Mittag auf 1580 Metern. In der Küche des Bergrestaurants Wildspitz, auf dem höchsten Berg des Kantons Zug, herrscht Hochbetrieb – Spitzenzeit für den Energieverbrauch. Photovoltaikanlage, Wärmepumpe und Batteriespeicher stehen hier im Dauereinsatz und bilden zusammen ein komplexes Energiesystem.
Je nach Wetter, Verbrauch und Batterieladung lohnt es sich, die selbst erzeugte Energie direkt zu nutzen oder Strom aus dem Netz zu beziehen. Doch wann soll die Batterie Strom abgeben, und wann lieber speichern?
Diese Frage stellte sich Ramon Stoffel in seiner Bachelorarbeit im Studiengang Artificial Intelligence & Machine Learning an der Hochschule Luzern – Informatik. «Ich wollte herausfinden, wie man die Energie intelligenter steuern kann. Ohne Verzicht, einfach durch klügere Entscheidungen», sagt der Absolvent.
«Ramon Stoffel zeigt, wie angewandte KI echten Nutzen stiften kann. Sie spart Energie, senkt Kosten und bringt nachhaltigen Mehrwert für ein lokales Unternehmen.»
Donnacha Daly, Studiengangleiter, Artificial Intelligence & Machine Learning
Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen green 4 ag und wurde von Energiewende-Spezialisten betreut. Gemeinsam entwickelten sie ein System, das Reinforcement Learning mit Simulationssoftware kombiniert.
Reinforcement Learning ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. Dabei lernt ein System selbstständig, gute Entscheidungen zu treffen. Wenn eine Entscheidung gut ist, bekommt das System eine Belohnung. Wenn nicht, gibt es Minuspunkte. Mit der Zeit erkennt es, welches Verhalten am besten funktioniert.
Beim Reinforcement Learning (RL) lernen Systeme, indem sie Feedback erhalten. RL ist ein Teilgebiet des Maschinellen Lernens (ML). Dieses Erklärvideo bietet einen einfachen Einstieg ins Thema Maschine Learning.
Die Forschenden wollten wissen, ob ein KI-Agent durch echte Daten lernen kann, besser Strom selbst zu nutzen. Sie sollte Spitzenlasten senken und weniger Strom aus dem Netz ziehen.
Wie KI lernt, Strom zu sparen
Bevor Ramon Stoffel das System trainieren konnte, musste er einen digitalen Zwilling des Bergrestaurant erstellen. «Ich musste das ganze Haus digital nachbauen – vom Grundriss bis zum Energiekreislauf. Drei neue Softwareumgebungen, eigene Schnittstellen, eigene Bibliotheken. Das war anspruchsvoll, aber genau das Spannende daran.»
Anschliessend trainierte er einen Reinforcement-Learning-Agenten mit echten Wetterdaten. In vielen Simulationen lernte der Algorithmus, wann es sinnvoll ist, Energie zu speichern und wann sie zu verbrauchen.
Stoffel erklärt anhand eines Beispiels: «Am Mittag, wenn in der Küche Hochbetrieb herrscht, gibt die Batterie Energie ab. Wenn ich weiss, dass morgen wieder Sonne scheint, lasse ich sie teilweise geladen, um Platz für neuen Solarstrom zu haben. So wird weniger Strom aus dem Netz bezogen und der Eigenverbrauch steigt.»
Nach rund 110 Trainingsrunden hatte der Algorithmus das Prinzip verstanden. Mit messbaren Einsparungen von etwa 1,1 Prozent pro Monat. Das klingt nach wenig, zeigt aber das grosse Potenzial solcher lernenden Systeme: «Hochgerechnet auf längere Zeiträume, grössere Gebäude oder Industrieanlagen lassen sich deutliche Effizienzgewinne erzielen.»
Auf dem Weg in den Echtbetrieb
Aktuell läuft die Lösung virtuell. Der nächste Schritt ist der reale Testbetrieb.
«Um im echten Restaurant steuern zu können, müssen alle Geräte – Batterie, Wärmepumpe, Wechselrichter – miteinander sprechen. Das ist heute noch schwierig, weil es keine einheitliche Schnittstelle gibt», erklärt Stoffel.
Ich will Systeme bauen, die Menschen Sicherheit geben und Ressourcen effizienter nutzen. Egal ob Energie oder Geld.
Ramon Stoffel, Alumnus Artificial Intelligence & Machine Learning
Gemeinsam mit green4 arbeitet er nun an einer Plattform, die diese Systeme verbindet. Die Vision: ein skalierbares Energiemanagement mit Dashboard, smarten Empfehlungen und automatischer Alarmierung. Ein lernendes System, das sich stetig selbst verbessert.
Für Ramon Stoffel ist Energieeffizienz kein Zukunftsthema, sondern pragmatische Notwendigkeit: «Energie wird immer wertvoller. Wir müssen lernen, sie gezielt einzusetzen, statt sie zu verschwenden. KI kann dabei helfen. Aber es braucht vor allem Bewusstsein und Wille zur Veränderung.»
Mehr als Energie: Ramon Stoffels Weg zwischen KI und Fintech
Neben seiner Leidenschaft für KI ist Ramon Stoffel auch Unternehmer. Bereits während des Studiums gründete er eine Softwarefirma, arbeitete an Blockchain-Projekten und entwickelt derzeit den ersten regulierten CHF-Stablecoin unter Aufsicht der FINMA. Sein Antrieb bleibt derselbe. Ob im Energiesystem oder in der Finanzwelt: «Ich will Systeme bauen, die Menschen Sicherheit geben und Ressourcen effizienter nutzen. Egal ob Energie oder Geld.»
Von Yasmin Billeter
Veröffentlicht am: 23. Oktober 2025
Projektpartner und technischer Hintergrund
Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit Adrian Baumann von green 4 ag und wurde von den Energiewende-Spezialisten Igor Dremelj und Thierry Pollet betreut.
Ziel war es, ein System zu entwickeln, das Reinforcement Learning mit Simulationssoftware kombiniert, um den Energieverbrauch im Bergrestaurant Wildspitz zu optimieren.
Mehr über den technischen Hintergrund findest du hier:
green4.ch – Reinforcement Learning für Energieoptimierung im Alpenrestaurant
V
Der Absolvent unseres Bachelor-Programms Artificial Intelligence & Machine Learning engagiert sich bei der green4 ag für nachhaltige Energiesysteme und datenbasierte Optimierung. Zudem gründete er die Safirum AG, ein auf Web3-Technologien fokussiertes Unternehmen, sowie die RS Consulting & Partner AG, die sich auf moderne Web2-Softwarelösungen spezialisiert.
Studiengangleiter Artificial Intelligence & Machine Learning
«Was mir an diesem Projekt besonders gefällt, ist der klare Fokus auf angewandte KI. Ramon Stoffel schafft damit echten Mehrwert für ein lokales Unternehmen. Er musste verstehen, wie Energie in einem laufenden Hotel-Restaurant produziert und verbraucht wird, und einen Weg finden, mithilfe von KI den Energiefluss und die Speicherung zu optimieren. So spart das System Energie und senkt die Betriebskosten. Mit fachlicher Unterstützung aus der Industrie ist es ihm gelungen, eine überzeugende Lösung zu entwickeln – ein Proof of Concept für unseren Projektpartner, der weiteres Potenzial für Investitionen und Nutzen eröffnet. Solche greifbaren Ergebnisse für regionale Unternehmen zu schaffen, ist eine zentrale Stärke unserer Studierenden in ihren Abschlussarbeiten.»
Impact Award: Mit Informatik die Welt ein Stück besser machen
Ramon Stoffels Arbeit zeigt exemplarisch, wie Informatik zur Energiewende beitragen kann.
Ab dem Studienjahr 2025/26 zeichnet das Departement Informatik der HSLU solche nachhaltigen Abschlussarbeiten mit dem Impact Award aus.
Der Preis würdigt Bachelor- und Masterarbeiten, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen – etwa durch Energieeffizienz, soziale Innovation oder digitale Verantwortung.
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