Nachwuchsförderung

«Wenn wir die MINT-Aktivitäten bündeln, erreichen wir eine stärkere Wirkung»

«Wenn wir die MINT-Aktivitäten bündeln, erreichen wir eine stärkere Wirkung»
Jugendliche für Robotik und Informatik begeistern: Mädchen unterhalten sich am Nationalen Zukunftstag mit Pepper, dem Roboter der Hochschule Luzern – Informatik.

Von Gabriela Bonin

Ungenutzte Chancen, grosses Potenzial: Wie kann man Jugendliche vermehrt für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) begeistern? Ein Interview mit MINT-Förderer René Hüsler über Kreativität, Koordination und Standhaftigkeit.  

Es wurde bereits viel getan, aber noch nicht genug: Trotz zahlreicher Initiativen besteht in der Schweiz bei der Förderung der zunehmend wichtigen MINT-Kompetenzen noch grosser Handlungsbedarf. So ist es insbesondere noch nicht gelungen, genügend junge Frauen für die Informatik zu begeistern. Diese haben ihre Chancen auf interessante, kreative, herausfordernde und gutbezahlte Arbeitsplätze noch zu wenig erkannt.

Die ICT-Branche (Information and Communication Technology/Informations- und Kommunikationstechnologie) ist weiterhin zu grossen Teilen eine Männerdomäne: Ein Positionspapier des Dachverbandes der ICT-Wirtschaft hält fest, dass die Branche dringend mehr qualifizierte Frauen benötigt. Laut einer Erhebung der ICT-Berufsbildung Schweiz sind nur gerade 15 Prozent aller ICT-Beschäftigten der Schweiz weiblich. Dies entspricht 30’600 Frauen.   

Dabei wäre es wichtig, dass alle gesellschaftlichen Gruppen bestmöglich von der Digitalisierung profitieren. Dazu sollten sie auch gewisse informatische Grundkenntnisse erwerben. Ebenso ist der Arbeitsmarkt darauf angewiesen, dass der Mangel an qualifizierten Fachkräften in der Informatik abgebaut und diversifizierte Teams aufgebaut werden können.

Herr Hüsler, Sie setzen sich engagiert in der MINT-Förderung ein. Welche nächsten Schritte sind hierzulande nötig, um bei Kindern und Jugendlichen mehr Interesse an MINT-Fächern zu wecken?

René Hüsler: In den letzten Jahren haben verschiedenste Akteure zahlreiche Einzelmassnahmen realisiert. Die Initiativen und Projekte einzelner Firmen, Behörden, Schulen und Privater waren zum Teil sehr gut. Das führte zu positiven Effekten. Nun sollten wir diese Engagements bündeln. Wenn wir sie in einem Gesamtpaket vereinen, können wir eine stärkere Wirkung erreichen. Es wäre schön, wenn wir die Einzelaktionen zumindest regional unter einem Dach orchestrieren oder koordinieren könnten.

Nicht nur die Kinder und Jugendlichen brauchen Förderung, auch die Lehrpersonen haben Aufholbedarf …

Bei der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen wurde schon einiges erreicht: Wir beteiligen uns mit der Hochschule Luzern am Aufbau eines nationalen Netzwerks zur Förderung der MINT-Bildung. Dieses pflegen wir gemeinsam mit den pädagogischen und technischen Hochschulen. Solche Kooperationen mit Partnerinstitutionen aus verschiedenen Landesteilen, die über alle Hochschultypen übergreifen, sind in der Schweiz bisher eher selten.

Die Volksschule gibt mit dem Lehrplan 21 dem Bereich Informatik einen festen Platz im Lehrplan der obligatorischen Schule. Braucht es weitere Massnahmen? 

Ja, es braucht auf allen Bildungsebenen eine noch bessere Konstanz im Vermitteln von Informatik, und zwar vom Kindergarten bis zur Lehre oder zum Studium. Bei der Förderung von Mädchen und Frauen im Bereich Informatik sehe ich gesonderte einzelne Projekte, die sehr positiv sind. Darunter sind zum Beispiel unser dreitägiges Ferienprogramm «ITgirls@hslu» oder das Angebot «Mädchen – Technik – los», an dem wir uns im Rahmen des Nationalen Zukunftstages beteiligen. Es fehlt aber insgesamt an Dauerhaftigkeit.

Jugendliche fachsimpeln miteinander: Gute Laune an einem Scratch-Workshop an der Hochschule Luzern - Informatik.
Jugendliche fachsimpeln miteinander: Gute Laune an einem Scratch-Workshop der Hochschule Luzern – Informatik.

MINT-Förderung hängt nicht allein von den Bildungsinstituten ab. Sie beginnt im Elternhaus. Da hapert es noch vielerorts. Bräuchte es so etwas wie eine «Eltern-MINT-Förderung»?

Im Bereich MINT gibt es heute zahlreiche neue Berufe. Gerade im Zusammenhang mit der Informatik fehlt vielen Eltern das Bewusstsein für die Vielfalt an neuen Möglichkeiten. Das macht es für sie schwierig, ihre Kinder in diesem Umfeld bei der Berufswahl zu unterstützen. Informationen über Informatik-Berufe wären zwar vorhanden, aber die Eltern und ihre Kinder müssen einen gewissen Aufwand betreiben, um sich mit diesen neuen Berufsbildern auseinanderzusetzen. Viele Jugendliche wiederum wählen Berufe aus dem engeren beruflichen Umfeld ihrer Eltern.

In der Informatik ist ein hohes Mass an Kreativität gefordert.

Demnach wäre es umso wichtiger, dass die Schule das Interesse für die Informatik fördert und entsprechende Kenntnisse vermittelt?

Ja, die heutigen Kinder wachsen zwar in einer digitalisierten Welt auf. Sie nutzen digitale Angebote mit grosser Selbstverständlichkeit. Die Schulen aber haben sich zu lange zu stark darauf beschränkt, nur Anwendungswissen zu vermitteln. Dabei wären Grundkenntnisse im Programmieren heutzutage umso wichtiger. Ausserdem wurde aufgrund der Unwissenheit vieler Lehrpersonen ein «nerdiges» Image von der Informatik vermittelt, das nicht der Realität entspricht. In der Informatik ist ein hohes Mass an Kreativität gefordert. Ein schöner Algorithmus ist beispielsweise etwas sehr Kreatives! Je schöner man einen Algorithmus löst, desto besser funktioniert er auch.

Digitalisierung, Elektronik und Robotik: Neue Berufe bieten ein kreatives und spannendes Umfeld für junge Frauen.
Digitalisierung, Elektronik und Robotik: Neue Berufe bieten ein kreatives und spannendes Umfeld für junge Frauen.

Die Schulen haben sich viel zu lange darauf beschränkt, blosses Anwendungswissen zu vermitteln

Diese kreativen Aspekte in der Informatik dürften gerade auch Mädchen bei der Berufswahl ansprechen. Ebenso könnte es ihnen gefallen, dass in Informatik-Teams heutzutage gute Kommunikationsfähigkeiten gefragt sind. Warum bleibt es dennoch weiterhin schwierig, Mädchen für einen Informatik-Beruf zu begeistern?

Die Teilung der beruflichen Interessen von Mädchen und Jungen geschieht in sehr jungen Jahren. Das soziale Umfeld ist extrem prägend, und da sind bei Mädchen MINT-Berufe oft nicht genug präsent. Den Mädchen fehlt es noch an weiblichen Vorbildern im Bereich der Informatik. Ich würde es auch begrüssen, wenn der Anteil an männlichen Lehrpersonen in der Primarstufe gesteigert werden könnte. Dies hätte nebst anderem auch für die Diversität und die MINT-Themen eine positive Wirkung. Man müsste die MINT-Thematik umfassender angehen, indem man das Kind mit seinem Umfeld begleitet. Dafür bräuchte es noch mehr Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren. Wir von der Hochschule Luzern – Informatik sind dabei, zusammen mit der Pädagogischen Hochschule Zug eine Auslegeordnung zu ermöglichen und regional eine Plattform aufzubauen.

Mädchen brauchen heute einen starken Willen und grosse Standhaftigkeit, um den eingeschlagenen Weg durchzuhalten.

Geht mit Freude und Engagement auf talentierte Kinder zu: René Hüsler (links) begutachtet Arbeiten der Teilnehmenden an der First Lego League FFL 2020 in Rotkreuz.

Die Weichenstellung in der Berufswahl geschieht während der Pubertät, in der sich Jugendliche verstärkt an Meinungen im Freundeskreis orientieren und von Selbstzweifeln geplagt sind. Viele Mädchen setzen dann auf Bewährtes, also auf klassische Frauenberufe.

Das beobachte ich auch in meinem Bekanntenkreis. Da gibt es junge Frauen, die eigentlich einen Beruf in einer der traditionellen Männerdomänen ergreifen wollen und im letzten Moment umschwenken, nicht zuletzt, weil ihre gleichaltrigen Freundinnen eine ähnliche Wahl treffen. Mädchen und junge Frauen brauchen heute einen starken Willen und grosse Standhaftigkeit, um einen eingeschlagenen Weg durchzuhalten. Darum sind ja die Frauen in den Männerberufen auch oft so gut – sie haben gelernt, sich durchzusetzen und zu beweisen.

Angebot zur Kinder- und Jugendförderung: Wer an der World Robot Olympiad miteifert, erlebt Teamgeist, Begeisterung neue Inspiration. Szenen vom Regionalwettbewerb 2019 auf dem Hochschulcampus Rotkreuz.

Veröffentlicht am 13.3.2020

René Hüsler, Direktor Department Informatik Hochschule Luzern
René Hüsler

Engagierter MINT-Förderer: René Hüsler ist Direktor am Departement Informatik der Hochschule Luzern. Er verantwortet dort unter anderem den Beitrag der Hochschule Luzern beim Aufbau eines nationalen Netzwerks zur Förderung der MINT-Bildung, das die hochschultypenübergreifende Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen gewährleistet. Die Kinder- und Jugendförderung ist ihm sowohl mit zahlreichen Initiativen an der Hochschule wie auch persönlich ein grosses Anliegen. Hüsler ist Vater von zwei erwachsenen Töchtern, die MINT-Berufe ergriffen haben.

Nachwuchsförderung: Die Hochschule Luzern – Informatik engagiert sich aktiv in der Kinder- und Jugendförderung. Unter anderem unterstützt sie die internationale Initiative «Roberta® – Lernen mit Robotern». Auch bietet sie unter  «YoungTech@hslu»  zusammen mit dem Departement Technik & Architektur verschiedene Workshops zu den Themen Technik und Informatik an, so etwa auch  Scratch-Workshops, die den spielerischen Einstieg ins Programmieren erlauben. Am Nationalen Zukunftstag (dieses Jahr am 12. November) dürfen 11- bis 13-jährige Mädchen an der Hochschule Luzern unter anderem an einem Roboter herumexperimentieren.

Ausbildung von Fachpersonal: Mit dem Joint-Degree-Master-Studiengang in Fachdidaktik Medien und Informatik ist die Hochschule Luzern – Informatik seit 2018 zusammen mit der Universität Zürich und den Pädagogischen Hochschulen Luzern und Schwyz auch in der Ausbildung von Fachpersonen tätig.

Nächste MINT-Veranstaltung: Am 9. und 16. Mai 2020 finden die Regionalwettbewerbe der  World Robot Olympiad  statt, unter anderem auch auf dem Campus der Hochschule Luzern in Rotkreuz. Diese richtet sich an Kinder und Jugendliche zwischen neun und 19 Jahren.

Mehr über Informatik lernen und erfahren: Die Hochschule Luzern – Informatik bietet Bachelor- und Master-Studiengänge, anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung sowie Weiterbildungsangebote in der Informatik und Wirtschaftsinformatik auf einem Campus.

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