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Fachkräftesicherung

Fachkräftesicherung
Von Dr. Andreas Jäger Fontana und Dr. Peter Senn

Herausforderungen und Erfolgsgeschichten

Fachkräftesicherung wird auch in Zukunft eine der wichtigsten Herausforderungen für Unternehmen darstellen. Das Bundesamt für Statistik in der Schweiz prognostiziert aufgrund der Bevölkerungsalterung und der niedrigen Geburtenrate für die nächsten Jahrzehnte ein Arbeitskräftedefizit. In Zahlen bedeutet dies gemäss Wolf (2020), dass in 10 Jahren ohne Gegenmassnahmen mit einem Arbeitskräftedefizit von über 600’000 Personen zu rechnen ist.

Der Bund hat mit der Fachkräfteinitiative viele Anstösse gegeben, um das inländische Fachkräftepotenzial besser auszuschöpfen. Auch die Kantone haben eine Vielzahl von Massnahmen umgesetzt – beispielsweise die Sensibilisierung auf verschiedenen Schulstufen für die sogenannten MINT-Berufe.

Die Herausforderung

Doch primär sind die Unternehmen selbst (heraus)gefordert. Grössere Betriebe widmen dem Thema in der Regel eigene Projektgruppen und investieren in Programme zu Talentmanagement, Employer Branding und Retention Management. Einige Unternehmen setzen auch konsequent den «Make-or-Buy»-Gedanken um: Wo keine Fachkräfte rekrutiert werden können, bilden sie diese selbst aus. Technische Qualifikationen werden in unternehmensinternen Ausbildungsstätten vermittelt und mit Zertifikat abgeschlossen – dies neben dem üblichen Engagement als Ausbildungsbetrieb für Lernende (Halene & Senn 2020).

Für KMU (Kleine und Mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten) ist es aufgrund ihrer knappen Ressourcen sehr herausfordernd, die Fachkräftesicherung konsequent anzugehen. Dennoch schätzen KMU ihre eigene Attraktivität als Arbeitgeber positiv ein. Dies zeigt die Online-Umfrage des KMU- und Gewerbeverbands des Kantons Luzern (KGL), die in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut Demoscope und der Hochschule Luzern erstellt wurde (Glaus 2024).

Parallel dazu haben wir eine qualitative Erhebung durchgeführt, in deren Rahmen wir mit Eigentümern, Geschäftsleitungsmitgliedern und HR-Verantwortlichen von 9 KMU aus den Zentralschweizer Kantonen halbstrukturierte Interviews durchgeführt und ausgewertet haben. Es handelt sich dabei um eine Erkundungsstudie (explorative Studie) mit dem Ziel, Best Practice-Ansätze zu identifizieren. In die Interviews sind wir mit folgender einfachen Frage eingestiegen: «Was macht Euch als Arbeitgeber attraktiv?» Es zeigt sich, dass einige KMU vorbildlich mit der Herausforderungen umgehen, welche mit dem Fachkräftemangel einhergehen.

Erfolgsgeschichten aus der KMU-Welt

Um es vorwegzunehmen: es ist wichtig, etwas zu unternehmen. Viel wichtiger ist aber neben dem WAS das WIE. Dies kommt in den 9 Interviews deutlich zum Vorschein. Die Massnahmen müssen zum jeweiligen Unternehmen passen. Dazu muss man die eigenen Mitarbeitenden kennen. Es geht – um es in einen Begriff zu fassen – um das «Persönlichmachen». Die 9 Unternehmen behandeln ihre Mitarbeitenden eben nicht als Mitarbeitende, sondern als Menschen mit je eigenen Wünschen, Zielen und Interessen. Wenn Mitarbeitende dies spüren, zahlen sie es mit Identifikation und Engagement zurück.

Darüber hinaus zeigt sich, dass die 6 Einflussfaktoren der Arbeitgeberattraktivität nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenhang wirken (Modell).

Die Einsichten und Schlussfolgerungen aus den neun Interviews erörtern wir beispielhaft nachfolgend entlang den sechs Einflussfaktoren der Arbeitgeberattraktivität: Anwendung, Perspektiven, Bedingungen, Interesse, Beziehungen und Mitwirkung.

Anwendung

Bedeutung der Arbeit, Anwendung von Gelerntem, sich wirksam erleben

Die verschiedenen Beispiele aus den Interviews lassen sich treffend unter das Motto des «lustvollen» Arbeitens stellen. Die Unternehmen geben spezifisch Raum für sogenannt nicht direkt produktive und verrechenbare Tätigkeiten. Beispielsweise verbringen die Mitarbeitenden eines Unternehmens Zeit bei einem Kunden nach Wahl, um Einblicke in deren Aufgabenfelder und Anliegen zu erhalten. Ein anderes Unternehmen erlaubt seinen Mitarbeitenden einen Prozentteil ihrer Sollarbeitszeit für gemeinnützige Tätigkeiten oder generell für Tätigkeiten zu nutzen, welche der Region zugutekommen.

Dies birgt Innovationspotenzial. Man kann dies nämlich auch dazu nutzen, Kundenbedürfnisse besser kennenzulernen. Das gleiche Unternehmen erweitert den Rahmen von Meetings und Einzelgesprächen bewusst über den Aufgabenbereich des Einzelnen hinaus. Meetings und Einzelgespräche folgen einer partizipativ erarbeiteten Struktur. Sie beginnen mit der Diskussion des eigenen Beitrags zum Team-Spirit. Erst danach folgt Fachliches, Projektbezogenes und Organisatorisches. Bei allen Beispielen erweist es sich als entscheidend, klare Abmachungen zu treffen und sich auf den eigenen Unternehmenszweck zu fokussieren.

Perspektiven

Karriere, berufliche Entwicklung, neue Berufsbilder

Hier zeigt sich das angesprochene «Persönlichmachen». Die Förderung der Mitarbeitenden orientiert sich nicht an gegebenen, aktuellen Strukturen, sondern am einzelnen Menschen, seinen Potenzialen und Wünschen, die es zuallererst im Gespräch und im Rahmen des Arbeitens zu entdecken gilt. Ein schönes Beispiel liefert eine Druckerei, wenn sich ein Polygraf zum Art Director entwickelt. Dies wird auch dadurch möglich, dass Mitarbeitende flexibel in verschiedenen Bereichen und Projekten mitwirken können. Folgendes Zitat bringt es auf den Punkt: «Bei uns beginnt Retention da, wo wir uns wirklich um die kümmern, die sich für die Firma interessieren.»

Bedingungen

Anstellungsbedingungen, Arbeitsplatzsicherheit, Work-Life-Balance

In dieser Hinsicht dreht sich vieles um die Gestaltung von Arbeitszeiten. Schon lange vor dem aktuellen Hype um die 4-Tage-Woche hat ein Unternehmen der Metallbaubranche eine 4.5-Tage-Woche eingeführt. Sämtliche Angestellten beenden ihre wöchentliche Arbeit am Freitag zur Mittagszeit. Entscheidend ist dabei, wie dies von den Angestellten empfunden wird. Sie erleben dies als kollektives Ritual. Dies gilt im Übrigen auch für das herkömmliche Instrument der Betriebsferien. Hier geht es nicht primär um betriebswirtschaftliche Überlegungen, sondern um kollektive Erholung: «Es bleibt bei allen alles liegen. Und nach zwei Wochen kommst du wieder und es fängt wieder alles miteinander an zu laufen.» Doch auch neuere Ansätze versprechen Wirkung, wie zum Beispiel «Workation», die Kombination von «work» und «vacation».

Ein Unternehmen erlaubt es dem Einzelnen, egal ob mit Migrationshintergrund oder einfach mit Reiselust, eine Zeit lang vom Ausland aus zu arbeiten. In Bezug auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bietet ein anderes Unternehmen am eigenen Standort eine KITA an. Dies im Interesse eines ausgewogenen Geben und Nehmen: «Das ist natürlich etwas Cooles. Du kommst am Morgen mit dem Kind und du kannst mit ihm zusammen im Gebäude hoch zur KITA.»

Ein anderes Unternehmen sorgt sich um die Arbeitsplatzsicherheit seiner Mitarbeitenden. Um bei vorübergehend schlechter Auftragslage Mitarbeitende nicht entlassen zu müssen, sorgt sie über Entwicklungsmassnahmen dafür, dass der Einzelne vielfältig, also multifunktional einsetzbar ist.

Interesse

an Arbeitgeber, Produkten, Arbeitspraktiken, Innovation

Die befragten Unternehmen betonen in dieser Hinsicht die Wichtigkeit, gegenüber Konkurrenten der gleichen Branche eine Vorreiterrolle einzunehmen und immer auf dem neuesten Stand der Technik und Technologie zu sein. Dies bezieht sich auf Werkzeuge, Herstellungsverfahren sowie digitalisierte Arbeitsprozesse, aber auch den kreativen Umgang mit Kunden. Es ist beobachtbar, dass dies insbesondere Lernende mit Stolz erfüllt und zu Botschaftern des eigenen Unternehmens macht.

Beziehungen

Arbeitsklima, Beziehungsqualität, Zugehörigkeit

Um das Zugehörigkeitsgefühl zu steigern, entschliesst sich ein Unternehmen der Haustechnikbranche das Produktionswerk eines Lieferanten im Ausland zu besichtigen. Das Programm wird ergänzt durch soziale Anlässe. Dass weit mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden die Reise mitgemacht haben, zeugt von einer hohen Identifikation mit dem Unternehmen. Das Beispiel zeigt auch anschaulich, dass die Einflussfaktoren der Arbeitgeberattraktivität miteinander verbunden sind. Es wurde in diesem Fall auch das Interesse an Produkten und Innovation gefördert.

Bei einem Beratungsunternehmen für Kundenbeziehungen gehören alle Mitarbeitenden zum «Inner Circle» und der Arbeitsvertrag wird zur Vertrauenserklärung umgewandelt.

Einem Messgerätehersteller ist die Nahbarkeit seiner Führungskräfte wichtig. Das Unternehmen ist sich der hohen Symbolkraft bewusst, wo diese Begegnungen stattfinden, wer einen Schritt auf den anderen zugeht. Ein Unternehmen aus dem Gastgewerbe möchte nicht nur seine Gäste verblüffen, sondern auch seine Mitarbeitenden, «ein CRM, ein Customer Relationship Management, auf die Mitarbeitenden angewendet.»

Mitwirkung

Entscheiden können, neue Ideen einbringen, Feedback

Wie gelingt es, Mitarbeitende zu ermutigen, Verbesserungsideen einzubringen? Ganz einfach: indem eingebrachte Vorschläge auch besprochen und umgesetzt werden, und dies möglichst unkompliziert und schnell. Das Unternehmen der Metallbaubranche baut in Form nicht direkt produktiver Zeitfenster sogenannte Verbesserungstage in die Arbeitsprozesse ein. Abteilungsübergreifende Teams beurteilen die eingebrachten Ideen nicht nur, sondern übersetzen die Ideen in konkrete Umsetzungsmassnahmen. Gestaltet wird dieser Prozess nach dem Lean-Prinzip.

Auch das Unternehmen der Haustechnikbranche betont die Bedeutung der unkomplizierten Umsetzung: «Wenn wir das Gefühl haben, das ist gut, dann setzen wir das umgehend um. Also da wird nicht noch einmal darüber philosophiert, würden wir und könnten wir.» Damit geht auch einher, jene entscheiden zu lassen, welche dazu prädestiniert sind, und das sind in der Regel jene, welche die Ideen einbringen. Der Messgerätehersteller ist sich dabei bewusst, dass nicht alles sofort funktioniert. Und es ist wichtig, dies nicht als Scheitern oder Fehler zu betrachten.

Drei individuelle Erfolgsgeschichten

Perspektiven und Anwendung

Perspektive auf Arbeitswelt

«Ich arbeitete zuvor drei Jahre als HR-Assistentin bei einem grösseren Gastro-Unternehmen. Wir haben zuerst schon gedacht, dass wir die Stelle der HR-Leitung neu besetzen wollen, weil ich ja doch auch noch eine junge Person bin. Ich war gerade dran, den Fachausweis zu machen. Ich denke, im HR ist eine gewisse Lebenserfahrung schon sehr wertvoll. Ich habe zuerst etwas überbrückt, während wir noch gesucht haben. Dann haben wir gesehen, dass wir es eigentlich auch gleich mit mir machen können. Ich hatte Freude. Für mich ist das meine Traumstelle. Es ist mein Karriereziel. Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht.»

Leiterin Personal, Hotelbetrieb

Beziehung und Mitwirkung

«Also wir verlangen von unseren Leuten, dass sie sich einbringen, dass sie sich verändern können, Sachen anpacken und mitreden. Gerade letzthin beim ERP-Projekt. Wir hatten ein Team von 13 Key-Usern; die haben Entscheidungskompetenzen bekommen für das. Sie durften und mussten viel Verantwortung übernehmen. Das gibt einem das Gefühl, ich werde gebraucht, ich bin wichtig und ich kann etwas bewirken. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Früher hatte man Angst, Fehler zu machen. Nein, bitte, macht Fehler. Probiert aus – nicht overdesignen – einfach anfangen, einmal machen, Fehler machen, darüber reden und weitergehen.»

Leiter Personal und Geschäftsadministration, Industriebetrieb

Bedingungen und Interesse

«Wir planen Lebensräume für Menschen und leben das in unserem Betrieb vor. Der Kaffee, den wir gratis geben, ist aus nachhaltiger Produktion. Wir haben zudem regionales Gemüse, Früchte, Brot. Zudem finanzieren wir keine Privatfahrzeuge mehr mit. Es gibt auch keine Parkplätze mehr, sondern wir haben Mobility-Karten. Jeder Mitarbeiter kann zu Mobility gehen, mit dem Genossenschaftstarif fahren, privat und im Geschäft. Und wir haben zwei schnelle E-Bikes und investieren gerade in zwei neue, sodass wir die ganzen Agglo-Aufträge mit den E-Bikes und mit dem Transportbike machen können. Die E-Bikes stehen auch privat zur Verfügung. Da geht es uns um die Vorbildfunktion in der Familie. Du musst kein Auto haben, wenn du Kinder hast, weil du in die Transportbikes auch Kindersitze montieren kannst.»

Partner Planungsbüro


Weiterbildungsprogramm CAS Fachkräftesicherung

Zur Unterstützung von Betrieben bei der Weiterentwicklung ihrer Arbeitgeberattraktivität starten wir an der Hochschule Luzern Wirtschaft im September 2025 ein neues Weiterbildungsprogramm CAS Fachkräftesicherung. Die CAS-Module orientieren sich an den sechs Dimensionen von Arbeitgeberattraktivität. Bei jedem Modul sind Praxisreferierende aus Unternehmen vor Ort, die von ihren Erfolgsgeschichten bei der Steigerung ihrer Arbeitgeberattraktivität berichten und bewährte Methoden sowie Instrumente mit den Teilnehmenden teilen. Die erste Informationsveranstaltung findet am 1. April 2025 statt: Anmeldung.


Lesen Sie hier unseren Blogbeitrag zum Thema Mitarbeiterbindung dank Arbeitgeberattraktivität

Literatur

Ammann, J.-P., Brun, S., Fischer, M. & Notter, M. (2023).  Fachkräftesicherung im Bauingenieurwesen – Handlungsempfehlungen für die Bau- und Planerbranche. Unveröffentlichte Masterarbeit MBA Luzern/HSLU.

Glaus, C. (2024). So attraktiv fühlt sich das Gewerbe. In: Luzerner Zeitung vom 15. November 2024, S. 25.

Halene, V. & Senn, P. (2020). Error: Fachkraft nicht gefunden. Zeitschrift Schweizer Monat 1075, April 2020. S. 14-15.

Wolf, G. (2020). Mitarbeiterbindung – inkl. Arbeitshilfen online: Strategie und Umsetzung im Unternehmen. Haufe Lexware Verlag.

Bilderquelle: Hochschule Luzern HSLU Bilddatenbank

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