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Studieren mit Asperger: «Meine ‹Schwäche› hat mir schon viel gebracht»

Studieren mit Asperger: «Meine ‹Schwäche› hat mir schon viel gebracht»
Studierende mit Nachteilsausgleich benötigen eine individuelle Studienplanung und teilweise Unterstützung. Einer dieser Studierenden ist Luca*, der anonym bleiben möchte.

Luca Koch* hat Asperger und studiert Informatik. Er kann sich ganze Computerprogramme im Kopf vorstellen und liebt es, sich zu fokussieren. Die Hochschule Luzern kommt ihm dabei entgegen.

Luca, was dachtest du, als du die Diagnose Asperger erhalten hast?

Luca: Ich war noch im Kindergarten, als ich die Diagnose erhielt. Mich störte sie nicht, aber meine Eltern waren froh, dass sie wussten, was mit mir nicht stimmte.

Was hast du getan, um damit umzugehen?

Im Kindergarten hatte ich vor der Diagnose eigentlich keine Probleme gehabt. Es war eher so, dass die anderen Kinder unter mir gelitten hatten. Mir wurde ein Verhaltenstraining empfohlen. Ein solches absolvierte ich auch, aber es war mir nicht wirklich nützlich.

Warum haben denn die anderen Kinder unter dir gelitten?

Ich wollte einfach in Ruhe gelassen werden und wurde grob, wenn mich jemand störte. Ich war auch laut und habe mit meiner unruhigen Art den Unterricht gestört.

Asperger – was ist das eigentlich?

Das Asperger-Syndrom ist eine Form von Autismus. Das Gehirn von Menschen mit einer autistischen Wahrnehmung funktioniert anders, was mit spezifischen Stärken und Schwächen verbunden ist. Für Betroffene ist es schwierig, Mimik und Körpersprache zu verstehen, darauf zu reagieren und sie selbst einzusetzen. Dafür haben sie oft ein ausgeprägtes logisches Denken und wissen genau, was sie interessiert. Mit Änderungen im alltäglichen Leben können sie nicht gut umgehen, ein geregelter Tagesablauf ist wichtig. Manche sehen Autismus als Behinderung. Viele sprechen von Neurodiversität und davon, dass sie eine andere Art der Wahrnehmung haben. Auch Greta Thunberg oder Elon Musk haben das Asperger-Syndrom.

Ein bekanntes Vorurteil über Menschen mit Autismus ist, dass sie genau wüssten, was sie interessiert. Wie war das bei dir mit der Studienwahl? Was interessiert und fasziniert dich?

Bei mir war es genauso: Mich hat es schon immer interessiert, Dinge zu bauen und auseinanderzunehmen. Als Kind habe ich jeden Tag eine andere Eisenbahn aufgestellt und ganz viele Maschinen erfunden. Zum Beispiel einen Drucker mit Filzstiften oder eine Art Magnetschwebebahn aus Permanentmagneten. Auch Elektronik faszinierte mich. Ich habe die Spielsachen immer auseinandergeschraubt, anstatt damit zu spielen.

Als Kind habe ich jeden Tag eine andere Eisenbahn aufgestellt und ganz viele Maschinen erfunden.

Als dann der Computer ein Thema wurde, wusste ich sofort, dass er meine Zukunft wird. Nachdem ich die ersten Codezeilen geschrieben hatte, war mir klar, dass ich dies zu meinem Beruf machen wollte. Ich kannte niemanden mit Programmiererfahrung und lernte alles mit Büchern und später durch das Internet. Bereits in der 5. Primarklasse programmierte ich ein Lernprogramm für meine Klasse in BlitzBasic. Es hatte über 10’000 Zeilen Code, 20 Aufgaben und eine grafisch animierte Story.

Wie reagieren Mitmenschen, wenn sie von deiner Andersartigkeit erfahren?

Sie nehmen es zur Kenntnis. Ich habe immer alle informiert, und das wurde gut aufgenommen. Diese Strategie hat für mich funktioniert. Viele finden mich anders mit allen Vor- und Nachteilen, aber mein Umfeld kann sehr gut mit mir umgehen.

Was ist in deinem Studienalltag anders als bei Nichtbetroffenen?

Ich brauche für alles viel mehr Zeit. Deswegen habe ich kaum Freizeit. Zudem bin ich sehr perfektionistisch. Fächer, die eine enge Zusammenarbeit erfordern, sind schwierig für mich. Ich rege mich auf, wenn andere ihren Teil nicht so gut machen wie ich meinen. Manchmal darf ich allein arbeiten. So konnte ich zum Beispiel statt in den Produktentwicklungs-Modulen, welche interdisziplinäre Teamarbeit erfordern, an einem erfolgreichen Forschungsprojekt über Quantenkryptographie mitarbeiten.

Was gibt es für Herausforderungen?

Ich werde während der Lektion oft nicht fertig mit den gestellten Aufgaben. Das stresst mich. Ausserdem kann ich mir Namen nicht merken und das «du» und «Sie» ist für mich schwierig.
In der Kommunikation habe ich allgemein Schwierigkeiten.

Die anderen Studierenden haben ein Leben neben der Schule, ich bin auf die Schule fokussiert.

Wie äussern sich diese?

Ich rede oft drauflos und meine Erwartungen an mein Gegenüber sind anders. Zudem schaue ich den Menschen oft nicht in die Augen und kann nicht verstehen, wenn jemand eine Ausrede bringt. Ich merke, dass meine Mitmenschen oft andere Wertvorstellungen haben als ich. Die anderen Studierenden haben ein Leben neben der Schule, ich bin auf die Schule fokussiert. Ich habe kaum freiwillige Kontakte zu Mitstudierenden.

Worauf achtest du bei Gesprächen?

Dass ich möglichst viel Zeit für mich beanspruche. Solange ich rede, kann ich das Gespräch kontrollieren und muss nicht deuten, was die anderen mir sagen möchten.

Welche Unterstützung erhältst du im Studium?

Die Hochschule unterstützt mich mit den Nachteilsausgleich. Dadurch erhalte ich mehr Zeit für Prüfungen. Prüfungen schreibe ich alleine in einem separaten Raum, damit ich nicht so schnell abgelenkt werde. Zudem bin ich froh, wenn ich gewisse Arbeiten alleine statt wie vorgesehen als Gruppenarbeit ausführen kann; leider braucht das dann noch mehr Zeit.

Was ist das Positive an deinem Asperger-Syndrom?

Meine Stärke ist, dass ich sehr gut programmieren kann und bereits viele erfolgreiche Open-Source-Projekte gemacht habe. Ich erhielt auch einen Preis für die beste Matura-Arbeit des Kantons Zug. Meine «Schwäche» hat mir schon sehr viel gebracht.

Die Überflutung mit äusseren Eindrücken ist für Menschen mit Asperger oft ein Problem. Wie spielt sich das bei dir ab?

Situationen mit der Gefahr von Reizüberflutungen vermeide ich nach Möglichkeit und suche mir Orte mit wenig Personen und Einflüssen. Falls ich doch einmal an einem hektischen Ort bin wie zum Beispiel am Bahnhof, dann beeile ich mich und renne. Ich gehe nie einkaufen oder an ein öffentliches Fest. Am meisten stört mich, dass ich dann versuche, mehreren Gesprächen gleichzeitig zu folgen.

Menschen im Autismus-Spektrum verfügen über viele Eigenschaften, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Gerade in Berufen, wo das Lösen von Problemen wichtig ist, sind sie überdurchschnittlich vertreten. Bist du der ideale Informatiker?

Ja, weil es mich nicht stört, über Stunden auf ein einziges Problem fixiert zu sein. Ich kann mir Programme im Kopf vorstellen, das können andere nicht.

Mich stört es nicht über Stunden auf ein einziges Problem fixiert zu sein.

Worauf bist du stolz?

Ich habe den Weg: Primarschule – Sonderschule – Primarschule, dann an die Kanti, an die ETH und an die Hochschule Luzern – Informatik geschafft. Das zeigt, dass nach einem schwierigen Start immer noch alles möglich ist.

Danke für das Gespräch!

*Name geändert

Aktualisiert: 3. August 2023; veröffentlicht: 20. Mai 2021
Von: Yasmin Billeter

Barrierefrei studieren: Die Kontaktstelle «barrierefrei» berät Studieninteressierte, Studierende und Mitarbeitende, wenn es um Fragen rund ums Studium mit Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen geht. Ihr Ziel ist es, Benachteiligungen von Studierenden mit Beeinträchtigungen zu mildern. Der Nachteilsausgleich sichert dabei die Gleichstellung von Studierenden bezüglich ihrer Chancen auf ein erfolgreiches und diskriminierungsfreies Studium. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern und der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich hat die Wirkung dieses Instruments untersucht und herausgefunden: Es funktioniert.

Vielfalt ist ein Gewinn: Die Fachstelle Diversity setzt sich mit Fragen der Vielfalt, der Chancengleichheit und des respektvollen Umgangs auseinander. Sie setzt die Diversity-Policy um, koordiniert verschiedene Projekte und Veranstaltungen und erbringt ausgewählte Dienstleistungen.

Diversity-Beauftragte: Ladan Pooyan-Weihs ist Forscherin, Studienleiterin und Dozentin an der Hochschule Luzern – Informatik. Sie berät Studierende, Mitarbeitende und Dozierende bei allen Fragen, die Diversity betreffen. Dazu gehören zum Beispiel Gleichstellungsfragen, die Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Familie oder Fragen zur kulturellen Vielfalt.

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Kommentare

3 Kommentare

Alexandra

Ich finde es schön, dass es Aspergerautisten gibt, denen ein Studium gelingt und dazu noch in IHREM Element sind, verständnisvolle Eltern hatten. Das hatte ich alles nicht. Meine Eltern versuchten mich ständig umzukrempeln, jeder maulte an mir herum- es gab viele Reklamationen wegen mir und ich wusste gar nicht weshalb. Es gab kaum ein Ort, an dem ich nicht gemobbt wurde. Dann bekam ich mit 39 Jahren die Aspergerdiagnose. Nach sieben gescheiterten Arbeitsstellen. Ich bestand die Probezeit nie, oft mit der Begründung, nicht ins Team zu passen. Die Arbeitszeugnisse fielen komischerweise immer gut aus. Heute bin ich 40 und wäre froh, wenn es schon vor 20 Jahren einen Nachteilausgleich gegeben hätte und ich noch etwas aus meinem Leben hätte machen können. Jetzt mit 40 geht das eben nicht mehr so gut. Aber die Hoffnung stirbt bekannterweise zuletzt. Meine Eltern wollen meine Aspergerdiagnose noch immer nicht wahrhaben, aber das ist mir heute egal. Eines habe ich eben noch nicht verlernt: das Kämpfen. Heute habe ich mehrere Ausbildungen und die BMS, kann perfekt Englisch und lerne noch weitere Sprachen. Und das mit dem perfekten Job kommt auch noch.

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Karl-Heinz Rubin

Als Vater von einem Sohn mit Asberger benötigt es schon viel Geduld...vieles zu verarbeiten und " nennen ich es mal durchhalten". Da ich einen direkten Vorgesetzten habe mit Asberger, heisst dies ein 24 Stunden 7 Tage Leben immer mit dem Gedanken, etwas falsches zu tun, dass das Gegenüber ausser Fassung und mich um meine Nerven bringt. Vieles im Umgang mit Menschen mit Handicap ist nicht aus Büchern zu lernen. Vieles lässt sich nicht mit Menschen mit Asberger zu Ende diskutieren. Es ist nicht die Erfahrung, die einen lernt damit umzugehen. Es ist alleine der richtige Mensch was zählt.

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Manu B

Leider musste ich das technische Studium an der Fachhochschule vor Jahren abbrechen und hab erst jetzt eine Diagnose für ADHS und mach gerade Autismusabklärung. Leute sucht Hilfe, wartet nicht zu lange. Ich bin aber zuversichtlich, dass ich nun durch solche Unterstützung wie ein Nachteilsausgleich vielleicht doch noch zu einem Studienabschluss komme.

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