22. August 2022
Am 27. Juni 2022 verurteilte das Bundesstrafgericht in Bellinzona die Credit Suisse wegen Verstosses gegen Art. 102 StGB zu einer Busse in der Höhe von 2 Millionen Schweizer Franken. Zu Schuld gelegt wird der Bank, dass sie einer kriminellen Organisation aufgrund von Mängeln in der internen Organisation den Abzug ihrer Vermögenswerte ermöglicht hat. Was hat das Urteil in Bezug auf die Entwicklung des Unternehmensstrafrechts zu bedeuten?
Mit der Verhaftung des Kopfes einer berüchtigten bulgarischen Drogenbande im Herbst 2021 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew konnten über 15 Jahre andauernde Ermittlungen von mehreren europäischen Behörden erfolgreich abgeschlossen werden. Der bereits mehrfach verurteilte Bulgare hat mit seiner Bande, gemäss verschiedenen in Europa ergangenen Gerichtsurteilen, in den 2000er-Jahren mehrere Dutzend Tonnen Kokain nach Europa geschmuggelt und hier verkauft. Die dabei erzielten Erträge in der Höhe von mehreren Millionen Schweizer Franken wurden von der kriminellen Organisation, gemäss dem noch nicht rechtskräftigen, erstinstanzlichen Urteil des Bundesstrafgerichts, in der Zeit zwischen Juli 2007 und Dezember 2008 über die Credit Suisse gewaschen. Neben einer ehemaligen Angestellten der Bank, die sich der qualifizierten Geldwäscherei schuldig gemacht hat, wurde Credit Suisse selbst zur Verantwortung gezogen. Aufgrund von Mängeln hinsichtlich der Führung der Kundenbeziehungen mit der kriminellen Organisation als auch hinsichtlich der Überwachung der Umsetzung der Regeln zur Bekämpfung der Geldwäscherei wurde sie zu einer Busse in der Höhe von zwei Millionen Schweizer Franken verurteilt. Darüber hinaus wurde die Bank verpflichtet, eine Ersatzforderung in der Höhe von mehr als 19 Millionen Schweizer Franken zu Gunsten der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu leisten. Der Betrag entspricht dem Teil der unrechtmässig erlangten Vermögenswerte, die die schweizerischen Behörden aufgrund der internen Mängel nicht einziehen konnten.
Unternehmensstrafrecht im Rückblick
In der Schweiz können sich Unternehmen seit dem 1. Oktober 2003 strafbar machen. Weil einem Unternehmen keine persönliche Verfehlung vorgeworfen werden kann, wird stattdessen der Vorwurf von mangelhafter Organisation erhoben. Während die Lehre mit einer beinahe unübersehbaren Vielzahl von Publikationen auf die Einführung der Bestimmung reagierte, schien diese in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden vorerst nicht aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen. Zu schwierig und zu ungeklärt dürfte die Beweis- und Rechtslage bei diesen erschienen sein. Bloss punktuell erliessen vereinzelte kantonale Staatsanwaltschaften gestützt auf die Bestimmung Strafbefehle. Solche werden erlassen, wenn die beschuldigte Person die begangene Straftat im Verfahren vor der Staatsanwaltschaft gestanden hat oder der Sachverhalt anderweitig ausreichend geklärt ist.
Bis die Bundesanwaltschaft den ersten Strafbefehl in diesem Zusammenhang erliess, dauerte es ganze 8 Jahre. Im Jahr 2011 wurde im «Alstom-Fall» mittels Strafbefehls eine Busse in der Höhe von 2.5 Millionen Schweizer Franken ausgesprochen, weil das Unternehmen nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen getroffen hat, um die Bestechung fremder Amtsträger zu verhindern. Zusätzlich wurden mehr als 35 Millionen Schweizer Franken als Ersatzforderungen eingezogen. In der Folge erliess die Bundesanwaltschaft, insbesondere im Zusammenhang mit internationalen Bestechungshandlungen, weitere Strafbefehle. Der Spektakulärste dürfte im Herbst 2019 ergangen sein. In diesem erhielt ein Rohstoffhändler eine Busse in der Höhe von 4 Millionen Schweizer Franken, weil er seine Angestellten und Vermittler nicht mittels entsprechender organisatorischen Massnahmen davon abgehalten hat, Amtsträger zu bestechen, um Zugang zu den Erdölmärkten der Republik Kongo sowie der Elfenbeinküste zu erhalten. Neben der Busse wurde er zur Leistung einer Ersatzforderung von gegen 90 Millionen Schweizer Franken verpflichtet.
Die genannten Verfahrenserledigungen sind beide im Einvernehmen mit den betroffenen Unternehmen erfolgt. Doch weshalb kommt es zu solchen Absprachen? Eine Möglichkeit ist, dass die betroffenen Unternehmen den Reputationsschaden scheuen, der mit einer Anklage und der damit einhergehenden öffentlichen Gerichtsverhandlung verbunden wäre. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Strafverfolgungsbehörden das Risiko eines Freispruchs scheuen, wie dies beispielsweise im bekannten «Postfinance-Fall» aus dem Kanton Solothurn der Fall war. Kostenüberlegungen hingegen dürften dafür eher eine untergeordnete Rolle spielen.
Unternehmensstrafrecht im Umbruch
Im Jahr 2020 erfolgte ein erster Wendepunkt im Unternehmensstrafrecht. Die Bundesanwaltschaft erhob sowohl Anklage gegen die Falcon Private Bank als auch gegen die Bank Credit Suisse. Somit wurde erstmals mittels Anklagen gegen die mutmasslich fehlbaren Unternehmen vorgegangen. Dabei ist interessant festzustellen, dass beide Fälle dem Finanzsektor entspringen, bei beiden Banken interne Mängel zur Verhinderung von Geldwäscherei zum Vorwurf erhoben wurden und in beiden Fällen eine erstinstanzliche, aber noch nicht rechtskräftige Verurteilung ergangen ist. Somit bleibt abzuwarten, wie sich der Ausgang der Verfahren auf die künftige Risikobeurteilung der Finanzinstitute, wie auch der Bundesanwaltschaft auswirken wird.
Kritik an der Bundesanwaltschaft
Neben den Mängeln in der internen Organisation der Credit Suisse stellte das Bundesstrafgericht eine Verletzung des Beschleunigungsgebots durch die Bundesanwaltschaft fest und reduzierte mit aus diesem Grund die ausgefällte Busse. In der Tat scheint eine Verfahrensdauer von 12 Jahren bis zur Anklageerhebung sehr lang, auch wenn dabei berücksichtigt wird, dass mehrere Beschuldigte unter Verdacht standen und internationale Verhältnisse vorlagen. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, hat die Bundesanwaltschaft dem Bundesrat im Jahr 2020 den Vorschlag unterbreitet, eine Bestimmung in das schweizerische Unternehmensstrafrecht aufzunehmen, die mit dem amerikanischen «Deferred-Prosecution-Agreement», auch «Non-Prosecution-Agreement» genannt, vergleichbar ist. Danach haben die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, die Anklageerhebung aufzuschieben, sofern das Unternehmen diverse Auflagen erfüllt. Daraus folgt eine faktisch ungleich mächtigere Verhandlungsposition der Behörde gegenüber den betroffenen Unternehmen. Der Vorschlag wurde vom Bundesrat nicht aufgenommen.
Vergleich mit dem Ausland
Bei einem Blick über die Landesgrenzen fällt auf, dass die Schweiz mit einer Bussandrohung von maximal 5 Millionen Schweizer Franken deutlich hinter den drohenden Sanktionen im Ausland zurückbleibt. Dort bewegen sich die Bussen in zwei- oder dreistelliger Millionenhöhe. Bei der Abgasaffäre von Volkswagen betrug die Busse gar eine Milliarde Euro. Aufgrund der tiefen Strafandrohung wird die Schweiz auch von internationalen Gremien kritisiert.
In Bezug auf die finanziellen Konsequenzen, die das betroffene Unternehmen aufgrund eines solchen Vorfalls zu tragen hat, ist die Höhe der Busse allein nicht entscheidend. Die Kosten für allfällige Einziehungen, die Rechtskosten und nicht zuletzt die Kosten für interne Untersuchungen sowie Aufbereitungen im Unternehmen selbst addieren sich zu einem ungleich höheren Gesamtaufwand. Dennoch stellt sich gerade im internationalen Vergleich die Frage, ob diesbezüglich nicht gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.
Ausblick
In Bezug auf das Unternehmensstrafrecht hat sich das Bundesgericht bis anhin lediglich zum Wesen der Anlasstat als objektive Strafbarkeitsbedingung sowie zum Verständnis von Art. 102 StGB als Zurechnungsnorm geäussert. Mit den letztinstanzlichen Urteilen der beiden Fälle aus dem Finanzsektor dürfte die Klärung weiterer Grundsatzfragen zum Unternehmensstrafrecht zu erwarten sein. Hätte die Bundesanwaltschaft in diesen Fällen auf eine Anklage verzichtet, könnten die entsprechenden Erkenntnisse nicht gewonnen werden. Erkenntnisse, die für die weitere Entwicklung des Themengebiets wegweisend sein dürften.
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