6. November 2023
Von Juerg Bloch und Lukas Mathis
Die stark zunehmende ökonomische Bedeutung von Krypto-Token und der sich damit befassenden Branche führt zu einer steigenden Zahl von juristischen Auseinandersetzungen. Welche technischen Möglichkeiten können für das «Asset Tracing», also das Auffinden der illegal entwendeten Krypto(währungs)-Token, eingesetzt werden und welche rechtlichen Hürden sind bei Rückführung der Vermögenswerte im Rahmen des «Asset Recovery» zu meistern?
Kryptowährungen sind in der Schweiz inzwischen in vielfältigen Formen zum Alltag geworden. Nicht zuletzt hat die liberale Tradition der Schweiz und die sich daraus ergebende «Krypto-freundliche» Regulierung, gepaart mit politischer und ökonomischer Stabilität, zur Ansiedlung namhafter und bedeutender Unternehmen dieser Branche in unserem Land geführt. Die grössten 50 davon sollen gemäss Branchenstudien im Jahr 2023 eine Bewertung von insgesamt rund USD 185 Milliarden aufweisen. Das Zuger «Crypto-Valley», in dem sich die meisten und grössten Unternehmen der Kryptobranche niedergelassen haben, ist nicht nur in einschlägigen Fachkreisen weltweit ein Begriff. In den internationalen Medien wird es regelmässig als das Silicon Valley für Blockchain bezeichnet und der Kanton Zug als «the Swiss canton from which crypto is landing in Europe«.
Im Lichte der zunehmenden ökonomischen Bedeutung von in Token ausgedrückten Sach- oder Vermögenswerten überrascht mithin nicht, dass Krypto(währungs)-Token sowohl in strafrechtlichen, als auch bei zivilrechtlichen Verfahren vermehrt anzutreffen sind. Dabei stellen sich – teilweise neben der Notwendigkeit der Wissensvermittlung gegenüber Gerichten – gewisse rechtliche Herausforderungen und Fallstricke, die es zu beachten gilt. Zudem bieten die einzigartigen technischen Möglichkeiten, der vielfach auf Grundlage einer öffentlichen Blockchain geschaffenen Krypto(währungs)-Token, auch faktische Vorteile für die Identifikation, Zuordnung und Lokalisierung von Vermögenswerten, die der Forderungsdurchsetzung dienlich sind.
Aufbewahrung von Krypto(währungs)-Token in der Schweiz
Im Lichte der Bedeutung des «Crypto Valleys» in Zug überrascht es nicht, dass zahlreiche in der Schweiz domizilierte Unternehmen ihren Kunden die Aufbewahrung von Krypto(währungs)-Token anbieten, darunter etwa Bitcoin Suisse, SEBA Bank, Bank Julius Bär, Märki Baumann, Swissquote, Sygnum Bank, Taurus sowie gemäss jüngster Meldungen nun auch erste Kantonalbanken.
Befinden sich die Krypto(währungs)-Token in der Schweiz beziehungsweise werden sie von in der Schweiz domizilierten Unternehmen zu Gunsten ihrer Kunden aufbewahrt oder verwaltet, wird – ähnlich wie bei einem Bankkonto – ein Anknüpfungspunkt geschaffen. In der Folge entsteht das Bedürfnis, Forderungen in diese Vermögenswerte zu vollstrecken beziehungsweise diese Krypto(währungs)-Token einstweilen zu sichern.
Krypto(währungs)-Token im schweizerischen Zivilrecht
Auch wenn sich die schweizerische juristische Lehre nicht vollständig einig ist, dürfte zwischenzeitlich anerkannt sein, dass Krypto(währungs)-Token aus zivilrechtlicher Perspektive in der Regel weder als Sache noch als Geldforderung zu qualifizieren sind. Es handelt sich nach herrschender Ansicht um Vermögenswerte beziehungsweise Forderungen besonderer Art.
Sowohl für die Vollstreckung von Geldforderungen in Vermögenswerte in Form von Krypto(währungs)-Token, als auch von Forderungen, die in Krypto(währungs-)-Token ausgedrückt sind, bietet das Schweizerische Recht entsprechende Möglichkeiten.
Fallstricke bei der Durchsetzung von Forderungen in Krypto(währungs)-Token
Nachdem das bereits im Jahr 1889 erlassene und seither nur punktuell revidierte Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) primär auf die Vollstreckung von Geldforderungen ausgerichtet ist, können Forderungen, die in Kryptowährung zu begleichen sind, in der Regel nicht direkt gestützt auf dieses Gesetz durchgesetzt werden. Die spärliche Gerichtspraxis geht, in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Lehre, davon aus, dass bei Vereinbarung einer Leistung in Krypto(währungs-)-Token eine sogenannte «Effektivklausel» vorliegt. Dies bedeutet, dass der Gläubiger der Forderung tatsächlich die geschuldeten Krypto(währungs)-Token verlangen muss und seine Forderung nicht etwa wahlweise in Schweizer Franken umrechnen kann. Verlangt der Gläubiger eine Bezahlung in Schweizer Franken, anstatt in Krypto(währungs)-Token, verlangt er bei gegenwärtiger Rechtslage eigentlich etwas, auf das er keinen Anspruch hat. Aus diesem Grund ist ein Vorgehen auf dem Weg der Betreibung beziehungsweise nach den Regeln des Arrests des SchKG für die einstweilige Sicherung einer in Krypto(währungs)-Token lautenden Forderung regelmässig nicht möglich. Ausgenommen davon ist der Fall, wenn die Parteien ausdrücklich vereinbart haben, dass eine Umrechnung und Begleichung der Forderung in schweizerischer Landeswährung unter gewissen Voraussetzungen zulässig ist. Dann bestünde für den Gläubiger einer Forderung in Krypto(währungs)-Token die Möglichkeit, die schnellen und kostengünstigen betreibungsrechtlichen Institute des SchKG, also Betreibung, Rechtsöffnung und Arrest, für die Durchsetzung seiner Forderung in Anspruch zu nehmen. Die damit einhergehenden Vor- und Nachteile sollten vor Unterzeichnung eines Vertrags sorgfältig abgewogen werden.
Soll ohne entsprechende Regelung gleichwohl versucht werden, die effizienten und kostengünstigen Institute des SchKG in Anspruch zu nehmen, kann der Gläubiger möglicherweise einen Schadenersatzanspruch geltend machen, welcher in Schweizer Franken lautet und zusätzlich zur Grundforderung in Krypto(währungs)-Token tritt.
Ohne eine explizite Regelung zur Umwandlung der Forderung in Schweizer Franken oder einem Schadenersatzanspruch steht dem Gläubiger von Krypto(währungs)-Token «nur» der regelmässig teurere und langwierigere Weg über die zivilprozessuale «Realvollstreckung» zur Verfügung. Dies bedeutet, dass der Gläubiger bei Vorliegen der Voraussetzungen, analog zum Arrest im SchKG, vorsorgliche Massnahmen beantragen kann, um seine Forderung zu sichern. Für die definitive Durchsetzung muss jedoch regelmässig ein ordentliches Gerichtsverfahren eingeleitet und bereits in diesem Rahmen die Vollstreckung, also die Bezahlung in Krypto(währungs)-Token, beantragt werden. Zusätzlich kann der Gläubiger Schadenersatz und die Umwandlung der geschuldeten Krypto(währungs-)-Token in eine Geldleistung verlangen. Im letzteren Fall, und sofern die Voraussetzungen gegeben sind, wird das Gericht die Krypto(währungs)-Token in Schweizer Franken umrechnen und einen Umrechnungskurs festsetzen, wobei es sich an den publizierten «Marktpreisen» der grossen Kryptowährungsbörsen orientieren wird. In der Folge stehen dann die kostengünstigen und vergleichsweise schnellen Institute des Schuldbetreibungsrechts zur Verfügung.
Anders sieht es aus, wenn der Gläubiger von Beginn an eine Geldforderung hat. Sei es, weil er seine Forderung in Krypto(währungs)-Token in Schweizer Franken umrechnen darf, einen Schadenersatzanspruch oder eine andere Geldforderung hat, und der Schuldner über Vermögenswerte in Form von Krypto(währungs)-Token verfügt. In diesem Fall steht einem Vorgehen über die Institute des Schuldbetreibungsrechts nichts im Wege. Dies, weil dem SchKG ein sehr weiter Begriff des Vermögens zugrunde liegt und grundsätzlich sämtliche gegenwärtigen Vermögenspositionen des Schuldners erfasst, die verkehrsfähig sind und gegen Entgelt veräussert werden können. Entsprechend können Krypto(währungs)-Token nach herrschender Auffassung auch gepfändet oder in einem Konkurs verwertet werden. Damit ist auch klar, dass Krypto(währungs)-Token verarrestiert, das heisst einstweilen blockiert werden können, um sicherzustellen, dass nach Abschluss des Verfahrens die Vermögenswerte zur Deckung der Forderung vorhanden sind.
Sofern die entsprechenden Voraussetzungen, insbesondere ein Arrestgrund, gegeben sind, kann der Gläubiger somit die Krypto(währungs)-Token seines Schuldner verarrestieren lassen. Aufgrund der internationalen Verflechtungen der Branche sollte daran gedacht werden, dass möglicherweise bereits ausländische Entscheide vorliegen. Ebenfalls häufig dürfte die Konstellation anzutreffen sein, dass der Schuldner seine Krypto(währungs)-Token bei einem der einleitend erwähnten Unternehmen in der Schweiz aufbewahrt, selbst aber im Ausland wohnt. Ein Gläubiger mit Wohnsitz in der Schweiz hätte diesfalls regelmässig die Möglichkeit, nach den Regeln des Arrests vorzugehen.
Vorteile der Blockchain-Technologie für das «Asset Tracing»
In den oben ausgeführten Fällen zeigen sich denn auch die Vorteile der Blockchain-Technologie, welche einem Grossteil der Krypto(währungs)-token zu Grunde liegt. Die wohl meisten Krypto(währungs)-Token, und insbesondere die praktisch bedeutsamsten Blockchains Bitcoin und Ethereum, sind öffentlich. Daher sind sämtliche Transaktionen einsehbar. Auch wenn die Anonymität der Benutzer durch Pseudonymisierung in Form von sogenannten Wallet-Adressen, welche eine Folge aus zufällig aneinandergereihten Ziffern und Buchstaben darstellen, gewahrt wird, ergeben sich daraus vielfach dennoch Anknüpfungspunkte für die Zwecke des «Asset Tracings».
Kennt der Gläubiger eine Wallet-Adresse des Schuldners, weil er etwa mit dieser zu geschäftlichen Zwecken bereits interagiert hat, lassen sich unter Umständen Rückschlüsse auf den Ort oder den Umfang der Vermögenswerte des Schuldners herstellen. Zu diesem Zweck werden Software-Programme von sogenannten «Wallet Profilern», wie Nansen oder Cipher Trace by Maltego, eingesetzt oder spezialisierte Unternehmen, wie Chainalysis respektive Elliptic, zugezogen.
So hat etwa der Mitgründer des Blockchain-Netzwerkes Ethereum eine seiner Wallet-Adressen auf Twitter bekannt gegeben und diese ist ihm entsprechend zuordenbar. Entsprechend können auch sämtliche Transaktionen und «Gegenparteien», mit denen diese Wallet-Adresse interagiert hat, visualisiert und analysiert werden. Dabei kann auch nach Zeitpunkten oder Transaktionsvolumen gefiltert werden:
«Asset Recovery» bei Krypto(währungs)-Token
Stellt sich heraus, dass sich erhebliche Vermögenswerte mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer in der Schweiz domizilierten Verwahrstelle befinden, stehen dem Gläubiger sämtliche vorstehend beschriebenen Massnahmen zwecks Sicherung und Durchsetzung seiner Forderung und, je nach Sachlage, auch weitere rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung.
Kommentare
1 Kommentare
Dino Zünd
6. November 2023
Spannender Beitrag, vielen Dank für die nützlichen Informationen.
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.