2. September 2019
Von Claudio Kerber
Ein Internet-Krimineller loggt sich mittels Fernwartungssoftware auf dem Computer und auf dem Bankkonto des Geschädigten ein. Für rund 600’000 Schweizer Franken werden Kryptowährungen gekauft und an unbekannte Empfänger transferiert. Der 80-Jährige verliert sein gesamtes Vermögen. Ein Erfahrungsbericht.
Als sie noch lebte, habe sich seine Frau um die Finanzen gekümmert. Nie, sagte mir der Geschädigte an der ersten Besprechung, hätte sie es zugelassen, dass er mit dem Altersvermögen so leichtfertig umgehen würde. Sein unbedachtes Vorgehen ist jedoch nur die eine Seite der Gleichung – meine Abklärungen ergaben ein besonders hinterhältiges Vorgehen gegenüber dem Geschädigten, einem knapp 80-jährigen ehemaligen Bäckermeister.
Im Internet war er auf eine Anzeige eines Finanzdienstleisters mit angeblicher Geschäftsadresse in London gestossen, der sich als Broker für Währungsgeschäfte ausgab. Der Geschädigte eröffnete auf dem Onlineportal ein Benutzerkonto und wurde kurz darauf mehrmals von einem Mitarbeiter (Beschuldigter) kontaktiert. Dieser redete dem Geschädigten ein, er könne ihm beim Handel von Devisen und Kryptowährungen «behilflich» sein. Der Beschuldigte sprach leidlich Deutsch und hatte eine nette und einnehmende Art, sodass der Geschädigte schnell Vertrauen in ihn fasste.
Der Cyber-Taschenspielertrick
Unter Vorwänden überzeugte der Beschuldigte den Geschädigten, ihm mittels einer Fernwartungssoftware (AnyDesk) Zugriff auf seinen Laptop zu gewähren. Der Beschuldigte brachte den Geschädigten sodann dazu, sich auf seinem Online-Konto bei der Swissquote einzuloggen.
Im Zeitraum von rund neun Monaten löste der Beschuldigte, jeweils über den Laptop und auf dem Swissquote-Konto des Geschädigten, Überweisungen in Höhe von insgesamt rund 600’000 Schweizer Franken aus. Diese Transfers erfolgten mehrheitlich auf Handelsplattformen für Kryptowährungen wie Revolut, Coinbase, Bitpanda und B2Crytpo bzw. auf die entsprechenden Korrespondenzkonten dieser Plattformen bei regulierten Bankinstituten in England, Estland, Österreich und Deutschland.
Der Geschädigte ging aufgrund der Äusserungen des Beschuldigten davon aus, die überwiesenen Gelder würden für ihn verwaltet und stünden ihm jederzeit zur Verfügung. Tatsächlich konnte sich der Geschädigte auf dem Onlineportal des Brokers einloggen; dieses machte gegen aussen hin einen professionellen Eindruck und zeigte dem Geschädigten – vermeintlich – eine positive Entwicklung sowie den aktuellen Stand seines Vermögens an.
Bei der Aufarbeitung des Sachverhalts ergab sich jedoch, dass die vom Swissquote-Konto des Geschädigten auf die Handelsplattformen überwiesenen CHF- und EUR-Beträge jeweils sogleich in Kryptowährungen (Bitcoin, Ripple, Ether, Ethereum Classic, NEM und Ox) getauscht und bereits Minuten später an unbekannte Empfänger weitertransferiert wurden. Aufgrund seines Alters und seiner Unerfahrenheit mit solchen Transaktionen hatte der Geschädigte keine Chance, den vom Beschuldigten mittels Fernzugriffs auf seinem Laptop durchgeführten Taschenspielertrick zu durchschauen.
Der Vorschusstrick
Als der Geschädigte nach einigen Monaten einen Teil des Anlagevermögens für seinen Lebensunterhalt beziehen wollte, teilte ihm der Beschuldigte mit, aktuell sei ein Betrag von 240’000 Euro frei verfügbar, angeblich aus Handelsgewinnen. Er könne diesen Betrag beziehen, müsse jedoch zunächst selber einen Betrag von 48’000 Euro auf ein Sperrkonto überweisen. Begründet wurde dies mit einem angeblichen Rückbehalt für Steuern im Verhältnis England-Schweiz. Die Zahlungsbereitschaft der Täterschaft war freilich nur vorgespiegelt; in Wirklichkeit ging es nur darum, dem Geschädigten weitere Mittel abzuknöpfen (Vorschussbetrug). Tatsächlich tätigte der Geschädigte zwei weitere Zahlungen in Höhe von insgesamt 24’000 Euro; dies in seiner Verzweiflung und in der Hoffnung, damit zumindest doch noch einen Teil seines Geldes zurückzuerhalten. Die Auszahlung des Guthabens wurde dem Geschädigten unter immer neuen Ausflüchten verweigert. Nachdem der Geschädigte mitgeteilt hatte, er lebe inzwischen auf dem Existenzminimum und könne einfach nicht mehr zahlen, brach die Beschuldigte den Kontakt ab.
Es liegt ein Fall von «Social Engineering» vor, wobei der Beschuldigte die ausgeprägte, alters(mit)bedingte Leichtgläubigkeit des Geschädigten kaltschnäuzig ausnutzte. Dieser war der festen Überzeugung, es handle sich beim Beschuldigten um einen rechtschaffenen Menschen. Dass er Opfer solcher Machenschaften werden könnte, lag ausserhalb des Vorstellungsvermögens des 80-Jährigen. Die Vorgehensweise mittels Fernwartungssoftware erinnert an die Fälle von «Tech Support Scam», in denen sich Kriminelle als Mitarbeiter etwa von Microsoft ausgeben und angebliche Probleme auf dem Computer des Opfers per Fernwartung beheben wollen. Perfid ist, dass die Transaktionen direkt auf dem Laptop und unter den Augen des Geschädigten erfolgten; dieser konnte gleichsam in Echtzeit zusehen, wie sein Geld verschoben wurde, wobei er aber das deliktische Vorgehen nicht zu durchschauen vermochte. Der Fall macht auch deshalb betroffen, weil der Geschädigte sein gesamtes Altersvermögen verloren hat. Die Identität des aus dem Ausland operierenden Beschuldigten und der mutmasslich im Hintergrund involvierten Strippenzieher ist unbekannt. Zurzeit wird der Sachverhalt auf entsprechende Anzeige hin polizeilich untersucht. Es ist von einem banden- und serienmässigen Vorgehen auszugehen. Vergleichbare Fälle, in denen inzwischen auch Ermittlungserfolge verzeichnet werden konnten, sind aus Österreich und Deutschland bekannt.
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