Autor*innen: Dominik Godat & Elfie Czerny
Üben Sie die Körpersprache Ihres Gegenübers zu lesen? Sehen Sie versteckte Botschaften in der Art und Weise, wie Ihre Gesprächspartnerin sitzt? Dann sind Sie wahrscheinlich einem der grössten Missverständnisse der Kommunikation der letzten 50 Jahre aufgesessen. Denn auch wenn es unmöglich ist, in einem interaktionellen Setting nichts zu kommunizieren, ist nicht alles Verhalten kommunikativ und schon gar nicht bedeutungsvoll.
Es gibt unzählige Bücher über Körpersprache. Die meisten wollen uns weis machen, dass gewisse Posen, gewisse Körperhaltungen, gewisse Körperreaktionen etwas bedeuten, unabhängig von dem, was verbal gesprochen wird. Das Nonverbale und das Verbale werden dabei als separate Kanäle mit unterschiedlicher Bedeutung beschrieben. Obwohl wir das alle so gelernt haben, ist es einerseits empirisch nicht haltbar und baut andererseits auf einem rund 50-jährigen Missverständnis auf.
Wir alle kennen sie. Die 5 Axiome der Kommunikation, die Paul Watzlawick, Janet Beavin (heute Bavelas) und Don D. Jackson 1967 formulierten[1], haben die Art, wie wir über Kommunikation sprechen in den letzten 50 Jahren bestimmt. Obwohl Watzlawick, Beavin und Jackson die 5 Axiome bereits damals lediglich als provisorische Hypothesen betrachteten, «die weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Endgültigkeit erheben können.»[2] und die empirisch überprüft werden sollten[3], sehen viele sie bis heute als Gesetzmässigkeiten an. Vor allem Axiom 1 «Man kann nicht nicht kommunizieren» hat besonders viel Beachtung erhalten und wird leider auch heute noch oft missverstanden.
Axiom 1 besteht aus zwei Hypothesen:
Gerade die erste Hypothese führte mit folgender tautologischer Schlussfolgerung zum Hype um Körpersprache: Da man nicht nicht kommunizieren kann, muss jede Körperreaktion etwas bedeuten. Und es ist wichtig, diese Bedeutungen zu kennen respektive zu interpretieren.
Dieser Hype um Körpersprache hält noch immer an, obwohl die Schlussfolgerung auf zwei logisch unterschiedlichen Aussagen basiert und empirisch nicht haltbar ist. Einerseits wurde aus einer überprüfbaren Hypothese eine nicht falsifizierbare Tatsache gemacht und andererseits wurden zwei unterschiedliche logische Argumentationen miteinander vermischt.
Janet Bavelas[4] weist selber darauf hin, dass ihre beiden Hypothesen zwei unterschiedliche logische Argumentationen aufweisen. «Jedes Verhalten ist Kommunikation» ist eine universelle Aussage, die jedem Verhalten kommunikative Eigenschaften unterstellt. Während «Man kann nicht nicht kommunizieren» lediglich aussagt, dass in der Präsenz von anderen gewisses Verhalten kommunikativ sein muss.
Das bedeutet, dass wenn die erste Aussage wahr ist, die zweite Aussage auch wahr sein muss. Wenn jedes Verhalten Kommunikation ist, dann stimmt es auch, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Wenn die erste Aussage jedoch falsch ist und nicht jedes Verhalten Kommunikation ist, dann kann es trotzdem sein, dass die zweite Aussage wahr ist. Auch wenn nicht jedes Verhalten Kommunikation ist, kann es trotzdem sein, dass man in der Präsenz von anderen nicht darum herumkommt, etwas zu kommunizieren.
Oder umgedreht: Auch wenn «man nicht nicht kommunizieren kann», heisst dies nicht, dass jedes Verhalten Kommunikation sein muss.
Wiener et al. trafen bereits 1972[5] die Unterscheidung zwischen nonverbalem Verhalten und nonverbaler Kommunikation. Sie sehen dabei nonverbale Kommunikation als Untergruppe nonverbalen Verhaltens.
Sie unterscheiden zwei unterschiedliche Formen nonverbalen Verhaltens:
Informatives Verhalten wird nur von einer Seite, ohne Zutun der anderen Person, interpretiert. Die Interpretation des Verhaltens hängt dabei stark von den Ideen der interpretierenden Person ab. Da es vorwiegend «im Kopf» einer Person stattfindet und nicht als Interaktion zwischen Personen, kann es nicht durch Beobachtung empirisch erforscht werden. Zudem gilt es nicht als interaktionell und wird zwar als nonverbales Verhalten, nicht jedoch als nonverbale Kommunikation gesehen.
Kommunikatives Verhalten hingegen ist interaktionell und kann als Austausch zwischen den Gesprächsgegenübern gesehen werden. Da kommunikatives Verhalten «zwischen den Personen» stattfindet – die eine Person möchte damit etwas mitteilen und die zweite Person bezieht sich auf das Verhalten der ersten Person – kann es empirisch beobachtet werden und wird als nonverbale Kommunikation gesehen.
Aus der oben erwähnten Unterscheidung ergeben sich drei nonverbale Verhalten:
Nicht jedes Verhalten ist kommunikativ und schon gar nicht bedeutungsvoll. Das erste Verhalten ist weder für die ein noch die andere Person bedeutungsvoll. Das zweite Verhalten hat zwar für die interpretierende Person eine Bedeutung. Dies muss jedoch nicht zwingend für die andere Person auch so sein. Und lediglich die dritte Art nonverbalen Verhaltens ist kommunikativ.
Bavelas und Chovil[6] konkretisieren nonverbale Kommunikation dahingehend, dass nonverbales kommunikatives Verhalten nur in der Präsenz von anderen Personen stattfindet (um etwas zu kommunizieren), nicht jedoch, wenn die Person alleine ist. So konnten Forschende zum Beispiel zeigen, dass Personen, die in ein versalzenes Sandwich beissen, nur dann den Gesichtsausdruck von «Ekel» zeigen, wenn andere Personen präsent sind[7].
Obwohl in Forschungskreisen schon lange klar ist, dass die damals formulierte Hypothese, dass jedes Verhalten Kommunikation ist, falsch ist, hält sich diese Idee in der allgemeinen Öffentlichkeit noch immer hartnäckig. Oder in den Worten von Janet Bavelas: «’As for all behavior is communication’, I thought that this error was only in the literature for five years before being corrected by Wiener et. al (1972).[8]»
Heisst dies nun, dass Axiom 1 «Man kann nicht nicht kommunizieren» falsch ist? Nein. Auch wenn die Herleitung des Axioms widerlegt wurde und nicht jedes Verhalten Kommunikation ist, kann es trotzdem sein, dass in der Präsenz von anderen gewisses Verhalten kommunikativ sein muss.
Aktuelle Studien der Mikroanalyse zeigen, dass kommunikative Verhaltensweisen (z.B. Nicken, Blickkontakt, Gesichtsgesten, Worte) in Interaktionen laufend auftreten[9]. Doch auch wenn keine verbale Interaktion stattfindet, scheint es unmöglich zu sein, gar nichts zu kommunizieren. Die Präsenz von anderen Personen scheint es notwendig zu machen, zumindest die persönliche Gesprächsverfügbarkeit oder -unverfügbarkeit zu kommunizieren. In Situationen, in denen Menschen zum Beispiel Kommunikation vermeiden wollen, schauen sie vielfach rasch weg, wenn ein Augenkontakt stattfindet und kommunizieren damit, dass sie für eine weitere Interaktion nicht verfügbar sind. «Man kann nicht nicht kommunizieren» steht somit weiterhin als empirisch überprüfbare Hypothese im Raum.
Auch wenn viele Bücher zu Körpersprache dies propagieren: Nicht jedes Verhalten ist kommunikativ. Und nicht jedes Verhalten ist bedeutungsvoll, zumindest nicht für Ihre Gesprächsgegenüber. «Dennoch könnte es doch Sinn machen, zumindest informelles Verhalten zu interpretieren?» werden Sie vielleicht nun entgegnen.
Aus unserer Sicht macht dies meist wenig Sinn. Auf der einen Seite ist vielfach klar, was das Verhalten des Gegenübers zeigt. Es braucht keine weiteren Interpretationen. Wenn Ihr Gegenüber sich am Arm nach einem Mückenstich kratzt oder den Kaffee zum Mund nimmt und dabei beginnt zu lächeln, fragen Sie sich kaum, was dies (noch) bedeuten könnte.
Auf der anderen Seite sind Interpretation stark abhängig von der interpretierenden Person und müssen nichts mit den Erfahrungen der anderen Person zu tun haben. Personen sind unterschiedlich und reagieren oft verschieden. Obwohl Ihnen dies Bücher über Körpersprache weis machen wollen, gibt es kaum wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, die zeigen, dass Verhalten generell – also unabhängig von der Person und der aktuellen Interaktion – eine Bedeutung hat. Sie lesen in solchen Büchern zum Beispiel von Ideen wie «Wenn jemand die Arme verschränkt, heisst dies, dass die Person abweisend ist.», obwohl der Person vielleicht einfach nur kalt ist, es für sie so gemütlicher ist, sie Rückenschmerzen hat etc. Hätte Verhalten eine generelle personenunabhängige Bedeutung, dann würde dies ja bedeuten, dass sich alle Personen generell gleich verhalten. Das dies nicht der Fall ist, merken wir tagtäglich, wenn wir wieder erstaunt sind, das andere Personen Dinge anders tun.
Anstatt zu interpretieren, lohnt es sich deshalb nachzufragen. Die einzige Person, die wissen kann, ob ihr non-verbales Verhalten eine Bedeutung haben könnte, ist Ihr Gesprächsgegenüber.
Weiterbildungen zum Thema
Elfie Czerny und Dominik Godat führen das Zentrum für Lösungsfokussierte Gesprächsführung. Sie erforschen Kommunikation mit Mikroanalyse von Face-to-Face Gesprächen.
Sie leiten den Fachkurs Lösungsfokussierte Führung an der Hochschule Luzern – Wirtschaft, in der dieses Wissen einfliesst.
[1] Watzlawick, Paul/Beavin, Janet H./Jackson, Don D. (1967). Pragmatics of Human Communication: A Study of Interactional Patterns, Pathologies, and Paradoxes. New York: W.W. Norton & Company. Auf Deutsch erschienen als Watzlawick, Paul/Beavin, Janet H./Jackson, Don D. (1969). Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG.
[2] Watzlawick, Paul/Beavin, Janet/Jackson, Don. D. (2017). Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 13., unveränderte Auflage. Bern: Hogrefe Verlag. S. 57.
[3] Bavelas, Janet B. (1990). Forum: Can One Not Communicate? Behaving and Communicating: A Reply to Motley. Western Journal of Speech Communication, 54 (Fall 1990), S. 593-602.
[4] Bavelas, Janet B. (1990). Forum: Can One Not Communicate? Behaving and Communicating: A Reply to Motley. Western Journal of Speech Communication, 54 (Fall 1990), S. 593-602.
[5] Wiener, Morton/Devoe, Shannan/Rubinow, Stuart/Geller, Jesse (1972). Nonverbal behavior and nonverbal communication. Psychological Review, 79(3), S. 185–214.
[6] Bavelas, Janet B. (1990). Forum: Can One Not Communicate? Behaving and Communicating: A Reply to Motley. Western Journal of Speech Communication, 54 (Fall 1990), S. 596.
[7] Brightman, Vernon/Segal, Arthur/Werther, Patti/Steiner, Jacob (1975). Ethological study of facial expression in response to taste stimuli. Journal of Dental Research, 54, L141.
[8] Bavelas, Janet B. (1990). Forum: Can One Not Communicate? Behaving and Communicating: A Reply to Motley. Western Journal of Speech Communication, 54 (Fall 1990), S. 599.
[9] Bavelas, Janet/Gerwing, Jennifer/Healing, Sara (2017). Doing mutual understanding. Calibrating with micro-sequences in face-to-face dialogue. Journal of Pragmatics 121 (2017). S. 91-112.
Kommentare
2 Kommentare
Dominik Godat & Elfie J. Czerny
Herzlichen Dank für deinen Input, lieber Andreas. Janet Bavelas ging davon aus, dass dieses Missverständnis seit 1990 definitiv hätte geklärt sein müssen. Hier spricht sie u.a. darüber mit uns: https://www.sfontour.com/project/sfp-10-seeing-interaction-interview-with-janet-beavin-bavelas/
Mag. Andreas Heimerl
Danke für den sehr klaren und erhellenden Artikel. Ja, das ist eines der großen Missverständnisse, welches Wiener ja schon früh aufgeklärt hatte. Im Zusammenhang mit der Interpretation von Kommunikation z.,B. im Beratungs- oder Coachingkontext möchte ich nur auf die im NLP verbreitete Technik des Kalibrierens verweisen, wo ein Zusammenhang zwischen Situation und Verhalten hergestellt werden muss, bevor das spezifische Verhalten vom Therapeuten genützt werden kann. Die Gestik als solche bedeutet noch gar nichts, die wenn-dann-Relation (Wenn du von diesem Stress erzählst, kratzt du dich jedesmal am Unterarm) ist das Entscheidende.
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.