Von Marco Trepp aus dem CAS Big Data Analytics
Wer kennt sie nicht, die Giganten der Musikstreaming-Dienste wie Spotify, Apple Music, Deezer, YouTube und Co.? Viele von uns nutzen einen dieser Streaming-Dienste. Sie können sehr einfach und schnell auf alle gängigen Mobile Phones, Tablets und PCs geladen werden. Wenn wir sie installieren, bekommen wir nicht nur jede Menge Musikgenuss.
Wir gehen auch eine brisante «Hochzeit» ein: Wir erlauben den Diensten, dass sie uns via Algorithmen täglich besser kennenlernen. Das ist an sich ein wesentlicher und erwünschter Grundpfeiler einer «Ehe», nur nicht in diesem Fall. Denn er hat markante Folgen für unser Hörverhalten, für die Arbeit der Musikschaffenden und die Musikindustrie.
Hochkomplexe Algorithmen bestimmen, was wir hören
Beginnen wir mit dem Einfluss der Musikstreaming-Dienste in der produzierenden Musikindustrie: Waren einst Jugendbewegungen in den Nachkriegsjahren, Musiklabels, Radio-Stationen oder Musikclubs die treibenden Kräfte neuer Musikrichtungen oder -bewegungen, sind es heute hochkomplexe Algorithmen, die bestimmen, was wir hören. Das lässt allemal auch Spielraum für Manipulationen offen – was gespielt wird, hat Erfolg, oder nicht?
Zweifelsohne beeinflussen Radio-Stationen und Musikclubs die Musikschaffenden auch weiterhin, aber deren Playlisten unterliegen keinen Algorithmen und persönlichen Daten der Hörerinnen und Hörer.
Die Musik wird vollständig entschlüsselt, sprich sequenziert und identifiziert analog der menschlichen DNA.
Klang, Emotion, Tempo: Spotify identifiziert alles via Data Science
Schauen wir uns mal den Algorithmus am Beispiel von Spotify an: Wenn Nutzende ein Streaming-Abonnement eröffnen, wird Big Data initiiert. Sie legen bei der Anmeldung ein persönliches Profil an. Darin speichert der Dienst alle Songs, Alben, Künstlerinnen und Künstler, Playlisten und Podcasts, die sie sich anhören. Ebenso den Standort, an dem die Nutzenden sich die Musik angehört haben, und die Dauer des Hörens.
Zu diesen Profilinformationen gesellen sich Indikatoren wie etwa die Klangfarbe, die Emotionen der Melodie, die eingesetzten Instrumente, das Tempo, die Höhen und Tiefen und vieles mehr eines jeden Songs. Spotify entschlüsselt die gehörte Musik vollständig. Sprich: Es wird sequenziert und identifiziert analog der menschlichen DNA. Mehr dazu auch unter: The Music Genome Project.
Die Algorithmen beeinflussen ständig unsere persönlichen Profile
Anschliessend setzen Spotify und auch andere Streaming-Dienste hochentwickelte Technologien geschickt ein, um aus den gesammelten Informationen den persönlichen musikalischen Takt aller Nutzenden zu erstellen. Dauernd suchen sogenannte Algorithmen im World Wide Web nach weiteren Musikpräferenzen, Kommentaren in sozialen Medien, Tweets und anderen Quellen. Auch diese werden im persönlichen Profil abgespeichert.
Oder einfacher ausgedrückt: Der Algorithmus liest und hört überall mit! Eines Tages wird er uns Songs auf der Playliste vorschlagen, die exakt zu unserer Tagessituation passen. Ist doch toll – oder doch nicht? Mehr dazu auch unter: Wie funktioniert der Spotify-Algorithmus?
Musikschaffende gewinnen Unabhängigkeit von den Musikvertrieben
Auch Musikschaffende erhalten via Musik-Plattformen neue Möglichkeiten: Wollen sie Aufmerksamkeit oder gar Weltruhm gewinnen, so lohnt es sich für sie, sich mit Big Data und den Algorithmen der Musikstreaming-Dienste auseinanderzusetzen. Die sogenannten «Playlisten» sind der Schlüssel zum Erfolg. Darauf gelistet zu werden, ist das Bestreben eines jeden Musikschaffenden.
Diese Entwicklung hat in der Musikindustrie durchaus auch positive Seiten: Musikerinnen, Sänger, Bands und andere Kunstschaffende sind nicht mehr dem Goodwill der grossen Musikvertriebe wie Universal Music, Warner Music, Sony Music und Co. ausgesetzt. Die Musikrechte bleiben in der Hand der Urheberinnen und Urheber. Diese Rechte dienen ihnen – bei entsprechendem Erfolg – als persönliche «Altersvorsorge». Ein Beispiel dafür ist der Verkauf der Musikrechte von Bob Dylan für geschätzte 300 Millionen US-Dollar.
2007 gründeten der Audio-Designer Alexander Ljung und der Musiker Eric Wahlforss den Online-Musikdienst Soundcloud. Er ist das Pendant zu Flickr für Fotos und Vimeo für Videos. Diese Plattform dient dem Austausch und der Verteilung von Musikdateien. So betreibt zum Beispiel Ex-Beatles-Mitglied Paul McCartney seinen eigenen exklusiven Musikstreaming-Kanal auf Soundcloud.
Auch die US-amerikanische Sängerin Billie Eilish, 19, schaffte es über diese Plattform vom Wunderkind zum Weltstar: 2015 veröffentlichte sie, damals erst 14 Jahre alt, ihren ersten Song auf Soundcloud. Innerhalb von zwei Wochen sammelte dieser mehrere hunderttausend Klicks. Ein märchenhaftes Beispiel, das einen weiteren Vorteil der Musikstreaming-Dienste aufzeigt.
Egal wo auf der Welt: Richtig eingesetzt haben Newcomer und Musikschaffende realistische Chancen, via diese Plattformen Weltstars zu werden. Mehr dazu auch unter: Warum Spotify eine geniale Plattform für Newcomer ist?
Die Schattenseiten im schönen neuen Musikgeschäft
Die Nutzenden aller Musikstreaming-Dienste geben die Musikrichtung mit all ihren Indikatoren vor. Der Faktor Zeit erhält in der Musikindustrie eine neue Dimension. Während früher die Musikschaffenden über Wochen und Monate Feedbacks zu ihrem kreativen Schaffen sammelten, erledigt das heutzutage der Algorithmus innerhalb von Sekunden und Minuten.
Das Intro wird dadurch stets kürzer, denn der moderne Mensch neigt immer mehr zur Ungeduld. Wenn Hörerinnen und Hörer einen Song überspringen, bedeutet das für die Musik- und Kunstschaffenden, dass sie nicht auf den Playlisten erscheinen.
Wenn dein Refrain grösser als die Welt ist, ist es egal, was im Vers passiert.
Paul McCartney
Wichtig sind die Rhythmen. Texte sind zweitranging und müssen gar nicht verstanden werden. So sagt denn auch Paul McCartney in einem Interview: «Wenn dein Refrain grösser als die Welt ist, ist es egal, was im Vers passiert.»
Das folgende Video «When will the bass drop» zeigt mit bissigem Humor auf, wie Lebensgefühl und Freiheit wichtiger sind als der Inhalt eines Songs:
Big Business angetrieben durch digitale Transformation
Musikstreaming- und auch Videostreaming-Dienste wie Netflix und Co. ermöglichen den Konsumentinnen und Konsumenten, jederzeit und überall für wenig Geld Musik und Videos zu konsumieren. Dieser raschen Entwicklung, vor allem während der letzten fünf bis zehn Jahre, konnte die bis dato bewährte Musikindustrie nicht mehr folgen. Somit eröffnete sich eine neue Marktlücke, die von den Musikstreaming-Diensten geschickt erkannt und bis heute zu einem gigantischen Business ausgebaut wurde. Massiv gepusht wurde diese Entwicklung vor allem auch durch die digitale Transformation. Standen früher Produkte wie die Schallplatten, Kassetten oder CDs jahrzehntelang im Vordergrund, sind es heutzutage die Services der Musikstreaming-Dienste, auch bekannt unter dem Begriff «Service on Demand».
Mit Mut und Eigensinn Gegensteuer geben
Musikstreaming-Dienste sind inzwischen nicht mehr wegzudenken. Sie werden die zukünftigen Musikrichtungen oder -bewegungen weiter beeinflussen. Ihre Erfolgskonzepte werden sich wohl kaum noch grundlegend verändern. Wer kann hier wie Gegensteuer geben? Zum einen sind es die Musikschaffenden, die ab und zu aus diesen Strukturen ausbrechen können, um mutig (ausserhalb aller Streaming-Dienste) ihr künstlerisches Schaffen einem breiteren Publikum vorzustellen. Auf der anderen Seite haben es aber auch die Nutzenden von Streaming-Diensten in der Hand, ihr Hörverhalten zu verändern: Schliesslich wollen sie auch gerne Neues entdecken. Es gilt also weiterhin auch live Konzerte, Musikfestivals oder andere Veranstaltungen zu besuchen (sobald die Corona-Pandemie dies wieder zulässt).
In diesem Sinne wünsche ich mir für die Zukunft wieder mehr künstlerisches Schaffen und die eine oder andere spannende neue Musikrichtung oder -bewegung.
Fragen in die Runde: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Musikindustrie? Wer kann wie gegen Manipulationen Gegensteuer geben?
Veröffentlicht am 17.3.2021
Autor mit Engagement für kreatives Schaffen: Marco Trepp bloggt für unseren Weiterbildungs-Blog aus dem Unterricht des CAS Big Data Analytics. Er ist Stamm- und Marktdatenexperte von Finanzinvestitionsprodukten im Investment Management bei der Zurich Insurance Company Ltd und hat fundierte Kenntnisse als Transition und Transformation Manager. In den vergangenen Monaten hatte er privat das Vergnügen, der künstlerischen Arbeit zweier junger Musikschaffender zu folgen: Gianna Binelli (siehe Video: «hiphop meets classic») und akindo («Alive», official Video). Dabei wurde Trepp auf das Thema Big Data und Algorithmen bei Musikstreaming-Diensten aufmerksam. Für seinen Blogbeitrag wollte er herausfinden, ob dieses der Kreativität von Musikschaffenden nützt oder schadet.
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Kommentare
1 Kommentare
Mia
Sehr gut
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.