Artificial Intelligence & Machine Learning,

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«Die Künstliche Intelligenz ist einschneidender als alle Technologien, die wir bisher kennen»

«Die Künstliche Intelligenz ist einschneidender als alle Technologien, die wir bisher kennen»
Mit dem neuen Bachelor-Studium reagiert das Departement Informatik auf die steigende Nachfrage der Wirtschaft nach Fachkräften in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen. (Bild: Martin Vogel)

By Yasmin Billeter

Mit dem schweizweit ersten Bachelor-Studiengang Artificial Intelligence & Machine Learning prescht das Departement Informatik vor. Wir haben mit Dozent und Forscher Marc Pouly über die wachsende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI), ethische Fragen und das neue Studium gesprochen.

Informatik-Blog: Marc Pouly, welchen Stellenwert besitzt das Thema KI am Departement Informatik?

Marc Pouly: Künstliche Intelligenz ist am Departement Informatik ein aktuelles Schwerpunktthema. Mehrere Forschungsteams befassen sich in unterschiedlichen Ausprägungen damit, in der Bachelor-Ausbildung gibt es einen Major, und auch der Master of Science in Engineering ist stark durch Data Science und Machine Learning geprägt.

Und warum bietet die Hochschule Luzern nun noch einen Bachelor-Studiengang Artificial Intelligence & Machine Learning an?

Der Bedarf an Spezialistinnen und Spezialisten in diesem Bereich steigt und kann nicht gedeckt werden. Für Tech- und Pharmafirmen oder Grossbanken ist dies weniger ein Problem. Sie können weltweit Fachkräfte rekrutieren. Diese Möglichkeit haben Schweizer KMUs kaum. Sie sind auf lokal verfügbare Spezialistinnen und Spezialisten angewiesen. Aus diesem Grund haben wir uns auch für ein Ausbildungsprogramm auf Stufe Bachelor entschieden.

Viele KI-Technologien sind heute barrierefrei verfügbar; für Umsetzung, Evaluation und Integration in Software-Projekte braucht es in vielen Fällen keine Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern vielmehr gut ausgebildete Ingenieurinnen und Ingenieure.

«Viele Firmen sitzen auf vermeintlich wertvollen Daten, sehen sich aber nicht in der Lage, aus diesen Daten konkrete Wertschöpfung zu generieren.»

Prof. Dr. Marc Pouly

Das stetig zunehmende Interesse von Schweizer KMUs an KI-Lösungen bemerken wir auch in unserem Forschungsteam: Viele Firmen sitzen auf vermeintlich wertvollen Daten, sehen sich aber nicht in der Lage, aus diesen Daten konkrete Wertschöpfung zu generieren.

Das Wissen um Machbarkeit, Aufwand, Risiko und Potenzial moderner KI ist in den meisten KMUs nicht verfügbar. Wir hoffen, dass unsere Absolventinnen und Absolventen diese Lücke füllen und den Innovationsmotor der Schweizer KMUs weiter antreiben werden.

Prof. Dr. Marc Pouly, Studiengangleiter Master of Science in Engineering und Forschungskoordinator Algorithmic Business Research an der Hochschule Luzern, hat das neue Studienangebot mitentwickelt.

Wie ist das Studium aufgebaut?

80 Prozent des Curriculums sind KI-fokussiert, 20 Prozent sind frei wählbar. So können sich die Studierenden ein Zusatzprofil innerhalb der Informatik erarbeiten.

Beispielsweise kann sich ein Studierender durch geschickte Modulwahl die gleichen Kompetenzen in Software Engineering aneignen wie ein Bachelor-Absolvent der Informatik mit entsprechender Vertiefung.

Auch Kombinationen von KI mit Wirtschaftsinformatik, Systemtechnik oder Security wären naheliegend, jedoch soll auch die komplett freie und interessensgetriebene Gestaltung dieses Zusatzbereichs möglich bleiben. Wir setzen entsprechend viel stärker auf individuelle Laufbahnberatung statt auf vorgegebene Profile.  

«Wir hoffen, dass unsere Absolventinnen und Absolventen den Innovationsmotor der Schweizer KMUs weiter antreiben werden.»

Prof. Dr. Marc Pouly

Die Künstliche Intelligenz ist ein weites Feld. In welcher Form wird sie im Studium vermittelt?

Die Studierenden lernen und üben die elementaren Techniken der KI wie beispielsweise Maschinelles Lernen, Planung, Optimierung oder Wissensrepräsentation und werden praxisbezogen im Data-Science-Handwerk ausgebildet. Anschliessend folgen projektorientierte Anwendungsmodule in Robotik, Bild- oder Textanalyse.

Explizit fördern möchten wir auch die Teilnahme an Wettbewerben, Hackathlons usw. Zurzeit finden zum Beispiel Gespräche mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) über eine gemeinsame Wettbewerbsplattform in Social Robotics statt.

Da der neue Studiengang interdisziplinär ist, hat das Departement Technik & Architektur den Robotik- und Mechatronik-Aspekt eingebracht, die Departemente Soziale Arbeit und Design & Kunst die ethischen, philosophischen und psychologischen Auseinandersetzungen mit der KI. Welche Interaktionsformen zwischen Mensch und Maschine müssen wir entwickeln, wenn Roboter die Pflege älterer Menschen unterstützen sollen? Welche Entscheidungen können und wollen wir als Individuum, als Firma oder Gesellschaft einer KI überlassen? Es gibt viele weitere solche Fragen.

Schlussendlich wollen wir bei unseren Studierenden auch unternehmerische Kompetenzen fördern und hoffen, dass unser Studiengang Geburtshelfer für so manches Start-up sein darf.

In welcher Tiefe werden die technischen Inhalte behandelt?

Bisher haben sich Informatikstudierende erst im fortgeschrittenen Studium mit dem Thema KI auseinandergesetzt – zum Beispiel im Rahmen eines spezialisierten Master-Programms oder wie in meinem Fall im Rahmen des Doktorats. Dieses unausgesprochene Gesetz zu hinterfragen, ja schlussendlich sogar zu verwerfen, war für mich und meine Kolleginnen und Kollegen ein erhellender Prozess.

Moderne KI-Technologien erlauben heute andere didaktische Herangehensweisen als nur über das Studium der logisch-mathematischen Grundlagen, und damit ermöglichen sie auch neuartige Berufsbilder.

Prof. Dr. Marc Pouly

Moderne KI-Technologien erlauben heute andere didaktische Herangehensweisen als nur über das Studium der logisch-mathematischen Grundlagen, und damit ermöglichen sie auch neuartige Berufsbilder.

Wir haben selbstverständlich nicht den Anspruch, auf Stufe Bachelor Wissenschaftlerinnen oder Entwickler von selbstfahrenden Autos auszubilden. Vielmehr sollen unsere Studierenden auf die industrielle Umsetzung typischer Anwendungsfälle von KI in unterschiedlichen Branchen wie Retail, Marketing, Medtech oder Finance vorbereitet werden.

Inwiefern werden ethische Fragen im Studium berücksichtigt?

Die Diskussion und Reflexion ethischer Fragestellungen wird bedeutend sein. Die Studierenden werden sich überlegen müssen, wie ihre Projekte in einem ethischen Kontext einzuordnen sind, um in Kombination mit ihrem Fachwissen eine qualifizierte Meinung vertreten zu können.

Wir werden als Gesellschaft in Bezug auf unsere Wertevorstellungen wohl künftig unglaublich gefordert sein, wenn tatsächlich eintrifft, was die Entwicklung andeutet.

Sie sprechen von den Gefahren der KI?

Ich spreche von Herausforderungen. Die Künstliche Intelligenz ist vielleicht weit einschneidender als alle Technologien, die wir bisher kennengelernt haben. Die ethischen Fragen sind dabei umfassender als die überspitzt konstruierten Beispiele, von denen man immer wieder liest.

Unser Ziel ist, dass die Studierenden diese Technologie so tief verstehen, dass sie sich mit ethischen und gesellschaftspolitischen Fragen qualifiziert auseinandersetzen und die Folgen ihres Tuns abschätzen können.

«Unser Ziel ist, dass die Studierenden diese Technologie so tief verstehen, dass sie sich mit ethischen und gesellschaftspolitischen Fragen qualifiziert auseinandersetzen und die Folgen ihres Tuns abschätzen können.»

Prof. Dr. Marc Pouly

«AI Safety» nimmt einen zentralen Stellenwert ein. Dabei geht es um die Frage, wie die Menschheit es schafft, sichere und vertrauenswürdige KI-Systeme zu entwickeln.

Aber auch ohne, dass wir als Gesellschaft in unseren grundsätzlichen Wertevorstellungen herausgefordert würden, zwingt uns der Einsatz von KI-Technologie immer zu einer (firmen-)kulturellen Weiterentwicklung: Es gehört zum Alltag einer Firma, sich mit menschlichen Fehlern oder Softwarefehlern auseinandersetzen zu müssen.

Wie aber gehen wir mit Fehlern einer Künstlichen Intelligenz um, zum Beispiel, wenn das Recommender System von Amazon aufgrund der Analyse historischer Verkaufsdaten zum Baseballschläger als Sportartikel den Kauf einer Sturmmaske vorschlägt? So etwas ist unabwendbar, denn kein Mensch könnte jemals alle Kombinationen von Empfehlungen über 500 Millionen Produkte begutachten und freigeben. Mit solchen und ähnlichen Situationen müssen wir umgehen können, wenn wir KI-Technologie in den industriellen Einsatz bringen.

Wird die Künstliche Intelligenz der Gesellschaft ihrer Meinung nach mehr dienen oder schaden?

Die Nutzung der Kernenergie stellt vielleicht die grösste gesellschaftliche Errungenschaft des letzten Jahrhunderts dar. Sie ist ein Paradebeispiel für den menschlichen Einsatz von Technologie – im Guten wie im Schlechten.

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz wird uns zweifelsohne wieder mit ähnlichen Fragen konfrontieren. Ein grosser Teil der Menschheit hat noch immer keinen Zugang zu medizinischen Leistungen, und dieser Nachfrage kann unmöglich mit der Ausbildung zusätzlicher Fachkräfte begegnet werden.

In spezifischen Bereichen wie zum Beispiel der Beurteilung von Hautkrebs zeigt die Künstliche Intelligenz bereits heute dem Menschen überlegene diagnostische Leistungen. Und im Gegensatz zur Ausbildung menschlicher Spezialistinnen und Spezialisten skaliert die KI unbeschränkt. Die KI wird unsere Welt im Positiven verändern, konfrontiert uns aber gleichzeitig heute schon mit autonomer Kriegsführung.

Wie wird der Praxisbezug im Studium hergestellt?

Heute schon stellen verschiedene Firmen unseren Studierenden Daten zum Experimentieren mit KI-Technologie zur Verfügung oder sie konfrontieren uns mit ihren aktuellen Herausforderungen, für welche die KI einen neuartigen Lösungsansatz bieten könnte.

Aufgrund unseres Forschungsschwerpunkts sind alle Dozierenden neben ihrer Ausbildungstätigkeit in der industriellen Auftragsforschung tätig, und der Studiengang wird zusätzlich durch externe Expertinnen und Experten zum Beispiel von IBM unterstützt.

Mit der gezielten Förderung von Start-ups möchten wir speziell der Zentralschweiz zu mehr Visibilität verhelfen.

Prof. Dr. Marc Pouly

Wir haben den Anspruch, dass alle Studierendenprojekte einen direkten Bezug zu Auftraggebern aus Industrie und Forschung haben, und mit der gezielten Förderung von Start-ups möchten wir speziell der Zentralschweiz zu mehr Visibilität verhelfen.

Was sollten angehende Studierende mitbringen?

Ein Flair für neue Technologien und ein grundsätzliches Interesse am Programmieren und an der Mathematik setze ich voraus. Letzteres bedeutet nicht, dass man ein ausserordentliches Talent sein muss, sondern dass man sich vorbehaltlos damit auseinandersetzen möchte, wie die Mathematik die Künstliche Intelligenz überhaupt erst ermöglicht.

Besteht auch ein Master-Angebot im Bereich KI?

Der Master of Science in Engineering ist stark durch Machine Learning und Data Science geprägt und bietet damit die Möglichkeit einer direkten Fortführung des KI-Studiums mit engem Bezug zur industriellen KI-Forschung an unserem Departement.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der neue Bachelor-Studiengang Artificial Intelligence & Machine Learning 
An wen richtet sich der neue Studiengang? Welche Berufe eignen sich für Absolventinnen und Absolventen? Mehr dazu

Weitere Studien-Angebote mit KI-Bezug:

Bachelor in International IT Management
Master of Science in Engingeering

Diese Forschungsteams befassen sich mit KI:

Team Algorithmic Business
Team Data Intelligence
Team Digital Business & Artificial Intelligence

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Publiziert: 22. August 2019

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