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Fehler gibt es nicht und schuld ist auch keine*r!

Fehler gibt es nicht und schuld ist auch keine*r!

Autor*innen: Elfie Czerny & Dominik Godat

Fehler finden nur in einer linearen Welt statt. Gehen wir von einer komplexen Welt aus, wie wir dies in einer interaktionellen Sichtweise tun, dann sehen wir, dass „Fehler“ immer eine willkürliche Auswahl ist, die nie nur jemandem zugeschrieben werden kann.

Fehler sind in aller Munde. Während lange Zeit die Vermeidung oder Verringerung von Fehlern im Zentrum stand, hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung von einer schwachen Fehlerkultur, in der Fehler totgeschwiegen und Probleme verschleiert werden, zu einer offeneren Fehlerkultur vollzogen, in der wertschätzend und konstruktiv mit Fehlern umgegangen wird. Fehler wurden lange als Zeichen des Scheiterns oder der persönlichen Unzulänglichkeit gesehen und waren unbedingt zu vermeiden. Neuerdings lauten die Credos «Fehler sind wichtig!», «Wir wollen aus Fehlern lernen.», «Hab Mut zum Fehler.» oder «Fehler sind notwendig für Innovation und Agilität».

Auf den ersten Blick scheint dies eine gute Entwicklung zu sein. Wir sollen uns nicht mehr vor Fehlern fürchten. Wir müssen nicht perfekt sein. Wir dürfen auch mal etwas ausprobieren. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass diese Sichtweise nur in einer traditionellen, linearen Welt Sinn macht. In einer komplexen Welt gibt es weder Fehler noch Schuld.

Es gibt keine Ursache und Wirkung

In einer linearen Welt, die Jahrzehntelang die Denkmodelle bestimmte, beeinflusst eine Komponente eine andere. Es gibt eine Ursache (sozusagen einen Grund) und daraus eine Wirkung. Auch wenn die meisten von uns dies so in ihren Ausbildungen gelernt haben, merken wir heute mehr denn je, dass unsere moderne Welt nicht so eindimensional und einfach ist.

Wir leben in einer komplexen Welt, in der sich alle gegenseitig beeinflussen. Dies wird als Interdependenz beschrieben. Menschen beeinflussen sich gegenseitig und sind voneinander abhängig. Sie können sich dies wie ein riesiges Mobile vorstellen. Wenn sich ein Teil bewegt, bewegen sich alle anderen Teile. Und jedes bewegende Teil hat wiederum einen Einfluss auf alle anderen Teile, die wieder alle anderen mitbewegen und so sich selbst wieder in Bewegung versetzen.

Alles beeinflusst sich gegenseitig

Dies ist auch in Ihrem Leben so. Wenn Sie sich zum Beispiel fragen, wie es kommt, dass Sie jetzt diesen Artikel lesen. Dann werden Sie merken, dass es nicht den einen Grund oder die eine Ursache gibt. Auch wenn Leute vielfach auf die Frage nach dem «Warum?» mit einer Antwort antworten, so ist die eine Antwort nur einer der möglichen vielfältigen Einflussfaktoren. Tausende Faktoren haben dazu beigetragen, dass Sie jetzt in diesem Moment so hier sind, wie Sie sind, und das tun, was Sie tun.

Einige davon können Sie benennen, z.B. vielleicht dass Sie jetzt gerade Zeit haben, dass Sie den Blog abonniert haben, dass Ihnen jemand davon erzählt hat, dass Sie das Thema interessiert, dass Sie eine berufliche Tätigkeit gewählt haben, bei dem dieses Wissen einfliessen kann, oder weiter in der Vergangenheit, dass Sie sich seit Ihrer Jugend für psychologische Themen interessieren oder dass Sie gelernt haben zu lesen. Im Endeffekt könnten Sie sogar behaupten, dass Ihre Eltern die Ursache dafür seien, dass Sie hier sind. Andere Faktoren sehen Sie nicht oder wissen nichts darüber, beispielsweise dass wir uns seit Jahren mit der interaktionellen Sichtweise auseinandersetzen, dass wir immer wieder Leute antreffen, die über Fehler reden und dies bei uns zu Verwunderung führt.

Alle diese Faktoren tragen dazu bei, dass Sie im Moment diesen Beitrag lesen. Keiner dieser einzelnen Faktoren jedoch ist «der Grund» oder «die Ursache» dafür. Die Frage nach dem «Warum?» greift immer zu kurz.

Fehler sind willkürlich gewählt

Geben wir auf die Frage nach dem Grund trotzdem eine Antwort, dann handelt es sich immer um eine willkürliche Auswahl einer der vielen möglichen Faktoren, die dazu beigetragen haben. Wir hätten auch viele andere Faktoren benennen können. Denn in jeder Situation hat vieles dazu beigetragen, dass es so gekommen ist. Wir können in einer komplexen Welt keinen isolierten Grund ausfindig machen. Das ist nur mit einer linearen Sichtweise möglich, die nicht mehr zeitgemäss ist.

Das gleiche gilt auch, wenn wir auf Fehlersuche gehen. Die Frage nach dem «Fehler» oder nach dem Fehlverhalten hat die gleiche Logik, wie die Frage nach dem «Grund». Fragen wie, «Was lief schief?», «Wer hat den Fehler gemacht?», «Was hat zum Fehler geführt?» gehen einerseits von einer Linearität aus mit einem Ursache-Wirkungs-Denken und führen immer nur zu einer willkürlichen Auswahl von einigen wenigen Einflussfaktoren, die nie «der Grund», «die Ursache» oder «der Fehler» sind. Wir picken einfach willkürlich etwas aus tausenden von Möglichkeiten heraus, was wir als Fehler oder Fehlverhalten bezeichnen. Wir hätten auch jedes andere daran beteiligte Verhalten auswählen und eine willkürliche Ursache-Wirkungslogik unterstellen können.

Alle sind beteiligt

Die Frage nach Fehler lädt auch dazu ein, nach «Schuldigen» oder «Verantwortlichen» zu suchen. Auch dies macht in einer komplexen Welt keinen Sinn, da sich alle gegenseitig beeinflussen und so alle daran beteiligt sind. Das merken Sie, wenn Sie sich fragen, weshalb Sie sich so verhalten, wie Sie sich verhalten oder weshalb Sie den «Fehler» gemacht haben. Sie werden eine Vielzahl von Einflussfaktoren oder guten Gründen finden, die immer beeinflusst sind von anderen Personen. Sie wurden beeinflusst von anderen Personen, die sich wiederum gegenseitig beeinflussten.

Fragen wir nach dem vermeintlichen Grund eines Verhaltens, hören wir meist Aussagen wie «Ich habe dies so gemacht, weil Person XY mir gesagt hat, dass…» oder «Da die andere Person das so und so gemacht hat, habe ich…». Wir finden nur dann «eine*n Schuldige*n» oder «eine*n Verantwortliche*n», wenn wir Verhalten ohne diese interaktionellen Wechselwirkungen isoliert betrachten. Dass dies in einer komplexen Welt, in der alles miteinander vernetzt ist, absurd ist, wird offensichtlich. Das vermeintliche «Fehlverhalten» kann niemandem individuell zugeschrieben werden. Alle sind schlussendlich durch ihre Interaktionen und ihr Verhalten, die bei anderen zu anderen Interaktionen und anderem Verhalten führen und sie selbst wieder beeinflussen, daran beteiligt.

Am Schluss haben wir zwar eine Situation, die so nicht gewollt war. Was jedoch «der Grund», «die Ursache», «der Fehler», «das Fehlverhalten» war, ist eine logisch falsche Frage in einer komplexen Welt, die wir alle auf verschiedenste Art und Weise miteinander wechselseitig gestalten.

Gemeinsam statt einsam

Die Suche nach Fehlern ist in einer komplexen Welt nicht nur logisch unsinnig, Sie führt auch oft zu unguten Interaktionen, bei denen eine willkürliche Geschichte kreiert wird, die ein einzelnes Verhalten oder einzelne Personen an den Pranger stellt. Darauf folgen meist weitere Gespräche und vielfach Konsequenzen für einzelne. Die eine Person muss sich ändern. Sie muss daraus lernen. Sie muss sich anders verhalten. Wie wenn nicht alle daran beteiligt gewesen wären und dazu beigetragen hätten.

Erkennen wir, dass bei jedem Resultat – sei es gewünscht oder ungewünscht – alle beteiligt sind, dann wird auch klar, dass für die Lösungsfindung so viele wie möglich einbezogen werden sollten. Anstatt jemanden einsam für «Fehler» verantwortlich zu machen, ist es sinnvoller gemeinsam zu schauen, wie wir in Zukunft miteinander interagieren möchten, um möglichst gute Resultate gemeinsam zu erzielen.

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Der folgende Artikel wurde ursprünglich im WEKA Magazin Persönlichkeit! in Ausgabe 03/2022 “Interaktionen” publiziert.

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