27. August 2018
Von Monica Fahmy
Ohne Whistleblower wären gewisse Machenschaften nie ans Licht gekommen. Das Motiv der Informanten ist dabei irrelevant.
Whistleblower bringen üble Machenschaften ans Licht, unethisches und kriminelles Verhalten oft angesehener Mitglieder der Gesellschaft. Whistleblower haben Informationen, die für andere verborgen sind, weil sie Mitwisser sind. Und weil sie manchmal selbst tief im Sumpf mit drinstecken.
Dann ist da die Öffentlichkeit. Sie braucht Helden. Selbstlose Menschen, die alles riskieren, um die Bösen auffliegen zu lassen.
Helden wie Edward Snowden. Als Systemadministrator hatte er bei der NSA Zugriff auf geheime Daten, die belegten, wie die amerikanischen und britischen Geheimdienste so ziemlich alle überwachen und ausspionieren. Er spielte die Daten der Filmemacherin Laura Poitras und dem Journalisten Glenn Greenwald zu. Der Rest der Geschichte ist als NSA-Skandal bekannt. Snowden musste sein bequemes Leben, seine Freundin und seine Heimat aufgeben und lebt seit 2013 in Russland im Exil. Seine Motivation: „Ich erkannte, dass ich Teil von etwas geworden war, das viel mehr Schaden anrichtete als Nutzen brachte“, sagte er in einem Video.
Für die US-Regierung ist Snowden ein Verräter. Ihm droht eine jahrelange Haftstrafe. Für den Rest der Welt ist er ein Held. Er wurde mit etlichen Menschenrechtspreisen ausgezeichnet und für den Friedensnobelpreis nominiert.
Viele Whistleblower werden erst als Helden gefeiert– ausser dort natürlich, wo sie die Missstände aufdecken halfen. Wie Wikileaks Gründer Julian Assange oder die US-Soldatin Chelsea Manning. Es ist die Sehnsucht nach einem hollywoodreifen Sieg des Guten gegen das Böse. Heldinnen lassen träumen, erst recht, wenn es durchschnittliche Menschen sind. Es könnte jeder von uns sein.
In der ersten Euphorie geht oft vergessen: Nicht alle Whistleblower tragen einen Heiligenschein. Genau genommen sind es die wenigsten.
Die Informanten aus der Finanzindustrie
Da ist der ehemalige UBS-Banker Bradley Birkenfeld, der 2005 die US-Behörden informierte, wie Schweizer Banken reichen US-Bürgerinnen und –Bürgern halfen, ihr Geld am Fiskus vorbei zu schleusen und auf Schweizer Konten zu verstecken. Als Belohnung erhielt er 2012 aus dem Whistleblower Programm der US-Steuerbehörde IRS 104 Millionen US-Dollar. Und in der Schweiz lag das Bankgeheimnis in Trümmern.
Birkenfeld, der edle Held, der gegen die böse Finanzindustrie antrat und dafür eine gerechte Belohnung erhielt?
Nun, der Banker hatte selbst während Jahren reichen Amerikanern geholfen, Steuern zu hinterziehen. Dafür wurde er zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt. Und den Vorwurf, ihm sei es vor allem um Rache wegen eines Streits mit der Führung gegangen, konnte er nicht glaubhaft entkräften.
Ein edler Held sieht anders aus.
Da ist Hervé Falciani, der ehemalige Mitarbeiter der Privatbank HSBC in Genf, der Frankreich 2015 eine Liste mit den Kundendaten tausender mutmasslicher Steuerhinterzieher übergab. Daten, die Falciani seinem Arbeitgeber gestohlen hatte und wofür er in Abwesenheit zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde.
Frankreich liess die Daten anderen Ländern zukommen. Sie landeten auch bei den Medien. Über 140 Journalistinnen und Journalisten werteten sie in monatelangen Recherchen aus. Die als Swiss Leaks bekannte Geschichte betraf 100 Milliarden US-Dollar von 106 000 Bankkunden aus 203 Ländern. Betroffene Länder haben über eine Milliarde US-Dollar an hintergangenen Steuern und Strafen eingetrieben.
Falciani, der Selbstlose, der angetreten war, gegen die Machenschaften der Bank und ihren Kunden vorzugehen?
Nun, laut Ermittlungen der Schweizer Justiz hat der Banker erst versucht, bestimmte Daten im Ausland zu verkaufen und hatte dazu mit seiner damaligen Geliebten eine Scheinfirma mit Sitz in Hongkong gegründet. Sie fanden keine Abnehmer, also wandte sich Falciani an Geheimdienste. Erst als er auch da nichts verkaufen konnte, gab er die Daten den französischen Steuerbehörden. Seine Ex-Geliebte sagt, ihm sei es nur ums Geld gegangen.
Weder Falciani noch Birkenfeld sind als Charaktere über alle Zweifel erhaben. Beide haben getrickst und, im Falle von Falciani, erst versucht, die gestohlenen Daten zu Geld zu machen. Im Falle von Birkenfeld hatte er zuvor jahrelang an den angeprangerten Missständen kräftig mitverdient.
Edle und Kriminelle
Doch es braucht sie, die Birkenfelds und Falcianis dieser Welt. Denn an Informationen aus gewissen Zirkeln kommt man nur durch Insider, das wissen Strafverfolger und Nachrichtendienste seit Urzeiten. Das Motiv der Insider ist dabei egal, Hauptsache, die Informationen stimmen. Über 17 000 Schweizer Franken hat die Kantonspolizei Zürich 2017 als Belohnung für Informationen aus kriminellem Milieu bezahlt, hiess es im April 2018 in einer Antwort des Zürcher Regierungsrats auf eine Anfrage der AL. Von 2013 bis 2017 waren es über 115 000 Schweizer Franken.
Dank dieser Informationen habe die Polizei wichtige Ermittlungserfolge verzeichnen können, etwa die Verhaftung einer internationalen Bande von Einbrechern und Drogenhändlern oder Durchbrüchen im Islamistenmilieu.
Informanten sind wichtig. Whistleblower erst recht. Auch, und erst recht bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität.
Zwischen dem edlen, integren Whistleblower, der aus altruistischen Gründen an die Öffentlichkeit geht und dem von Rache oder sonstigen negativen Gefühlen getriebenen gibt es eine ganze Palette von Grautönen. Die meisten Whistleblower haben zweideutige Motive und Charaktere.
Doch macht das die von ihnen gelieferten Informationen weniger brisant? Ändert der Charakter, die Motivation oder das (kriminelle) Verhalten von Whistleblowern etwas an den Fakten über die aufgedeckten Missstände?
Natürlich machen Flecken auf der Weste des Whistleblowers es den Angeschuldigten einfacher, auf den Überbringer der Nachricht zu schiessen. Kaum ist ein Missstand bekannt, gelangen oft sämtliche negativen Aspekte, die es über den Whistleblower zu finden gibt ebenfalls an die Öffentlichkeit. Dinge, für die eine Person verurteilt wird. Oder Dinge, die allenfalls fürs bessere Erfassen der Person relevant sind, oder ganz einfach zur Befriedigung der Neugier.
Für die Sache jedoch sind auch pikante Details über die Person völlig irrelevant. Heilige, Gefallene oder Kriminelle: Das alles sollte bei der Untersuchung des Missstands, den die Person aufgedeckt hat, keine Rolle spielen. Wichtig ist nur, dass die gelieferten Informationen stimmen.
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