Interview mit Prof. Dr. Stephanie Kaudela-Baum
Interview: Luzia Fuchs
Expertenorganisationen zeichnen sich durch Wissensintensität aus. Das Spezialwissen von Expert:innen ist das eigentliche Produkt des Unternehmens. Die Leistungserbringung beruht im Wesentlichen auf deren personengebundenen Wissen und Können. Expertinnen und Experten kultivieren ihre Expertise in Wissensnetzwerken und Fachgemeinschaften und das ist für ihre individuelle Laufbahnentwicklung sehr wichtig.
Im Gegensatz zu Nicht-Expertenorganisationen mit einem teilweise sehr hohen Anteil standardisierter Lösungen und austauschbarem Personal haben Expertenorganisationen ganz andere Herausforderungen in Bezug auf die Organisations- und Personalentwicklung Marketing, Entlöhnung, die Führung usw.. Insbesondere auch der hohe Anteil wissens- und forschungsintensiver Dienstleistungen prägt den Organisationstyp. Daher gibt es für diesen Typ auch spezifische Theorien und Ansätze. Auch gibt es für die verschiedenen Subtypen von Expertenorganisationen wie Professional Service Firms, Hochschulen oder Spitäler ganz spezifische Ansätze oder Denkschulen.
Die Laufbahn von Expert:innen orientiert sich oft stärker an den Leistungskriterien und der Bewertung des eigenen Könnens ihrer Fachgemeinschaften und ihrer Peers und weniger an der Leistungsbeurteilung ihrer Organisation. Als Universitätsprofessor:in zählen z.B. eingeworbene Drittmittel oder die Publikation von Journalartikeln in top-gerankten wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu den Leistungskriterien. Ob die vorgesetzte Person die Leistung als hervorragend oder mittelmässig einstuft, ist vermutlich nachrangig. Er/sie wird sich auch immer auf seine Unabhängigkeit und Autonomie berufen und sich nur begrenzt organisationalen Regeln anpassen wollen.
Dies gilt ähnlich auch für Richter oder z.B. Ärzte. Hier hat die fachliche Führung und das Renommee im Fach einen höheren Stellenwert als eine Einstufung innerhalb der Organisation oder der Leistungsbewertung einer admin. Führungskraft, die einen Arzt aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs lobt. Das ist der Fachspezialistin bzw. dem Fachspezialisten aber vermutlich nicht so wichtig, für diese Personen zählt die fachliche Reputation viel mehr.
Für Führungspersonen ist es wichtig, die Multirationalität dieses Organisationstyps anzuerkennen, Nehmen wir das Beispiel eines Zielkonflikts bei Richtern in Bezug auf Effizienz versus der gründlichen Beurteilung von Verfahren oder Akten. Es gilt Widersprüche und Spannungsfelder zu erkennen und zu thematisieren. Eine direktive Führungsweise ist weniger geeignet, aus den oben genannten Gründen in Bezug auf das ausgeprägte Autonomiebedürfnis.
Führungspersonen sollten einen möglichst hohen Grad an Selbstorganisation ermöglichen, z.B. durch clevere organisationale Strukturen und Prozesse und einer Kultur der Zusammenarbeit, so dass sehr viel Selbstbestimmung beim Individuum und Team liegt. Durch eine ausgeprägte Vertrauenskultur kann man viele Kontrollen auf das Minimum reduzieren.
Expert Leadership führen nicht das System, sondern irritieren an der einen oder anderen Stelle, um das Unternehmen weiterzubringen.
Prof. Dr. Stephanie Kaudela-Baum
Expert:innen haben teilweise einen grossen Einfluss auf den Unternehmenserfolg, daher sollte man proaktiv mit Expertenmacht umgehen. Es bringt nichts, wenn man eine gewisse Abhängigkeit von Expert:innen künstlich ausblendet und damit verbundene Konflikte nicht offen anspricht.
Als Gegenentwurf zur hierarchischen Führung sollten Führungsverantwortliche grundsätzlich die Koordination unter Experten fördern, die Mitarbeitenden unterstützen, coachen, begleiten.
Wenn Expert:innen Expert:innen führen, kann man sicher auch immer wieder die eigene Expertise ins Zentrum stellen, das stärkt die Glaubwürdigkeit, aber nicht zu «laut», eher etwas zurückhaltend und «leise». Expert Leadership führen nicht das System, sondern irritieren an der einen oder anderen Stelle, um das Unternehmen weiterzubringen. Es gilt also eher indirekt zu führen, über Kulturentwicklung, Berücksichtigung der individuellen Mitarbeitendenbedürfnisse.
Auch in Bezug auf Strukturen besteht ein gewisser Handlungsspielraum für Führungskräfte. Hier sollte genügend Flexibilität vorhanden sein, damit der fachliche Austausch gut koordiniert werden kann.
Es gibt in vielen Expertenorganisationen unnötigen Wissensverlust, hohe Fluktuationsraten, weil die vorher genannten Widersprüche nicht konstruktiv gestaltet werden, sondern immer wieder Haurucklösungen geschaffen werden und Konflikte eskalieren. Nehmen wir als Beispiel ein Verbund von Rechtsanwälten in einer Kanzlei: Bevor Rechtsanwälte/Ärzte sehr viel Zeit in das Kanzlei- oder Praxismanagement investieren, um ihre Strukturen und Kultur zu optimieren oder in die Unternehmensführung investieren, wird die Überlegung angestellt, ob man sich nicht doch lieber trennt, wenn es Probleme gibt oder neue Partner sucht, wo es reibungsloser ablaufen könnte. Die Leidenschaft für Management und Führung ist häufig sehr gering ausgeprägt und oft arbeiten diese Experten in lose gekoppelten Verbünden auf eigene Rechnung. Das ist nun vielleicht nicht sehr differenziert formuliert, aber meistens geht einfach die Professionsausübung vor.
Aus meiner Sicht gibt es viele Chancen. Oft bringen Expert:innen eine hohe Eigeninitiative, Selbständigkeit, Lernbereitschaft, Wissensdurst mit, suchen Vernetzung, bilden sich weiter. Es ist natürlich auch ein Geschenk, in einer solchen Organisation zu führen, wenn man vom Typ her auch gut loslassen und anderen Raum geben kann.
Ich gratuliere einem Berater in meinem Team auch zu einem tollen Kundenprojekt neben seiner Laufbahn bei uns als Dozent, ich freue mich über den Erfolg auch ausserhalb meiner Organisation, das strahlt ja auch auf uns zurück. Dieses Mindset sollte man als Führungsperson an einer Fachhochschule mitbringen.
Eine Führungsweiterbildung im Sinne einer Standortbestimmung, Schulung von Reflexionsfähigkeit, kollegialem Coaching und Ausbildung in Kommunikation, Konfliktmanagement, Umgang mit Widersprüchen, Gruppendynamik, aber auch Kreativitäts- und Innovationsmanagement finde ich zentral. Leider kommen in solchen Organisationen jedoch häufig die Personen zur Weiterbildung, die sie nicht so dringend nötig hätten. Die Expert:innen unter den Expert-Leader sind meistens zu beschäftigt, um an ihrer Sozialkompetenz oder emotionalen Intelligenz zu arbeiten. Gut wäre, wenn man Führungsthemen einfach in die Fachausbildungen integrieren würde und jede/r Absolvent:in in Fächern wie Architektur, Ingenieurswesen, Medizin oder Jura auch Führung und People Management Fächer belegen muss.
Sich verstehen im Sinn von gegenseitiger Wertschätzung ist eine wichtige Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Vertrauen ist sehr effizienzfördernd, denn ich kann mir viele Kontrollmechanismen sparen, wenn ich meinen KollegInnen vertrauen kann. Mit der Personalauswahl und der Teamzusammenstellung kann ich natürlich die Leistung und die Motivation beeinflussen. Ich muss aber nicht mit jedem/r Kolleg/in am Abend ein Bier trinken oder Sport machen wollen. Das kann positiv für die Organisation sein, muss aber überhaupt nicht sein, man kann informelle Treffen auch im Betrieb durch gemeinsame Kaffeepausen, Events usw. fördern.
Das ist eine gute Frage. Zu den oft genannten «Fehlern» gehören aus meiner Sicht Angst vor Macht- und Positionsverlust, Widerstand gegen Veränderungen und Nichtzuhören. Fehlende Kenntnisse in Bezug auf Potenziale/Stärken, fehlender Fokus auf die Entwicklung von Mitarbeitenden und Führungskräfte, die Konflikten aus dem Weg gehen und zu wenig Anerkennung/Wertschätzung zeigen. Ganz aktuell: fehlende Kompetenzen in der Führung virtueller Teams.
Diese Fehler können sich negativ auf die Motivation und Bindung der Mitarbeitenden auswirken und auch den Zusammenhalt in Unternehmen verringern. Der Zusammenhalt war in letzter Zeit enorm wichtig, v.a. wenn viele Mitarbeitende von zu Hause aus, auf Distanz arbeiten.
Weitere Literatur zum Thema lesen Sie in unserem Buch das beim Springer Verlag erschienen ist:
Editors: Peter Kels, Stepanie Kaudela-Baum
Stephanie Kaudela-Baum studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Augsburg und Basel. Sie promovierte an der Universität Basel zum Thema Strategisches Human Resource Management und verfügt über mehrjährige Lehr- und Forschungserfahrung in Themen von Management- und Leadership. Aktuell forscht und lehrt sie an der Hochschule Luzern und begleitet als Co-Leiterin des «Competence Center Unternehmensentwicklung, Führung und Personal» Transformationsprozesse in Organisationen.
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