFD edierte bei der Bank den Zwischen- und Abschlussbericht der internen Untersuchung, die eine Anwaltskanzlei im Auftrag der Bank erstellt hatte. Dabei hatten die Anwältinnen und Anwälte auch über 520’000 E-Mails und Telefonaufzeichnungen ausgewertet sowie diverse Interviews mit Bankmitarbeitenden durchgeführt. Im folgenden Entsiegelungsverfahren – die Bank verlangte die Siegelung der edierten Unterlagen – hiess das Bundesgericht die Beschwerde des EFD gegen die Abweisung des Entsiegelungsgesuchs durch das Bundesstrafgericht gut. Während das Bundesstrafgericht in Berücksichtigung des vorgängig erwähnten Bundesgerichtsentscheids aus dem Jahr 2016 erwog, dass es sich bei der Feststellung des zu beurteilenden Sachverhalts «zweifelsohne um klassische anwaltliche Rechtsberatung» handle, weil der festzustellende Sachverhalt auch rechtlich gewürdigt und mit Empfehlungen versehen war, sah das Bundesgericht dies anders. Dieses sah die detaillierte Untersuchung des komplexen Sachverhalts in Bezug auf die Geschäftstätigkeit der Bank mit der fraglichen Investment-Gesellschaft und ihren Kunden als nicht anwaltsspezifische Tätigkeit an. Das Bundesgericht stützte seine Auffassung unter anderem darauf, dass auch bankinterne Rechts- und Controlling-Abteilungen sowie externe Revisions- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen den massgeblichen Sachverhalt ausreichend hätten abklären können. Das Bundesgericht qualifizierte den Untersuchungsauftrag der Bank an die Anwaltskanzlei – wie zuvor im Entscheid aus dem Jahr 2016 – als «Mischmandat». Es stufte «solche globalen Dienstleistungen im Rahmen von Mischmandaten» gar grundsätzlich als anwaltliche «Geschäftstätigkeit» ein, bei welchen eine umfassende Berufung auf das Berufsgeheimnis nicht möglich sei.
Dabei bleibt unklar, ob die Sachverhaltsermittlung durch Anwältinnen und Anwälte nur bei der Delegation von gesetzlichen Compliance-Aufgaben nach Auffassung des Bundesgerichts als nicht berufsspezifisch gilt oder allgemein nicht. Es bleibt abzuwarten, ob diese einschränkende Rechtsprechung – und in der Praxis schwierig umzusetzende Abgrenzung – auch ausserhalb dieses Bereichs bestätigt wird.
Kein Anwaltsgeheimnis für Anwältinnen und Anwälte ausserhalb der Schweiz und des EU/EFTA-Raums
Auch ein im Juni des vergangenen Jahres ergangener Bundesgerichtsentscheid hat das Anwaltsgeheimnis im Zusammenhang mit internen Untersuchungen weiter eingeschränkt. Im Rahmen einer Strafuntersuchung wegen qualifizierter Geldwäscherei und Bestechung fremder Amtsträger verfügte die Bundesanwaltschaft eine Hausdurchsuchung und die Sicherstellung von Unterlagen und elektronischen Daten bei einem nicht beschuldigten Unternehmen. Im Entsiegelungsverfahren ordnete das Zwangsmassnahmengericht insbesondere die Entsiegelung der E-Mail-Korrespondenz der Angestellten des nicht beschuldigten Unternehmens mit Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen ausserhalb der Schweiz beziehungsweise der EU-/EFTA-Mitgliedstaaten an. Die dagegen erhobene Beschwerde des Unternehmens wies das Bundesgericht mit der Begründung ab, dass der Schutz des Berufsgeheimnisses, den das strafprozessuale Beschlagnahmeverbot von Anwaltsunterlagen verleihe, sich nur auf Anwälte beschränke, die nach dem Anwaltsgesetz zur Berufsausübung berechtigt sind. Mit anderen Worten kommt der besagte Schutz für sämtliche ausserhalb der Schweiz beziehungsweise des EU/EFTA-Raumes tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, wie zum Beispiel aus den USA, nicht zur Anwendung. Dies ist für Unternehmen insofern heikel, als es regelmässig vorkommt, dass sich eine Strafuntersuchung (noch) nicht gegen das Unternehmen selbst richtet, sondern zum Beispiel gegen seine Organe und/oder Mitarbeitende. Auch in solchen Situationen sollten Unternehmen die Option haben, Unterlagen, die im Zusammenhang mit anwaltlichen Mandaten erstellt wurden, vor dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu schützen. Für eine interne Untersuchung empfiehlt es sich daher, grundsätzlich eine schweizerische oder EU/EFTA Anwaltskanzlei beizuziehen. Die ausländische Kanzlei kann dann von dieser und unter deren Leitung als Hilfsperson beigezogen werden, mit dem Ziel, dass diese damit ebenfalls unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses operieren kann. In welchem Umfang dies greift, wird sich in der Praxis noch bestätigen müssen.
Empfohlene Massnahmen
In Berücksichtigung der genannten Entscheide empfehlen sich folgende Massnahmen, wenn Anwältinnen und Anwälte mit internen Untersuchungen beauftragt werden:
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