15. Juni 2020

Allgemein

Whistleblowing in der Schweiz – Status QUO Vadis

Whistleblowing in der Schweiz – Status QUO Vadis

Von Jeannine Huggenberger

„Whistleblower – Helden oder Verräter?“ Diese Headline wird in der deutschsprachigen Presselandschaft gerne verwendet, wenn es um die Berichterstattung zum Thema Whistleblowing geht. Was verbirgt sich hinter dem Begriff? Was ist der rechtliche und gesellschaftliche Kontext heute und wie könnte er morgen aussehen?

„Proditionem amo, sed proditores non laudo“, oder „den Verrat liebe ich, aber die Verräter lobe ich nicht“. Julius Caesar sprach damit die Verletzung der Loyalitätspflicht an. Handelt es sich beim Whistleblowing um eine ebensolche? Und wer sind diese vermeintlichen «Verräter»?

Rudolf Elmer: Ex-Banker, der Daten von Bankkunden an die Enthüllungsplattform Wikileaks und Steuerbehörden weitergab. Margrit Zopfi und Esther Wyler: Ex-Controllerinnen des Stadtzürcher Sozialamts, die den Medien Sozialhilfe-Betrugsfälle offenbarten. Christoph Meili: Ex-Wachmann, der Bankbelege über nachrichtenlose Vermögen von Holocaustopfern veröffentlichte. Hervé Falciani: Ex-Informatiker, der Daten von hunderttausenden Bankkunden kopiert und an die französischen Steuerbehörden geliefert hat. Und Adam Quadroni: Ex-Bauunternehmer, der das grosse Engadiner Baukartell auffliegen liess. Ihre Gemeinsamkeit? Sie zählen allesamt zu den bekanntesten Whistleblowern der Schweiz.

Whistleblowing

Whistleblowing ist in der Schweiz kein anerkannter juristischer Begriff, weshalb die Übersetzung häufig schwerfällt. So wird „to blow the whistle on somebody” beispielsweise mit „jemanden verpfeifen” oder „über jemanden auspacken” übersetzt. Diese negative Konnotation und Fehlinterpretation im Sinne von Denunziantentum ist auf die mangelnde Sensibilisierung und Kenntnis der Thematik zurückzuführen und wird dem eigentlichen Inhalt und Ziel von Whistleblowing nicht gerecht. So sind folgende drei Merkmale essentiell, um Whistleblowing als Verhaltensweise erkennbar zu machen: Ein ehemaliges oder gegenwärtiges Organisationsmitglied (1) hat Kenntnis von illegalen, unmoralischen oder unrechtmässigen Aktivitäten. Diese müssen innerhalb des Kontrollbereichs des Arbeitgebenden liegen (2). Die Offenlegung dieser Verhaltensweisen erfolgt gegenüber Personen oder Stellen, die diese Verhaltensweisen möglicherweise beeinflussen können (3). So kann Whistleblowing entweder an eine (organisations-)interne oder an eine externe Stelle (Behörden oder Medien) erfolgen. Entsprechend sind auch die eingangs erwähnten Whistleblower vorgegangen. Weshalb darauf dennoch Jobverlust und gar zivil- und strafrechtliche Verurteilungen folgten, liegt am privatrechtlichen Umgang mit der Thematik.

Situation im Privatrecht

„Ignore the message, shoot the messenger“ lautet die Devise. Nicht der Missstand in der Organisation, sondern mögliche Verfehlungen des Arbeitnehmenden stehen in der Schweizer Gesetzgebung im Fokus, wenn es um Whistleblowing geht.

Besondere Schutznormen, wie sie jüngst das Europäische Parlament im Rahmen der EU-Whistleblower-Richtlinie verabschiedet hat, kennt die Schweiz im Privatrecht nicht. Bis dato müssen Probleme in diesem Bereich anhand allgemein gültiger Bestimmungen und Grundsätze gelöst werden. Diese sind vor allem im Arbeitsrecht angesiedelt, wobei Arbeitnehmende der allgemeinen Treuepflicht und der daraus resultierenden Geheimhaltungspflicht unterstehen. Externes Whistleblowing, ohne rechtliche Konsequenzen zu befürchten, wird deshalb beinahe verunmöglicht.

Eine schärfere gesetzliche Regulierung wird seit 2003 angestrebt. Das Gesetzgebungsprojekt würde Whistleblowing dahingehend regeln, dass klar ist, unter welchen Umständen eine Meldung an Arbeitgebende, Behörden oder Medien rechtmässig, respektive eine Kündigung seitens Arbeitgebenden unrechtmässig, wäre und wann nicht. Ein expliziter Kündigungsschutz ist weiterhin nicht vorgesehen. Anders zeigt sich die Situation im öffentlichen Bereich: Das Bundespersonalgesetz verpflichtet alle Mitarbeitenden des Bundes, die nach diesem Gesetz angestellt sind, Vergehen oder Verbrechen, die von Amtes wegen verfolgt werden und von denen sie in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit Kenntnis erlangen, zu melden. Erfolgt eine Meldung in guten Treuen,  dürfen Mitarbeitende  «deswegen nicht in ihrer beruflichen Stellung benachteiligt werden».

Masterarbeit

In meiner Masterarbeit beschäftigte ich mich nebst den theoretischen Grundlagen mit ebendiesem rechtlichen und praktischen Umgang mit Whistleblowing in der Schweiz und ging der Frage nach Entwicklungsmöglichkeiten in diesen Bereichen nach. Dabei hatte ich das Privileg, mich mit Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft über die aktuelle rechtliche Situation, die Ausgestaltung von Meldestellen sowie den möglichen Einfluss schweizerischer Kultur und Werte auf die Thematik auszutauschen.

Wir waren uns einig, dass aufgrund der momentanen Ungewissheit der gesetzlichen Verankerung von Whistleblowing im Privatrecht, weiterhin mehrheitlich die Arbeitgebenden in der Pflicht sind, das Thema voranzutreiben und Hinweisgebenden Sicherheit zu bieten. Dass diese Pflicht bis anhin auch relativ gut wahrgenommen wurde, zeigt sich beispielsweise an der Anzahl eingeführter Meldestellen in Schweizer Unternehmen: mit 64.9 Prozent hat sich der Anteil gegenüber 2018 (11 Prozent) beinahe versechsfacht. Diese und viele weitere interessante Daten, wie etwa die Anzahl an Meldungseingängen oder missbräuchlichen Meldungen, wurden im Rahmen der Whistleblowing Reporte 2018 und 2019 erhoben. Daneben engagieren sich auch Organisationen und Vereine, wie Transparency International oder Ethics and Compliance Switzerland für die Thematik.

Dennoch bedarf es eines noch stärkeren gesamtgesellschaftlichen Wandels und der Sensibilisierung des Themas. Dies erreichen wir, indem Unternehmen die Vorteile und die positive Motivation hinter dem Phänomen selber noch stärker leben und – im Rahmen datenschutzrechtlicher Vorgaben – transparent kommunizieren. Aber auch indem die Medien künftig positiver und vermehrt über Whistleblowing berichten und sich die Forschung intensiver damit beschäftigt.

So sollten Headlines wie „Whistleblower – Helden oder Verräter?“ künftig der Vergangenheit angehören. Denn müssen wir keine rechtlichen oder zwischenmenschlichen Repressalien befürchten und existieren klare Vorgaben, unter welchen Umständen und an wen sich Hinweisgebende wenden können, wird klar, dass Whistleblower weder das eine noch das andere sind. Es sind Personen, denen innerhalb einer Organisation Missstände auffallen, welche jene uneigennützig intern oder extern melden. Dabei steht die Vermeidung, oder zumindest die Minimierung von Reputations- oder monetären Schäden an der Organisation selber, aber auch an der Gesellschaft, im Vordergrund.

Autorin: Jeannine Huggenberger

Jeannine Huggenberger ist seit neun Jahren in der Finanzindustrie tätig und arbeitet seit 2014 als Business Compliance Officer. In dieser Funktion amtet sie als zentrale Anlaufstelle und Koordinatorin für jegliche Anfragen im Bereich Compliance, ist erste Ansprechperson für Frontmitarbeitende und arbeitet eng mit Fachspezialisten und Fachspezialistinnen im Bereich Legal und Compliance zusammen. Sie hat einen Bachelor of Arts in Wirtschaftswissenschaften der Universität Zürich sowie den MAS Economic Crime Investigation der Hochschule Luzern.

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