7. Dezember 2020
Die COVID-19-Pandemie und ihre Auswirkungen haben bei vielen Betrieben zu Umsatzeinbussen geführt. Mit der COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung wollte der Bundesrat schnell und einfach den betroffenen Betrieben finanzielle Überbrückungshilfe anbieten. Doch auch oder gerade in Krisenzeiten ist die Gefahr von Missbrauch latent. Dieser Blogbeitrag geht der Frage nach, ob beim Missbrauch von COVID-19-Krediten Betrug oder Veruntreuung vorliegen kann.
Zweck der am 26. März 2020 in Kraft getretenen COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung ist es, den in der Schweiz ansässigen Betrieben mit Hilfe von Überbrückungskrediten ausreichend Liquidität zur Verfügung zu stellen, damit diese trotz COVID-19-bedingten Umsatzeinbussen ihre laufenden Fixkosten decken können. Auf diese Weise sollen sowohl die betroffenen Betriebe vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit, als auch die Schweiz vor einer drohenden Wirtschaftskrise bewahrt werden. Dementsprechend tief wurden die Hürden für den Krediterhalt angesetzt.
Für den Erhalt einer Solidarbürgschaft bzw. eines Kredits müssen die Betriebe diverse Anforderungen erfüllen und mittels Selbstdeklaration bezeugen. Die Vollständigkeit sowie Wahrheit der Angaben des Gesuches sind schriftlich zu bestätigen. Die gewährten Kredite sind zweckgebunden: Sie dienen einzig zur Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten als Folge der wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus. Ausserdem sind gewisse Vorgänge, wie bspw. die Ausschüttung von Dividenden und Tantiemen, während der Dauer der Solidarbürgschaft explizit verboten.
Die COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung beinhaltet mit Artikel 23 auch eine Strafbestimmung. Dies deshalb, weil die Vergabe von Krediten ohne oder zumindest ohne eingehende Überprüfung der von den Betrieben eingereichten Angaben erfolgt. Zudem ist gemäss Bundesrat fraglich, ob die klassischen Straftatbestände, insbesondere Betrug, greifen würden. Ungewiss sei hierbei, ob eine blosse Falschangabe der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers – angesichts der fehlenden Überprüfung der Angaben – bereits als Arglist qualifiziert werden könne.
Im Folgenden wird geprüft, ob strafbaren Handlungen gemäss Art. 23 COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung im Grundsatz als Betrug oder Veruntreuung qualifiziert werden können. Dabei werden einzig folgende Sachverhaltsvarianten betrachtet: (1) Die vorsätzlich mit falschen Angaben erwirkte Kreditvergabe und (2) die vorsätzliche Verwendung des Kredites entgegen seiner Zweckbindung.
Die erste Sachverhaltsvariante wird unter dem Aspekt des Betruges lediglich in Bezug auf die Tatbestandvoraussetzung der «Arglist» näher betrachtet. Arglistig verhält sich u.a., wer sich einer einfachen Lüge bedient bzw. etwas verschweigt, wobei die Überprüfung der Angaben des Täters vom Getäuschten – für den Täter voraussehbar – unterlassen wird. Gemäss Bundesgericht liegt diese Voraussehbarkeit vor, wenn sie sich aus einem besonderen Vertrauensverhältnis ergibt, auf klaren Regelungen oder Zusicherungen beruht und nicht nur eine aus gewissen Beobachtungen stammende Erwartung darstellt.
Es ist davon auszugehen, dass zwischen jedem Betrieb und der kreditgewährenden Bank ein Vertrauensverhältnis besteht. Im Falle der Hausbank könnte sogar aufgrund der andauernden Geschäftsbeziehungen von einem besonderen Vertrauensverhältnis gesprochen werden. Weiter ist davon auszugehen, dass die Betriebe, insbesondere aus Praktikabilitätsgründen, ihre COVID-19-Kreditegesuche bei der Hausbank stellen. Bei besagten Krediten ist allen Gesuchstellern bewusst, dass die Überprüfung der Kreditvoraussetzungen aufgrund der Ausgestaltung als schnelle und direkte Finanzhilfe weitgehendst unterbleibt. Dadurch könnte die Arglist der einfachen Lüge in Bezug auf die Voraussetzungen des Krediterhalts als gegeben betrachtet werden. Betrug könnte folglich vorliegen, falls alle weiteren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind.
Bei der zweiten Sachverhaltsvariante – vorsätzliche Verwendung des Kredites entgegen des vereinbarten Zweckes – könnte ebenfalls Betrug vorliegen, insbesondere wenn bereits bei der Kreditanfrage des Kreditnehmers für diesen feststeht, dass die Mittel zweckfremd verwendet werden. Des Weiteren wird diese Variante ebenfalls unter dem Aspekt der Wertveruntreuung betrachtet.
Gemäss Bundesgericht ist die Wertveruntreuung eines Kredites unter gewissen Umständen möglich. Hierbei wird v.a. auf die «Fremdheit» des Vermögenswertes abgestellt. Ein solcher Vermögenswert ist nur dann wirtschaftlich fremd, wenn der Kreditnehmer die Verpflichtung hat, den Wert der empfangenen Vermögenswerte ständig zur Verfügung des Kreditgebers zu halten. Ein sogenannte Werterhaltungspflicht ist gemäss Bundesgericht dann zu bejahen, wenn ein Kredit mit der Bedingung gewährt wird, das Geld in bestimmter Weise oder zu einem bestimmten Zweck zu verwenden. Diese Zweckbindung muss die wirtschaftliche Sicherheit des Darleihers bzw. die Begrenzung des Verlustrisikos zum Ziel haben. Gestützt auf diese Ausführungen ergeben sich gemäss Rechtsprechung vier objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die zur Veruntreuung eines Kredites gegeben sein müssen:
Die Kreditvergabe ist laut COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung zweckgebunden (siehe Art. 1: Zweck). Sie dient – wie bereits oben ausgeführt – lediglich zur Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten als Folge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Bekämpfung des Coronavirus. Die Kredite dürfen ausschliesslich zu diesem Zweck verwendet werden. Die Kredite würden nicht zugesprochen, wenn die Kreditgeberinnen wüssten, dass die Kredite für anderweitige Zwecke verwendet werden. Ergo besteht der Zweck der Solidarbürgschaft gemäss der COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung darin, die laufenden Liquiditätsbedürfnisse des Kreditnehmers sicherzustellen. Dies entspricht laut Jean-Richard-dit-Bressel/Jug-Höhener, Die Profiteure der Krise, nicht einer Werterhaltungspflicht, da der Wert eben gerade nicht erhalten, sondern zur Liquiditätssicherung «verbraucht» wird. Meines Erachtens könnte eine Werterhaltungspflicht allerdings trotzdem gegeben sein, denn die in der COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung aufgeführte Zweckbindung beabsichtigt zwar, Liquidationsschwierigkeiten der Kreditnehmer zu überwinden, jedoch um die Betriebe wirtschaftlich am Leben zu erhalten. Nach Überwindung der Liquiditätsengpässe ist es den unterstützten Betrieben eher möglich, wieder Fuss zu fassen und die erhaltenen Kredite zurückzubezahlen. Somit handelt es sich um eine Investition des Kreditgebers, die aufgrund der Zweckbindung das Verlustrisiko des gewährten Kredites erheblich mindert. Schliesslich dient die vereinbarte Zweckbindung zum einen dem Kreditnehmer, weil er notwendige Liquidität erhält, um seinen Betrieb zu erhalten und zum anderen auch dem Bund, weil die unterstützten Unternehmen aufgrund des Kredites nicht in Konkurs fallen, dadurch Arbeitsplätze gesichert werden und die Wirtschaft in genereller Weise stabilisiert wird. Somit können die genannten Voraussetzungen bei den COVID-19-Krediten meines Erachtens als erfüllt betrachtet werden. Der Tatbestand der Veruntreuung bei nicht bestimmungsgemässer Verwendung der COVID-19-Kredite könnte demnach angewendet werden.
In der derzeit laufenden Wintersession werden die beiden Räte des Parlamentes in einem Sonderverfahren darüber entscheiden, die COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung in das ordentliche Recht zu überführen. Dies ist nötig, da die Verordnung als Notverordnung erlassen wurde und deshalb zeitlich begrenzt ist. Der Vorentwurf erhält u.a. erweiterte Strafbestimmungen, um die missbräuchliche Verwendung des Kredites gezielt verfolgen zu können.
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