21. August 2023

Financial Crime,

Geldwäsche,

Wirtschaftskriminalistik

Vermögensabschöpfung – weil es das wert ist

Vermögensabschöpfung – weil es das wert ist

Von Tanja Fuchs und Gregor Gwerder

Mittels der Vermögensabschöpfung, also der Einziehung von deliktisch erlangten Gegenständen und Vermögenswerten, ist es bereits in einem frühen Stadium eines Ermittlungsverfahrens möglich, die vermeintlich den Geschädigten zustehenden Gegenstände und Vermögenswerte zu sichern. Der Erfahrungsbericht der Ermittlungsabteilung Wirtschaftskriminalität der Kantonspolizei Zürich gibt einen Einblick in die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten sowie in die Herausforderungen, denen sie sich in ihrem Berufsalltag gegenübersehen.

Die Ermittlungsabteilung Wirtschaftskriminalität der Kantonspolizei Zürich ist ein Spezialdienst innerhalb der Kriminalpolizei. Sie befasst sich mit komplexen Vermögensdelikten, wie Betrug, Veruntreuung und Konkurs, aber auch mit Korruption, Geldwäscherei, Bilanzmanipulationen sowie mit digitalen Begehungsformen, wie beispielsweise dem Online Anlagebetrug. Darüber hinaus bearbeitet die Abteilung Rechtshilfeersuchen aus aller Welt und betreibt eine professionelle Vermögensabschöpfung zur Einziehung deliktisch erlangter Gegenstände und Vermögenswerte.

Die periodische Veröffentlichung von Erfahrungsberichten aus dem Team von Lt. Lic. iur Tanja Fuchs gibt einen Einblick in die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten sowie in die Herausforderungen, denen sie sich in ihrem Berufsalltag gegenübersehen. Der Bericht von Gregor Gwerder, Sachbearbeiter der Ermittlungsabteilung Wirtschaftskriminalität, handelt von der Arbeit als «Vermögensabschöpfer». Er wurde erstmals im Nachrichtenblatt 6/2023 (Juli/August) der Kantonspolizei Zürich veröffentlicht und wird nachfolgend in leicht gekürzter Form wiedergegeben.

«Spiel‘ ich die Unschuld vom Lande natürlich im kurzen Gewande so hüpf ich umher ganz unverfroren und hab’s faustdick hinter den Ohren»

Die Ariette von Adele in der „Zauberflöte“ trifft in dieser etwas abgeänderten Form wunderbar auf unsere Hauptdarstellerin in der Geschichte zu, von der ich euch berichten möchte:

Mit jungen 23 Jahren fand die Beschuldigte 1995 eine Anstellung bei einer Baufirma mit gut 200 Mitarbeitenden. Die Firma wurde von starker Hand durch den Gründer als eigentlicher Übervater geführt, der keine Widerrede duldete und sogar signifikanten Einfluss auf Drittfirmen, Politik und Sportclubs nehmen konnte. Doch brauchte er auch jemandem, dem er unbedingt vertrauen konnte und absolut diskret war, unterhielt er doch zahlreiche Liebschaften, oftmals simultan laufend. Grosszügige Geschenke hielt er für ein probates Mittel, seine Affären bei Laune zu halten. Hier kommt unsere Protagonistin, die Beschuldigte, ins Spiel. Sie erledigte diese Geschenk-Kurierdienste weisungsgetreu, jederzeit und ohne zu murren. Und sie hielt den Mund. Unter diesen Umständen erstaunt es wenig, dass die stets verfügbare Vertraute des Patrons schnell zur Leiterin des Personalwesens der gesamten Unternehmensgruppe avancierte. Zusätzlich war sie für die Lohnauszahlungen und die Lohnbuchhaltung verantwortlich. Was sie besser nicht gewesen wäre.

2004 starb der Patron. Dieses Ereignis tat der Karriere der Beschuldigten indes keinen Abbruch. Sie war in der Firma bestens etabliert. So erhielt sie zusätzlich die operative Führung für die Immobilienverwaltung, wurde Stiftungsrätin der Personal-Fürsorgestiftung und der firmeneigenen Pensionskasse und gehörte der Geschäftsleitung an. Nach dem Tod des Patrons nutzte sie das von ihm gelernte Vorgehen, wie man Schwarzgeld generiert, und auch ihre Erfahrungen aus der Lohnbuchhaltung. Sie entnahm im Zeitraum zwischen 2004 und ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen Mitte 2019 stetig mutiger werdend stetig steigende Bargeldbeträge von schliesslich bis zu einer halben Million pro Jahr aus der Kasse bzw. aus dem Tresor der Unternehmung. Die Geldentnahmen verschleierte sie durch Buchhaltungsmanipulationen und falsche Lohnabrechnungen. So ganz einfach, wie das tönt, war es allerdings nicht. Nebst genauster Kenntnis aller Abläufe brauchte es auch einiges an Planung, Voraussicht, Geschick und nicht zuletzt ein unschuldig wirkendes, einnehmendes und charmant manipulatives Wesen, das während all der Jahre das Hinterfragen von Abläufen oder das Vorschlagen von Kontrollideen (z. B. ein Vieraugenprinzip) verhinderte. Aber wer hätte denn gedacht, dass in dieser lieben Frau so viel kriminelle Energie schlummerte? Also konnte der Krug viele, viele Male zum Brunnen gehen, bis er endlich brach. Erst einer 2019 neu angestellten Buchhaltungsmitarbeiterin fielen Ungereimtheiten auf. Am Ende der Bereinigung lachte der Hauptgeschäftsführerin ein Deliktsbetrag von über CHF 6,5 Mio. entgegen. Neben dem monetären Verlust tat zweifellos auch das enttäuschte Vertrauen weh. Wie konnte sie nur? Ja, das Motiv, das ist spannend, doch das gäbe ein eigenes Kapitel und könnte durch jemand in Psychologie oder Sozialpädagogik Geschulten sowieso besser erklärt werden.

Vorermittlungen

Das Vertrauen war verloren, doch das Geld, da war vielleicht noch was zu holen bzw. zurückzuholen. Vorermittlungen waren angezeigt. Dank der teilweise elektronisch erhaltenen Daten konnten trotz der langen Zeitspanne und der Vielzahl an Konten schnell Bareinzahlungen von insgesamt über CHF 3 Mio. ausgemacht werden, mutmasslich aus dem Geschäftstresor stammend. (Woher sonst sollte sie so viel Bargeld gehabt haben?) Die Kontenauszüge zeigten weiter, dass man es sich gutgehen liess, aber auch, dass zugunsten des Konkubinatspartners während Jahren Gehaltszahlungen von CHF 300‘000 bis über CHF 400‘000 aufs gemeinsame Lohnkonto eingingen. Man hätte also auch ohne die Bareinzahlungen recht ordentlich leben können. Bereits im Vorfeld erfuhren wir von mehreren eingelösten hochpreisigen (nicht geleasten) Autos, teuren Uhren- und Schmuckkäufen, schönen oder zumindest kostspieligen Ferien, einer Zweitwohnung und weiterem Grundeigentum – und dass die Beschuldigte schon seit einiger Zeit vom gemeinsamen Einfamilienhaus ausgezogen war, ohne das allerdings der Einwohnerkontrolle gemeldet zu haben.

Vermögenssicherung

Frühmorgens kurz vor der Sommersonnenwende 2020 sind wir schliesslich „iigfahre“. Die Beschuldigte war so, wie wir’s gerne haben, nämlich völlig überrascht, aber kooperativ (und ohne grossen Hund). In ihrer unauffällig eingerichteten 2 ½-Zimmer-Wohnung, in einem beschaulichen Zürcher Oberländer Dörfchen gelegen, fanden wir neben belastendem Aktenmaterial einiges an Schmuck und Armbanduhren sowie eine originalverpackte Hermes-Handtasche. Vermögensabschöpfungsmässig war es dennoch ziemlich ernüchternd. Bis schliesslich Kollegen von der Durchsuchung zweier Fahrzeuge in der Tiefgarage zurückkehrten, und zwar mit vollen Taschen. Die Beschuldigte hatte den grössten Teil ihrer exquisiten Schmuck- und Uhrensammlung in ein Auto gepackt, weil sie es just an diesem Tag in ein kürzlich gemietetes Bankschrankfach hatte legen wollen.

Weiter ging es mit der Durchsuchung des Einfamilienhauses des Ex-Freundes der Beschuldigten bzw. ihres vormaligen Wohnortes.  Hier konnten nebst weiterem Schmuck knapp zwei Dutzend – sichtlich ungebrauchte – Handtaschen gehobener Marken wie Louis Vuitton, Prada, Gucci und Chanel sichergestellt werden.

Nach den Hausdurchsuchungen durften Wertsachen in über 60 Positionen im Schätzwert von mehr als einer halben Million Schweizerfranken „gefatst“ werden. Des Weiteren wurden vier Autos, davon zwei Oldtimer, und im Ferienhaus vorgefundene Langwaffen sichergestellt. Die Konten/-Depotsperren sorgten für die Sicherung einer weiteren Million Schweizerfranken und die mit einer Grundbuchsperre belegten Liegenschaften nochmals für weit über eine Million Schweizerfranken netto an gesicherten Vermögenswerten. 

Augenmerk worauf?

Bis hierhin war das ziemlich einfach für uns Vermögensabschöpfer (VAB). Einfach offensichtliche Vermögenswerte sicherstellen, wenn man sie sieht, das kann eigentlich jeder. Etwas schwieriger zu entdecken sind:

  • Kryptowährungskonten (Erkennen von Private und Public Keys, Seeds, Wallet-Adressen oder die Wallets an sich wie Paper-, Hardware-, Software- oder Desktop-Wallets. Das Wissen um ein paar Apps wie Binance, Bitfinex, Coinbase, Gemini, Kraken etc. erleichtert das Erkennen)
  • Wertschriften und Forderungen (Kontoguthaben, Lebensversicherungen, Forderungen wie Darlehens- und Kreditguthaben gegenüber Privatpersonen und Firmen), Schliessfächer
  • Hinweise auf Grundeigentum (auch im Ausland, z. B. aufgrund vorgefundener Fotos von einem Haus/Ferienhaus) oder Miteigentumsanteile
  • Anderswo befindliche Vermögenswerte (Boote, Flugzeuge, Kunstgegenstände, Rennpferde etc.)

Alles mit Augenmass

Mitunter entdeckt das suchende Auge Nobelmarkenmöbel und teure Einrichtungsgegenstände, Designerkleider, Riesen-Fernseher etc. Grundsätzlich sind alle Surrogate, also mit Deliktserlös gekaufte Gegenstände, sicherzustellen. Doch soll man (auch) hier mit Augenmass vorgehen. Es könnte ja sein, dass genügend Vermögenswerte anderweitig gesichert werden können (s. oben), sodass man sich den Zeitaufwand, die Lieferkosten, Lager- und Verwertungsgebühren etc. sparen kann. Man muss sich bewusst sein, dass nur wenig, was teuer in der Anschaffung war, auch wieder teuer verkauft werden kann.

Wann Vermögensabschöpfung?

Immer wenn jemand durch eine Straftat finanziell profitiert hat und die Täterschaft bekannt ist, muss das Thema Vermögensabschöpfung aufleuchten und geprüft werden.

„Follow the Money“ ist nicht einfach nur der Titel einer Wirtschaftskrimi-Fernsehserie, sondern steht auch im wahren Ermittlerleben weit oben auf der To-do-Liste. Das führte hier unter anderem zu sieben von der Beschuldigten gekauften Tiefgarageneinstellplätzen, welche sie beim Grundbuchamt aber auf den Namen ihres neuen LAPs (Lebensabschnittspartners) hatte eintragen lassen.

Der grösste VAB-Aufwand in unserem Fall wurde dadurch verursacht, dass während 15 Jahren fast alle legalen und illegalen Einkünfte auf gemeinsame Konten geflossen waren. Es gab also eine Vermischung von sauberem und schmutzigem Geld, das es korrekt und gerecht aufzuschlüsseln galt. Wer steuerte wie viel zu den Gutschriften bei? Welches Geld wurde für welche Anschaffungen und Investitionen für wen verwendet? Wie zeitnah musste eine Bareinzahlung sein, damit offensichtlich ist, dass dieses Geld für den Kauf eines (sichergestellten) Vermögenswerts verwendet worden war? Was hat sich die Beschuldigte subjektiv vorgestellt, welches Geld sie für welche Ausgaben verwendete? Wie hoch ist das Anrecht des Ex-Partners auf den Verwertungserlös gewisser Luxusgüter, Immobilien, Fahrzeuge? Immerhin wurden seine hohen Gehaltszahlungen dem gleichen Hauptkonto gutgeschrieben. Der Ex-Partner ist übrigens auch aus allen Wolken gefallen. Ich glaube, er fällt noch immer ein bisschen.

Ach ja, die Quittung habe ich noch vergessen. Die Beschuldigte wurde im abgekürzten Verfahren wegen Veruntreuung und Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt, wobei die Hälfte vollzogen und die Hälfte aufgeschoben wurde. Die in Untersuchungshaft verbüsste Zeit wurde der Beschuldigten an den Vollzug angerechnet.

Autorin: Tanja Fuchs

Lt lic. iur. Tanja Fuchs leitet die Ermittlungsabteilung der Kantonspolizei Zürich.

Autor: Gregor Gwerder

Gregor Gwerder absolvierte nach der Handelsmittelschule und einem Bankenpraktikum die Polizeischule und durchlief eine klassische Polizeilaufbahn. Seit 2004 ist er als Sachbearbeiter bei der Ermittlungsabteilung Wirtschaftskriminalität der Kantonspolizei Zürich tätig. Nachdem er während rund 13 Jahren Finanz- und Wirtschaftsdelikte ermittelt hatte, spezialisierte er sich im Jahr 2017 auf die Vermögensabschöpfung. Er erarbeitet mit seinen Ermittlungen die Grundlagen für die Vermögenseinziehung und steht den Mitarbeitenden der Kantonspolizei Zürich im Bereich der Vermögensabschöpfung auch beratend zur Seite.

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