Artificial Intelligence & Machine Learning,
Unter dem grauen Himmel von Rotkreuz leuchtet Laura Livers’ knallorange-roter Mantel. Gerade kommt sie aus einer Vorlesung, doch ihre Gedanken sind woanders. Seit Tagen tüftelt sie an einem KI-gestützten Avatar für TikTok – ein Projekt für ihren Studiengang in Artificial Intelligence und Machine Learning.
Die Hochschule Luzern ist am Samstag, 8. März mit einem grossen Stand im Untergeschoss des Bahnhofs Luzern im Rahmen des weltweiten Engineers’ Day präsent. 2025 ist das Motto «Frauen in Ingenieursberufen». Die HSLU zeigt spannende Projekte aus den Departementen Informatik und Technik & Architektur.
Mit vor Ort ist auch Laura Livers. Sie präsentiert eine Installation, die sichtbar macht, wie Künstliche Intelligenz Gesichter erkennt – und was sie dabei (nicht) sieht.
Während wir intuitiv Gesichter erfassen und Emotionen deuten, arbeitet ein Algorithmus völlig anders: Er analysiert Pixelwerte, segmentiert Objekte, berechnet Konturen und Gradienten und abstrahiert Muster, bis daraus eine Annäherung an das entsteht, was wir als Gesicht wahrnehmen. Doch wie zuverlässig ist das? Und wo liegen die Grenzen?
«Eigentlich ist das Projekt viel zu schwierig für mich», gibt sie zu und lacht. «Aber genauso lerne ich. Ich muss mich an Dinge heranwagen, die ich noch nicht kann.» Die Theorie reicht ihr nicht – sie will anwenden, ausprobieren, verstehen. So war es auch in der Musik: Verstehen und wirklich begreifen sind zwei verschiedene Dinge, das wusste schon ihre Klavierlehrerin.
Lange bewegte sich Laura Livers in einer ganz anderen Welt. Als ausgebildete Pianistin und Komponistin trat sie auf internationalen Bühnen auf, spielte in Theatern und Opernhäusern, reiste durch Europa und die USA. Doch das Leben als freischaffende Musikerin war oft ein finanzieller Drahtseilakt.
Dann kam das Frühjahr 2020 – und mit ihm der Lockdown. «Plötzlich schrumpfte meine Welt auf die Grösse eines Laptop-Bildschirms.» Konzerte wurden abgesagt, Nebenjobs als Barkeeperin oder Musikkritikerin fielen weg. Livers stand vor einer schwierigen Entscheidung: Abwarten oder umdenken?
Sie entschied sich fürs Umdenken. Ein Freelancer-Job, bei dem sie Trainingsmaterial für KI-Modelle erstellte, wurde ihr Notanker. Vieles Technische musste sie sich selbst beibringen – doch sie merkte schnell: Es fiel ihr erstaunlich leicht.
Die Frage liess sie nicht mehr los: Könnte Informatik ein stabiles und spannendes zweites Standbein sein? «In der Musik stimmen Aufwand und Ertrag oft nicht», sagt sie nüchtern. Also begann sie, Programmierkurse für Frauen zu besuchen, lernte Python, sprach mit IT-Expertinnen. Dabei wurde ihr klar: Viele hatten nicht den klassischen Werdegang. «Man muss nicht schon mit zwölf den ersten Computer auseinandergenommen haben.»
Man muss nicht schon mit zwölf den ersten Computer auseinandergenommen haben.
Statt einer verkürzten IT-Lehre entschied sie sich für ein Studium an der Hochschule Luzern – mit Schwerpunkt auf Künstliche Intelligenz und Machine Learning. Und warum genau dieser Studiengang? «Ich bin zufällig über eine Werbeanzeige gestolpert», sagt sie und schmunzelt.
Bevor sie ihr Studium beginnen konnte, musste Livers erst einmal ein Mathe-Repetitorium absolvieren. «In der Matura hatte ich eine 2,5, weil ich nie wirklich aufgepasst habe», sagt sie. Sie wusste, dass sie ihre Stärken in den musischen Fächern hatte – und dass sie damit ausgleichen konnte. Doch jetzt ist Mathematik keine Nebensache mehr, sondern die Grundlage ihres Studiums. Deshalb investiert sie viel – sie kann es sich nicht leisten, nicht dranzubleiben. «KI und Machine Learning sind eigentlich nur Mathematik – in einem Trenchcoat und mit Clownsnase. Zum Glück wusste ich das vorher nicht», sagt sie und lacht.
Sowieso lacht Laura viel. Sie nimmt sich selbst nicht allzu ernst, hat aber eine gesunde Portion Stolz auf das, was sie bereits erreicht hat. Trotzdem gibt es Momente des Zweifelns: Wenn der Code nicht läuft, wenn sie stundenlang an einer Aufgabe verzweifelt, während es anderen scheinbar mühelos gelingt.
Drei Mal scheitern, bevor etwas gut wird – das ist die Grundregel.
Doch für sie ist klar: Erfolg kommt nicht ohne Rückschläge. «Drei Mal scheitern, bevor etwas gut wird – das ist die Grundregel», sagt sie. Aufgeben? Keine Option. «Wenn ich etwas anfange, dann mache ich es fertig. Das ist mein Naturell. Das hat mich in die Musik gebracht – und jetzt in die Informatik.»
Für Livers gibt es klare Parallelen zwischen Musik und Informatik. Beide basieren auf Regeln, Mustern und Strukturen. «In der Musik wie in der Informatik geht es darum, Dinge zu verstehen, zu strukturieren und zu perfektionieren», erklärt sie.
Der Frauenanteil in der IT ist katastrophal
Livers ist Feministin – und macht kein Geheimnis daraus. «Der Frauenanteil in der IT ist katastrophal», sagt sie. «Das erste Mal seit langer Zeit sitze ich in einem Raum und bin eine von ganz wenigen Frauen. Ich habe mich darauf vorbereitet, aber es ist trotzdem spürbar.»
Das Thema Gleichstellung sei in der Informatik längst nicht dort, wo es in der Musikbranche ist. «An der HSLU gibt es zwar Dozierende und Studierende, die sich wirklich Mühe geben. Sie gendern ihre Folien, sie achten auf inklusive Sprache. Gleichzeitig gibt es andere, die meinen, Gleichstellung gehe sie nichts an. Oder die sich direkt angegriffen fühlen, sobald das Thema aufkommt.»
Für Livers ist es vor allem wichtig, niemanden auszuschliessen, keine voreiligen Annahmen zu treffen. «Ich verstehe, dass inklusive Sprache für manche eine Umstellung ist – wir haben noch so viele Artefakte aus alten Zeiten in unseren Köpfen.» An der Hochschule engagiert sie sich deshalb auch für Frauen in der IT und ist Teil der Women-in-AI-Gruppe.
Heute, im fünften Semester ihres AI-Studiums, fühlt sich Livers angekommen. Dass sie Teilzeit studiert, gibt ihr die Möglichkeit, nebenbei noch Musikunterricht zu geben oder aufzutreten. Dieses Semester freut sie sich über die Fächer Computer Vision und Reinforcement Learning
Theorie interessiert sie eigentlich nicht besonders – aber sie weiss, dass sie ohne sie nicht auskommt. «Das ist wie in der Musik. Du brauchst Theorie, um gut zu sein. Auch wenn sie dich nicht interessiert, musst du sie lernen und sie dann kreativ nutzen»
Zurück zu Livers› aktueller Leidenschaft: Gesichtserkennung. Den Anstoss gab ein KI-Avatar-Projekt für TikTok, an dem sie sich ein Semester lang die Zähne ausgebissen hat.
Dabei galt es zuerst zu verstehen, dass ein Algorithmus eigentlich gar nichts «weiss» – und schon gar nicht, was ein Gesicht ist. Stattdessen analysiert er Pixelwerte, segmentiert Objekte, berechnet Konturen und Gradienten und abstrahiert Muster, bis daraus eine Annäherung entsteht, die wir Menschen mühelos als Gesicht erkennen.
Ein Algorithmus weiss eigentlich gar nichts – und schon gar nicht, was ein Gesicht ist.
Am 8. März präsentiert Livers am Engineers’ Day, dem Aktionstag für Ingenieur:innen, eine Installation, die genau diese Prozesse sichtbar macht. Schicht für Schicht zeigt sie, was im Hintergrund passiert, wenn wir in unser Smartphone schauen – und uns zum Spass Hasenohren aufsetzen lassen.
Für Livers ist es genau die Art von Herausforderung, die sie sucht: komplex, praktisch und voller Möglichkeiten. Zwischen Codezeilen, Algorithmen und mathematischen Modellen hat sie eine neue Bühne gefunden – eine, auf der die Blackbox KI für alle ein Stück transparenter wird.
Veröffentlicht: 6. März 2025
Von: Yasmin Billeter
Engineers’ Day in Luzern am 8. März: Der Aktionstag für Ingenieur:innen
Wer Laura Livers und ihr Projekt live erleben möchte, hat am 8. März Engineers’ Day: dem Aktionstag für Ingenieur:innen, die Gelegenheit dazu. Der Tag steht 2025 ganz im Zeichen des Weltfrauentags – und rückt dabei Frauen in den Ingenieurwissenschaften ins Rampenlicht. Livers wird dort neben anderen Ingenieurinnen der Hochschule Luzern ihre Installation zeigen.
Laura Livers begann ihre berufliche Laufbahn als Bühnenmusikerin: Erst akustisch mit Klavier, später elektronisch mit Synthesizer und Vocoder. Sie hatte Auftritte auf 3 Kontinenten, Grossproduktionen im Theater und der Oper, und längere Aufenthalte in New York und Berlin. Zur Zeit studiert Laura an der HSLU Artificial Intelligence and Machine Learning im 5. Semester.
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