Das Arbeitsumfeld der Unternehmen ist geprägt von schnellen Veränderungen. Arbeitsprozesse werden immer komplexer und können nicht mehr von einer einzelnen Person geführt werden. Dieser Blogbeitrag erklärt, was «kollaborative Führung» bedeutet, in welchen Bereichen sich das Konzept eignet und wie sie die Verantwortlichkeiten von Mitarbeitenden und den heutigen Führungspersonen signifikant verändern kann.
Herausforderndes Umfeld erfordert andere Führungsformen
Globalisierung, Innovationsdruck, Digitalisierung: Der aktuelle Wandel in der Arbeitswelt führt zu einer zunehmenden Komplexität der Arbeitsprozesse. Das Unternehmensumfeld ist so komplex und volatil geworden, dass einige wenige Manager nicht mehr alles überblicken und allein entscheiden können. Veränderte Arbeitsformen wie Home-Office, mobiles Arbeiten und globale Teams führen zu einer räumlichen Verteilung und virtuellen Arbeitsbeziehungen. Im Rahmen dieser Veränderungen wird eine effiziente und effektive Zusammenarbeit für Unternehmen immer mehr zum Erfolgsfaktor und erfordert neue Führungsansätze (NZZ online, 2018; Künkel, 2017).
Klare Hierarchien, welche als starke Vereinfachung der Realität angesehen werden können, machen einer dynamischen, kollektiven Form der Führung Platz. Im heutigen Unternehmensumfeld können Fragen wie «Wer ist zuständig?», «Wer entscheidet?» und «Wer kann mir weiterhelfen?» nicht mehr mit einem Blick auf das Organigramm beantwortet werden. Um die heutigen Herausforderungen meistern zu können, findet ein Wechsel von hierarchischen und statischen Führungsstrukturen in Richtung einer dynamischen, kollektiven Form der Führung statt (NZZ online, 2018; Aebi, 2017; Kauffeld et al., 2017).
«Im besten Fall sind sie zu langsam, im schlechtesten Fall liegen sie falsch.»
Hermann Arnold über Führungskräfte, die im komplexen, schnellen und unplanbaren Unternehmensumfeld die alleinige Führungsverantwortung übernehmen.
Kollaborative Führung: Wie funktioniert das?
Kollaborative Führung sieht eine Verteilung der Führungsaufgaben auf verschiedene Individuen vor, anstatt sie bei einem Vorgesetzen zu zentralisieren. Unter kollaborativer Führung oder auch «geteilter Führung» versteht man also einen Prozess, in dem die Führung aus einer Gruppe hervorgeht und sich die Individuen gegenseitig führen (Piecha, Wegge, Werth, & Richter, 2012). Beim gemeinsamen Ausführen von Führungsaufgaben teilen die Teammitglieder Führungsfunktionen untereinander auf. Die Aufgaben können je nach Knowhow, Motivation und Verfügbarkeit zwischen den Teammitgliedern wechseln oder gemeinsam wahrgenommen werden. Das bedeutet auch, dass Führungslinien mit der Anwendung von kollaborativer Führung zahlreicher und überschneidender werden. Gleichzeitig können Führungslinien in verschiedene Richtungen verlaufen. Das bedeutet beispielsweise, dass Mitarbeiterin Meier den Mitarbeiter Bühler im Bereich Prozessoptimierung führt, aber gleichzeitig Bühler der Mitarbeiterin Meier im Tagesgeschäft vorgesetzt ist. Die Führungslinien werden aber durch kollaborative Führung kürzer und direkter (NZZ online, 2018; Lang & Rybnikova, 2014; Piecha et al., 2012).
«Geteilte Führung ist ein dynamischer, interaktiver Beeinflussungsprozess zwischen Individuen in Gruppen mit dem Ziel, sich gegenseitig zu führen, um Gruppen- oder Organisationsziele oder beides zu erreichen.» (Piecha et al., 2012, S. 560).
Welche Führungstätigkeiten können zukünftig von Mitarbeitenden übernommen werden?
Obwohl schon länger klar ist, dass kollaborative Führung eine positive Auswirkung auf die Teamleistung haben kann, war man sich nicht einig, welche Führungsaufgaben wirklich in den Teams umgesetzt werden können. Heute ist man überzeugt, dass das Spektrum an sich eignenden Führungsaufgaben relativ breit ist. Diese lassen sich in die vier folgenden Führungsdimensionen zusammenfassen (Carson, Tesluk & Marrone, 2007; Lang & Rybnikova, 2014):
Und welche Rolle bleibt dem Chef?
Klar ist, dass die kollaborativen Führungsansätze die Führungsrollen der Vorgesetzten stark verändern. Es ist allerdings wichtig zu erwähnen, dass die geteilte Führung die vertikale Führung nicht eliminiert, sondern sie parallel zum informellen Teamprozess auftreten lässt (Werther, 2013; Carson et al., 2007).
Die Führungskompetenzen der Vorgesetzten ändern sich. Ihnen kommt mit der Anwendung der kollaborativen Führungsansätze viel mehr die Rolle als Mentor, Partner und Coach zu. Ihr Ziel soll es sein, von ihren Mitarbeitenden als Vorbild betrachtet zu werden. Die zukünftigen Chefs sollen die Mitarbeitenden in ihrer täglichen Arbeit inspirieren und zu kreativem Denken bewegen (Antoni & Syrek, 2017; Kauffeld et al., 2017).
–> Linda Hill, Harvard Business School, über die veränderten Aufgaben von Führungspersonen
Welcher Nutzen entsteht durch kollaborative Führung?
Die Forschung zeigt, dass kollaborativ geführte Teams nicht nur zufriedener sind, sondern auch komplexe Situationen besser meistern. Dies ist vor allem auf die kurzen Entscheidungswege und Rücksichtnahme auf die individuellen Kompetenzen zurückzuführen. Die Teammitglieder interagieren eng miteinander, kooperieren und treiben Initiativen internistisch voran (Kauffeld et al., 2017; Künzle, 2010).
Die Führung zu teilen bedeutet auch Aufwand zu teilen. So kann die kollaborative Führung dazu beitragen, dass die zeitliche Führungsbelastung auf verschiedene Schultern verteilt werden kann. Dies entspricht vor allem einem Bedürfnis der Generationen Y und Z, welche zwar gerne Führungsaufgaben übernehmen, aber auch viel Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance legen. Diese flexible Aufgabenverteilung hat auch Vorteile für die Arbeitsgeberin. Dank kollaborativer Führung funktionieren Teams auch bei Abwesenheiten von Teammitgliedern wie gewohnt (Kels & Kaudela, 2019; NZZ online, 2018; Künzle, 2010).
Was sind die Voraussetzungen und was kann schiefgehen?
In vielen Organisationen besteht grosser Widerstand gegen die Einführung von kollaborativen Führungsansätzen. Dies liegt einerseits daran, dass Führung traditionell auf einer einzigen Führungsperson beruht. Andererseits empfinden viele Führungskräfte das Verteilen von Autorität und Macht als persönlichen Verlust. Mit der Weitergabe der Verantwortung an die Mitarbeitenden steigt auch die Gefahr von Teamkonflikten. Prozesskonflikte und Machtkämpfe zwischen den Mitarbeitenden können die Dynamik hemmen und den oben beschriebenen Nutzen verhindern (Kauffeld et al., 2017; Künzle, 2010).
Geteilte Führung eignet sich nicht in allen Situationen. Die erfolgreiche Einführung bedarf einer detaillierten Planung und hängt stark vom Team und den involvierten Mitarbeitenden ab. Mitarbeitende mit gutem Selbstmanagement und Selbstführungskompetenzen sind genauso Voraussetzung wie das bedingungslose Committment der Mitarbeitenden zum Führungskonzept. Die Praxis hat gezeigt, dass sich kollaborative Führung für Teams mit vielen Interdependenzen und gegenseitigem Vertrauen eignet und für die Umsetzung von komplexen, nicht alltäglichen Aufgaben nutzenstiftend ist.
–> Lorna Davis, ehemalige CEO Danone North America, erzählt über ihre Erfahrungen mit kollaborativer Führung
Autoren: Eliane Albisser, Dominik Gabler & Michael Wechsler, Teilnehmende der Digital Leadership Blockwoche Februar 20 / Hochschule Luzern – Wirtschaft
Weiterführende Literatur
Aebi, D. (2017). Führung findet heute anders statt, der tonangebende Chef hat ausgedient. Abgerufen am 18.02.2020 von https://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/umbruch-verlangt-aufbruchld.1334731
Leite, T. (2019). Mit gutem Beispiel vorangehen: Wie kollaborative Führung Teams stärkt. Abgerufen am 21.02.2020 von https://www.honestly.de/blog/kollaborative-fuehrung/
NZZ (2018). Verteilte Führung / Shared Leadership – Was? Wieso? Wie? Abgerufen am 13.02.2020 von https://jobs.nzz.ch/news%2F19%2Fmanagement-fuhrung/artikel/255/%2Fverteilte-fuhrungshared-leadership-was-wieso-wie
Wimmer, L. (2019). Ist die Collaborative Leadership der Führungsstil der Zukunft? Abgerufen am 21.02.2020 von https://www.stackfield.com/de/blog/collaborative-leadership-71
Literaturverzeichnis
Aebi, D. (2017). Führung findet heute anders statt, der tonangebende Chef hat ausgedient. Abgerufen am 18.02.2020 von https://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/umbruch-verlangt-aufbruchld.1334731
Antoni, C. & Syrek, C. (2017). Digitalisierung der Arbeit: Konsequenzen für Führung und Zusammenarbeit. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift Für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 48, S. 247-258.
Carson, J. B., Tesluk, P. E., & Marrone, J. A. (2007). Shared leadership in teams: An investigation of antecedent conditions and performance. Academy of management Journal, 50(5), pp. 1217-1234.
Kauffeld, S., Sauer, N., & Handke, L. (2017). Shared leadership. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift Für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 48(3), S. 235-238.
Kels, P. & Kaudela-Baum, S. (2019). Experten führen. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Künkel, P. (2017). Die Zukunft von Führung ist kollektiv. Wiesbaden: Springer Gabler.
Künzle, B. (2010). Die geteilte Führung: Mehr Innovation als Lohn für den Mut zum Risiko. Abgerufen am 13.02.2020 von https://www.hrtoday.ch/de/article/die-geteilte-fuehrung-mehr-innovation%E2%80%A8als-lohn-fuer-den-mut-zum-risiko
Lang, R. & Rybnikova, I. (2014). Aktuelle Führungstheorien und -konzepte. Springer Gabler.
NZZ (2018). Verteilte Führung / Shared Leadership – Was? Wieso? Wie? Abgerufen am 13.02.2020 von https://jobs.nzz.ch/news%2F19%2Fmanagement-fuhrung/artikel/255/%2Fverteilte-fuhrungshared-leadership-was-wieso-wie
Piecha, A., Wegge, J., Werth, L., & Richter, P. G. (2012). Geteilte Führung in Arbeitsgruppen – ein Modell für die Zukunft? In S. Grote (Hrsg.). Die Zukunft der Führung (S. 557-572). Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.
Werther, S. (2013). Geteilte Führung. Wiesbaden: Springer Gabler.
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