Von Gabriela Bonin
AR steht für «Augmented Reality», zu Deutsch «Erweiterte Realität»: Dank AR-Technologie können die Nutzenden ihre Realitätswahrnehmung erweitern. Dabei überlagern virtuelle Informationen und Objekte ihre reale Welt. So können Hörgeschädigte zum Beispiel in einem Theater eine AR-Brille aufsetzen, die ihnen die gesprochenen Texte schriftlich einblendet.
VR ist die Abkürzung von «Virtuelle Realität» oder auf Englisch «Virtual Reality». Die Nutzenden tauchen dabei in eine vollständig digital erstellte Umgebung ein. Diese Technologie hat sich in den letzten Jahren schnell entwickelt. Sie wird nicht nur in der Spiele- und Unterhaltungsindustrie eingesetzt, sondern auch in diversen Branchen wie Maschinenindustrie, Gesundheitswesen und Architektur. So können Teilnehmende etwa in einer virtuellen Trainingsumgebung Handgriffe auf sichere und effiziente Art und Weise üben. Oder ein Designteam erlebt ein neues Produkt in der virtuellen Betrachtung «wie in echt».
MR bedeutet «Mixed Reality» und wird sehr unterschiedlich verwendet. Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet umfasst sie das gesamte Spektrum zwischen der physischen Welt, in der wir leben, bis hin zur vollständig virtuellen Realität. Vielfach wird darunter aber auch eine Realität verstanden, die zwischen Virtual und Augmented Reality liegt. Auch hier wird die Realität mit virtuellen Elementen überlagert, aber diese sollen so wirken, als ob sie wirklich Teil der realen Welt wären. Ein Beispiel für dieses MR-Begriffsverständnis ist beispielsweise die HoloLens von Microsoft.
In der Branche entfernt man sich jedoch immer weiter davon, AR, MR und VR separat und isoliert zu betrachten. Vielmehr sieht man sie als unterschiedliche Punkte eines Spektrums. Dies führte zu neuen Begriffsbildungen wie «XR». Dabei soll x als Variable die Gesamtheit des Spektrums ausdrücken. Weitere Bedeutungen können sein: «eXtended Reality», «Enhanced Reality», «X-Reality», «Expanded Reality» oder «Cross Reality».
Frau Tschanz, die Hochschule Luzern – Informatik betreibt für KMU und Bildungsinstitute ein Immersive Realities Center. Was erfährt und erlebt man dort?
Im Immersive Realities Center der Hochschule Luzern verschmilzt Virtuelles mit Realem. Hier lernen Schulen und KMU Augmented und Virtual Reality kennen. Die Besuchenden testen zum Beispiel unterschiedlichste Headsets und Software aus und tauchen in andere Realitäten ein. Sie können auch mal eine HoloLens ausprobieren oder Hologramme mit Gesten steuern. Man kann die «Immersion» schlecht beschreiben, man muss sie einfach erlebt haben! Es ist ein «Eintauchen» in andere Realitäten.
Ich bin ganz begeistert vom Center. Es gibt schweizweit noch nichts Vergleichbares.
Das klingt nach guter Unterhaltung. Wo liegt der ernsthafte Nutzen eines Besuches?
Im Center beraten und coachen wir auch Unternehmen und realisieren zusammen XR-Projekte. Die KMU lernen neue Technologien kennen und testen Prototypen. Das Angebot des Centers ist schweizweit einmalig.
XR hautnah erleben. Im Immersive Realities Center in Rotkreuz können Unternehmen und Bildungsinstitutionen Hard- und Software austesten. Mehr dazu im folgenden Video:
Was sind die drängendsten Fragen der KMU im Bereich XR?
Viele Branchen setzen AR und VR bereits heute ein. Trotzdem sind sich viele KMU unsicher, welchen Mehrwert immersive Technologien bieten. Eine ihrer grossen Fragen ist, ob sich die entsprechenden Investitionen lohnen werden. Das Center bietet ihnen dazu ein niederschwelliges Angebot. Ebenso steht es Bildungsstätten offen.
Mit dem Center tragen wir zur Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Wirtschaftsstandortes bei.
Wo konkret kann sich der Einsatz von XR lohnen?
Beispielsweise in Arbeitsbereichen, die ressourcen- oder verschleissintensiv sind. Es kostet zum Beispiel weniger, wenn Mechanikerinnen und Mechaniker ihr Training in virtuellen Räumen abhalten. XR ist überall dort nützlich, wo es Menschen hilft, etwas zu üben, zu trainieren und einen Lernprozess zu beschleunigen. Aber es gibt noch ganz viele andere Anwendungsfelder, wo AR und VR einen deutlichen Mehrwert bringen können.
Dann ist das Immersive Realities Center also auch eine neue Form von Weiterbildung?
Ja. Ich bin ganz begeistert von diesem Ansatz, weil es schweizweit noch nichts Vergleichbares gibt. Genau solche Initiativen wie das Center braucht es, wenn wir die Verbreitung der Technologien fördern wollen. Indem wir Unternehmen niederschwellig Zugang zu Hardware ermöglichen, Inspirationen und Anregungen bieten, tragen wir auch zur Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Wirtschaftsstandortes bei. Das Center soll ein «Network Hub» werden, ein Ort, wo man sich vernetzt. Es soll eine Community entstehen.
Viel Bewegung und Gelächter: Mitarbeitende der Hochschule Luzern – Informatik testen Hardware im Interaction Space des Immersive Realities Center. Der Markt für XR-Technologien wächst rasant. Die Wirtschaft benötigt immer mehr Fachkräfte. Wir sorgen mit dem Center und einem Ausbau von Aus- und Weiterbildung für das nötige XR-Know-how.
Warum ist das wichtig?
Die Schweizer XR-Szene ist im Moment noch ein recht loses Konstrukt. Überall in der Schweiz entstehen ganz viele spannende Umsetzungen und Lösungen mit immersiven Technologien. Es wird geforscht, Innovationen werden hervorgebracht. Das möchten wir sichtbar machen. Wir stärken den gegenseitigen Austausch in der Branche, aber auch darüber hinaus. In der Schweiz tendieren wir leider dazu, unsere Leistungen unter Wert zu verkaufen. Dabei haben wir das absolut nicht nötig. Wir dürfen ruhig zeigen, was wir zu bieten haben.
XR schafft Illusionen, die sich real anfühlen. Wir hebeln physikalische Gesetze aus.
Sie «brennen» für XR. Was macht für Sie die Faszination aus?
Dass mit XR praktisch nichts unmöglich ist. Wir können die Realität erweitern und verändern. Wir schaffen Illusionen, die sich real anfühlen. XR kann sogar physikalische Gesetze aushebeln. Das begeistert mich, seit ich vor zwölf Jahren erstmals damit in Kontakt gekommen bin. Es gibt noch so viel zu erforschen, man betritt immer wieder Neuland. Das passt einfach zu mir wie der Deckel zum Topf.
«Choose your own reality and make it happen»: Nathaly Tschanz spricht im unten stehenden Video in einem TEDx -Talk über ihre Passion für immersive Technologien. Und über ihren aussergewöhnlichen Werdegang.
Sie sind schon lange in der Schweizer XR-Landschaft aktiv. Was hat Sie dazu motiviert, an die Hochschule Luzern – Informatik zu kommen?
Ich verfolge die Aktivitäten der Hochschule Luzern im XR-Bereich schon länger. Das Informatik-Departement investiert stark in Personal und Infrastruktur. Für mich wurde offensichtlich, dass da Leute dahinterstehen, welche die gleiche Passion für XR empfinden wie ich. Daher reizt es mich, mein Know-how und mein Netzwerk nun auch hier einzubringen.
Ihr Fachgebiet ist hochgradig innovationsgetrieben. Wie halten Sie sich auf dem Laufenden?
Um stets auf dem neusten Stand zu bleiben, müssen wir viel Zeit aufwenden. Ich geniesse daher den Austausch im Team. Wir ergänzen uns mit unseren unterschiedlichen Schwerpunkten sehr gut, lesen neu erschienene Papers und tauschen uns untereinander aus. Wir diskutieren zusammen und befruchten uns gegenseitig.
Durch Sie wurde das Forschungsteam des Immersive Realities Research Lab mit einer Dozentin erweitert. Wofür machen Sie sich stark?
Als Erstes werde ich am Informatik-Departement zusätzliche Weiterbildungsangebote aufbauen. Wir bieten auf Bachelor-Stufe im Informatik-Studiengang bereits sehr erfolgreich einen Major in Augmented und Virtual Reality an. Aber die Schweiz braucht auch im Weiterbildungssektor entsprechende Angebote.
Das ist nötig, denn in der Schweiz fehlen ausgebildete Fachkräfte mit spezialisiertem Know-how.
Viele Führungskräfte und Verantwortliche von Innovationsabteilungen stehen vor diesem Problem. Wer XR-Projekte lancieren will, kämpft mit Fachkräftemangel. Man muss sich selbst in die Materie einarbeiten und tastet sich in Trial- und Error-Manier heran. Wenn aber alle bei null anfangen, bindet das wertvolle Ressourcen. Projekte verzögern sich wegen fehlender Expertise. Das möchte ich ändern.
Wer XR-Projekte lancieren will, kämpft mit dem Fachkräftemangel. Das möchte ich ändern.
Wie werden Sie Ihre bereits gesammelten Erfahrungen in der Weiterbildung einbringen? Wie bauen Sie das neue Curriculum auf?
XR ist sehr interdisziplinär. Da greifen ganz viele unterschiedliche Kompetenzen ineinander und ergeben ein grosses Ganzes. Der Anspruch an eine Weiterbildung in diesem Themenfeld kann nicht sein, dass alle am Schluss alles gleich gut können. Die einen spezialisieren sich auf die technische Umsetzung oder auf das Design. Für andere stehen Schnittstellen-Kompetenzen im Vordergrund. Das gilt zum Beispiel für Projektleiterinnern und Projektleiter. Aus diesem Grund sollte das Curriculum modular aufgebaut sein. An der Hochschule Luzern arbeiten Fachpersonen mit unterschiedlichsten Schwerpunkten zusammen. Von dieser Interdisziplinarität werden unsere Weiterbildungsangebote profitieren.
Frage in die Runde: Welches sind Ihre Erwartungen an den Einsatz von XR-Technologie in Unternehmen? Welche Erfahrungen haben Sie damit bereits gemacht?
Veröffentlicht am 1. Oktober 2021, aktualisiert am 24. März 2022.
Betritt gerne Neuland: Nathaly Tschanz, 43, ist XR-Expertin, Dozentin an der Hochschule Luzern – Informatik und Sachbuchautorin. Sie hat sich bereits in jenen Zeiten für Reality Design begeistert, als es in der Schweiz noch gar keine entsprechende Ausbildung dafür gab. Tschanz ging ihren Weg zur Reality-Designerin mit Entschlossenheit und visionärem Geist.
In Ihrem Praxishandbuch «Augmented und Mixed Reality für Marketing, Medien und Public Relations» zeigt sie auf, wie Realität und Virtualität miteinander verschmelzen. Mehr über ihren Werdegang und ihre Überzeugungen finden Sie auf ihrer Website.
Eintauchen und AR/VR selbst erleben: Im nächsten «Community im Gespräch», mit «Demo» und Apéro. Besuchen Sie den Anlass «LÄBIG»: Augmented und Virtual Reality – wie finden KMU den Einstieg?» Am Mittwoch, 25. Mai 2022, 17.30 Uhr bis 19.30 Uhr in Rotkreuz erfahren Sie mehr über die Anwendungspotenziale in unterschiedlichsten Branchen. Tauchen Sie im Immersive Realities Center ein in faszinierende virtuelle und augmentierte Realität.
Augmented und Virtual Reality halten Einzug in diverse Branchen. Die Potenziale von XR sind vielen KMU im Grunde bereits bewusst. Die derzeitigen Bedürfnisse der einzelnen Unternehmen sind indes sehr unterschiedlich. Was machen KMU aus den neuen Möglichkeiten? Wie finden sie den Einstieg? Wo liegen Herausforderungen? Ein Lagebericht des Immersive Realities Research Labs und Centers der Hochschule Luzern mit Nathaly Tschanz.
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Praxisnahe Aus- und Weiterbildung: Der XR-Markt wächst stark und benötigt immer mehr ausgebildete Fachkräfte. Bereits jetzt bietet die Hochschule Luzern – Informatik Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im XR-Bereich an. Das Angebot wird per 2022 noch weiter ausgebaut.
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