Herr Smolic, der KI-Jesus hat weltweit Schlagzeilen gemacht: von Luzern bis München, von Vatikan bis in die USA, von Jordanien, Israel bis Indien. Was hat Sie daran am meisten überrascht?
Aljosa Smolic: Wir wussten, dass das Thema Potenzial hat. Doch das globale Echo hat uns überrascht. Zunächst berichtete die nationale Presse, wie die Neue Zürcher Zeitung oder das Schweizer Radio SRF. Eines Morgens schickte mir ein Freund aus den Niederlanden die Nachricht, dass der Artikel in The Guardian erschienen sei – das fühlte sich an wie eine kleine Bombe. Daraufhin folgten internationale Medien wie Forbes oder das US-amerikanische National Public Radio NPR. Das Medien-Echo ist überwältigend.
Warum glauben Sie, war das Interesse so gross?
Das Projekt trifft den Nerv der Zeit. Es verbindet Religion mit künstlicher Intelligenz. Dieses Spannungsfeld sorgt für Diskussionen. Menschen fühlen sich davon angezogen. Dazu gehören Fachpersonen, Medien und Interessierte, die mit dem KI-Jesus sprechen wollten. Auch gesellschaftliche und ethische Fragen rund um KI spielen eine bedeutende Rolle.
Wir werden das System analysieren und wollen neue Erkenntnisse gewinnen. Diese Ergebnisse möchten wir in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlichen und referenzieren.
Welche wissenschaftlichen Ziele verfolgen Sie mit «Deus in Machina»?
Uns ging es von Anfang an nicht nur um die Interaktion mit einem konversationellen KI-Avatare. Unser Ziel ist es, das System zu analysieren und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Ergebnisse möchten wir in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlichen und referenzieren. Dabei geht es um technische Aspekte der Realisierung eines solchen Systems und der Mensch-Maschine-Schnittstelle, sowie um die sozio-kulturelle Auswertung der Interaktionen. Künftig präsentieren wir das Modell auch in Fachkreisen, beispielsweise auf KI-Konferenzen.
Das Projekt in der Peterskapelle war nur für eine begrenzte Zeit verfügbar. An die 1’000 Interessierte haben sich vor Ort mit dem KI-Jesus unterhalten. Wo befindet er sich jetzt?
Aktuell befindet er sich bei uns im Immersive Reality Center in Rotkreuz. Dort möchten wir ihn unseren Gästen anbieten. Wir haben vor, ihn an Tagen der offenen Tür einsetzbar zu machen. Eine permanente Installation an einem anderen Ort ist nicht geplant, auch wegen der Finanzierung.
Das Thema hat Potenzial, Religionen zu beeinflussen. Menschen hinterfragen bereits die Rolle von KI in spirituellen Zusammenhängen.
Könnte der KI-Jesus als Kunstprojekt auf Tournee gehen?
Es gibt Anfragen. Wir erhielten beispielsweise eine Einladung, ihn bei einer Kunstausstellung in Wien zu präsentieren. Das ist jedoch noch nicht spruchreif.
Wird KI Ihrer Meinung nach Religionen langfristig verändern?
Das Thema hat Potenzial, Religionen zu beeinflussen. Menschen hinterfragen bereits die Rolle von KI in spirituellen Zusammenhängen. Die Fragen reichen von technischen Bedenken, bis zu tiefgehenden ethischen Überlegungen. Unser Projekt zeigt, wie wichtig der Dialog zwischen Technologie, Gesellschaft und Religion ist.
Der Vatikan verfolgt die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz genau und diskutiert die damit verbundenen ethischen Fragen. Papst Franziskus hat bereits betont, dass technologische Innovationen dem Wohl der Menschheit dienen sollten. Ihr Einsatz muss ethisch verantwortungsvoll erfolgen.
Bisher hat der Vatikan offiziell keine Stellungnahme zum «Deus in Machina»-Projekt abgegeben. Doch der für Künstliche Intelligenz zuständige Vertreter des Vatikans zeigte Interesse und erkundigte sich nach dem Projektverlauf. Dies verdeutlicht, dass der Heilige Stuhl solche Entwicklungen aufmerksam beobachtet. Daher könnten sie in künftigen Überlegungen zur Rolle der Technologie in der Kirche eine Rolle spielen.
Das offizielle Nachrichtenportal des Heiligen Stuhls «Vatikan News» schrieb, dass der KI-Jesus Gelegenheit biete, über die Seelsorge und die Rolle von Technologie in religiösen Praktiken zu reflektieren.
Könnte Ihr KI-Modell auch anderweitig im Bereich Lebenshilfe oder Spiritualität nützlich sein?
Wir denken darüber nach, wie wir solche Systeme für andere gesellschaftlich relevante Anwendungen weiterentwickeln. Zukünftige Projekte könnten KI-Avatare für spezielle Themen wie Therapie oder Bildung nutzen. Unser Modell könnte als Trainer oder Berater für Fachfragen dienen. Der KI-Jesus ist ein erster Prototyp, ein ‹Blueprint› für weitere Anwendungen.
Was planen Sie als Nächstes?
Wir werden die Ergebnisse gründlich analysieren und der Fachwelt zur Verfügung stellen. Ausserdem planen wir die Integration des KI-Jesus-Modells in zukünftige Forschungsprojekte.
Das Kunstprojekt Deus in Machina mit dem KI-Jesus fand vom 23. August bis 20. Oktober 2024 in der Peterskapelle Luzern statt. Über 900 Gespräche wurden geführt, wobei die Mehrheit der Interessierten Deutsch als Sprache wählte. Rund 200 Gespräche wurden auf Englisch geführt. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterhielten sich auch in Chinesisch, Vietnamesisch und Polnisch. Der KI-Jesus unterstützt über 100 Sprachen.
Hören Sie hier rein: Das Schweizer Radio SRF zog nach der Ausstellung Bilanz.
Auf unserer offiziellen Website Deus in Machina – AI Jesus finden Sie zudem eine Aufzeichnung des Symposiums «Sakrale Stimulation: Die KI im spirituellen Dialog».
Veröffentlicht am: 23. Dezember 2024
Interview: Gabriela Bonin
Experte für immersive Technologien: Aljosa Smolic Co-Leiter des Immersive Realities Research Labs der Hochschule Luzern – Informatik. Zuvor leitete er die Forschungsgruppe V-SENSE am Trinity College Dublin und arbeitete bei Disney Research Zürich sowie dem Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut. Seine Expertise liegt in immersiven Technologien wie AR, VR und volumetrischem Video sowie der Integration von Deep Learning in Visual Computing.
Forscht und entwickelt für Organisationen Prototypen: Das Immersive Reality Center (IRC) der HSLU befasst sich mit immersiven Technologien. Diese ermöglichen jene technologischen Ansätze, die das Abtauchen in virtuelle Welten oder Umgebungen erlauben. Forschende entwickeln im integrierten Research Lab Prototypen und Anwendungen. Interessierte Unternehmen und Bildungsstätten aus der Region können im Showroom neue Technologien ausprobieren. Die Forschenden realisieren mithilfe von Expertinnen und Experten Projekte. Dabei greifen sie auf die Infrastruktur des Centers zurück.
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