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Im Aufwind: KI in der Rechtsprechung

Im Aufwind: KI in der Rechtsprechung
Frühmoderne Vorstellung eines künstlichen Richters: Der englische Philosoph Thomas Hobbes beschrieb 1651 die Figur Leviathan. Sie herrscht als künstliche Richtinstanz über Länder, Städte und Menschen. (Bildquelle: Wikipedia)

Der Einsatz künstlicher Intelligenz im Recht ist auf dem Vormarsch. Ideen von Rechtsmaschinen sind allerdings nicht neu. Ein Blick zurück in die Geschichte hilft, heutige Entwicklungen einzuordnen. Nun gilt es, die richtigen Fragen zu stellen.  

Von Michael Günter, Teilnehmer des CAS Transformation der öffentlichen Verwaltung

Das Projekt Justitia 4.0 verfolgt die Digitalisierung der Schweizer Justiz. Es will das Papier aus der Justiz entfernen. Der Terminus «4.0» lässt unweigerlich an die Digitalisierung im Bereich «Industrie 4.0» denken: Diese ist geprägt durch das Internet der Dinge (IoT), Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik.

Die Digitalisierung des Rechts schreitet rasant voran. Ein zentrales Problem dabei ist, dass der Mensch bislang nicht versteht, wie der Computer zu Entscheidungen kommt. Es muss nachvollziehbar werden, wie KIs entscheiden. Das ist das Ziel der technischen Disziplin Explainable AI (XAI).

Ladan Pooyan-Weihs, Co-Programmleiterin des CAS Transformation der öffentlichen Verwaltung

Darum geht es bei Justitia 4.0 zwar nicht, aber es ist zu erwarten, dass auch in der Justiz vermehrt Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen wird. Ideen von Rechtsmaschinen sind allerdings nicht neu. Philosophen und Rechtsgelehrte erörterten schon vor Jahrhunderten Konzepte automatisierter Rechtsfindung.

Historische Beschreibungen von Rechtsmaschinen

Überlegungen zur maschinellen Urteilsfindung sind nicht neu. Bereits der englische Philosoph Thomas Hobbes beschrieb 1651 die Notwendigkeit eines Gesellschaftsvertrages. Bürger und Bürgerinnen verzichten darin auf alle Macht ihrer Freiheit zugunsten einer übergeordneten Instanz. Diese sorgt dafür, dass Gesetze eingehalten und ihre Verletzung mit Strafen belegt wird. Dazu ersinnt Hobbes einen künstlichen Menschen: den Leviathan.

Dieses Video erklärt, worauf das Projekt Justitia 4.0 abzielt: Es ersetzt die Papierakten in der Schweizer Justiz durch elektronische Dossiers. Damit wird die elektronische Kommunikation zwischen Verfahrensbeteiligten und Justizbehörden gefördert.

Auch die Philosophen  René Descartes  und Immanuel Kant verglichen die Welt mit einer Maschine. Darin ist die Rechtsprechung – einem Uhrwerk gleich – nur ein kleines Rädchen im Werk. 

Die Richter des Volkes aber sind, wie gesagt, nur der Mund, der die Worte des Gesetzes spricht.

Baron de Montesquieu, Philosoph der Aufklärung

Der französische Staatstheoretiker Montesquieu beschrieb die Richter als Subsumtionsautomaten: «Les juges de la nation ne sont, comme nous avons dit, que la bouche qui prononce les paroles de la loi» («Die Richter des Volkes aber sind, wie gesagt, nur der Mund, der die Worte des Gesetzes spricht.»)

Was ist ein Subsumtionsautomat?

Man kann sich darunter vereinfacht gesagt eine «Urteilsmaschine» vorstellen. In der Rechtswissenschaft wird der Begriff «Subsumtion» als Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Lebenssachverhalt («Fall») verstanden. Ein Subsumtionsautomat steht folglich für die Automatisierung der Rechtsfindung.

Beim rechtshistorischen Bild des Richters wird dieser selbst als Subsumtionsautomat verstanden. Man geht davon aus, dass die Gesetze oder Rechtserlasse so genau und umfassend sind, dass die Aufgabe der Justiz lediglich noch darin besteht, den sich bietenden Sachverhalt unter einen Rechtserlass einzuordnen – ohne zusätzliche Eigenleistung. Dadurch lassen sich die Anweisungen dieses Erlasses quasi blind und ohne Eigenverantwortung vollziehen.

Im heutigen Kontext wird der Begriff Subsumtionsautomat im Zusammenhang mit Legal Technology genutzt. Dieser Bereich der Informationstechnik befasst sich mit der Automatisierung von juristischen Tätigkeiten. Das Ziel dabei ist, die Effizienz des rechtlichen Arbeitens zu erhöhen – unter anderem mithilfe von KI-Programmen.

Dabei treffen Richter und Richterinnen keine eigene Entscheidung, sondern wiederholen – quasi auf Algorithmen basierend – lediglich, was im Gesetz vorgegeben ist.

Der Paragrafenautomat des deutschen Rechts-Soziologen Max Weber ist eine weitere Beschreibung einer Rechtsmaschine: Dabei wirft man oben alle nötigen Akten, die Kosten und Gebühren ein und unten spuckt die Maschine das Urteil aus.

Algorithmen liefern Antworten auf standardisierte Problemstellungen

Heute gibt es verschiedene Dienstleistungsbereiche, welche mit Hilfe von Algorithmen Aufgaben übernehmen, die früher Juristen und Juristinnen erledigt haben: So etwa die App DoNotPay, die Ratsuchende bei einfachen Rechtsfragen nutzen. Sie wurde ursprünglich für die simple Aufgabe der Überprüfung von Bussen wegen Falschparkens entwickelt. Inzwischen hat sich ihr Anwendungsbereich ausweitet.

Derartigen Angeboten gemeinsam ist, dass sie Antworten auf standardisierte Problemstellungen bieten, beispielsweise Erstattungsansprüche behandeln.

Auch in der Rechtsanwendung gibt es Bereiche, in welchen standardisiert Recht gesprochen wird. Sie wären für die bereits existierende künstliche Intelligenz zugänglich. So könnten sie beispielsweise bei Ordnungsbussenverfahren zum Einsatz kommen.

Im Ausland sind diesbezüglich vollautomatisierte Systeme bereits implementiert. In Amsterdam kursieren sogenannte ScanCars, die mit 360-Grad-Kameras durch die Stadt fahren. Die Fahrzeuge erkennen automatisch, wer unberechtigt parkt. Sie lösen vollautomatisch Übertretungsanzeigen aus, die den Falschparkenden zugestellt werden.

ScanAutos scannen in Amsterdam falsch geparkte Autos. Die Strafzettel werden im Backoffice automatisch ausgestellt. (Bildquelle: BT Global Services)

In der Schweiz wird dies noch nicht praktiziert, unter anderem, weil die gesetzliche Grundlage dazu fehlt. In einigen Kantonen laufen jedoch Projekte, welche eine gesetzliche Grundlage für die automatisierte Autonummernerfassung liefern sollen. So etwa in Luzern, wo es der Polizei erlaubt werden soll, Nummernschilder automatisch zu scannen. Dabei wird betont, dass dies der Bekämpfung von Verbrechen dienen soll und nicht der Suche nach Parksündern.

Auch im Strafrecht gibt es im Rahmen der Strafzumessung auf Algorithmen basierende Hilfsmittel, so etwa bei Betäubungsmitteldelikten. Weitere vorstellbare Anwendungsbereiche von KI sind das Steuerrecht oder andere standardisierte Verfahren: etwa Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege oder die Anordnung von Untersuchungshaft.

Auch im Schnittstellenbereich von Justiz und Psychiatrie wird künstliche Intelligenz eingesetzt: Dies unter Bezeichnungen wie ROS (Risikoorientierter Sanktionenvollzug) oder COMPAS (Correctional Offender Management Profiling for Alternative Sanctions): Hierbei hilft die KI, zu beurteilen, ob bei Straftäterinnen und Straftätern eine Rückfallgefahr besteht.

Damit verwandt ist das im Rahmen der Polizeiarbeit eingesetzte predictive policing (die vorhersagende Polizeiarbeit). Dabei warnt eine Software die Polizei, bevor ein Verbrechen überhaupt begangen wird. 

Fragen, die nun gestellt werden müssen

Eine Automatisierung der Rechtsprechung mittels KI wirft neue Fragen auf:

  • Wie sieht es mit Verhältnismässigkeitsabwägungen im Einzelfall oder dem Rechtsmissbrauchsverbot aus?
  • Braucht es bei automatisierter Rechtsprechung noch mehrere Gerichtsinstanzen?
  • Können Maschinen irren?
  • Braucht es deshalb auf oberen Instanzen menschliche Entscheidungsträger und -trägerinnen?
  • Ist Irren nicht vielmehr menschlich, sodass es zwecks Korrektur automatisierte Rechtsprechung auf oberen Instanzen bräuchte?

Man darf gespannt sein, was die Zukunft bringt.

Weiterführender Link:

Frage in die Runde: Was denken Sie über die Fragen, die unser Autor aufwirft? Bitte schreiben Sie Ihre Überlegungen zuunterst in die Kommentarspalte.

Veröffentlicht am 5. April 2023

Hinweis: Dieser Blogbeitrag wurde im Rahmen eines Leistungsnachweises für das CAS Transformation der öffentlichen Verwaltung verfasst. Er wurde geprüft und redaktionell aufbereitet.

Richtet derzeit noch auf der Basis menschlicher Intelligenz:  Dr. iur. Michael Günter ist Richter am Bezirksgericht Kriens sowie am Kriminalgericht des Kantons Luzern. Er bloggt aus dem Unterricht des Fachkurses Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung.

 Weiterkommen mit dem  CAS Transformation der öffentlichen Verwaltung: Die Digitalisierung führt zu weitreichenden Veränderungen in der staatlichen Leistungserstellung. Dieses CAS vermittelt den Teilnehmenden, wie sie Digitalisierungsprojekte in der öffentlichen Verwaltung erfolgreich umsetzen. Sie erhalten konkrete Praxisempfehlungen für das Daten- und Prozessmanagement. Die Teilnehmenden befassen sich mit neuen Organisationsstrukturen und einer neuen Führungskultur.

Aktueller LesetippChat GPT & Co. – Was sagt das Urheberrecht? – eine Analyse von Isabelle Oehri, Dozentin und stellvertretende Leiterin CC Management and Law am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie IBR der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

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