Von Claudia Hiestand
Schatten fallen durch die Fensterläden. Bluttropfen beflecken den Boden. Eine Kriminaltechnikerin scannt einen Schreibtisch mit ihren Augen ab. Sie nimmt eine offenstehende Schublade ins Visier, holt einen kleinen Behälter mit feinem, schwarzen Pulver hervor und taucht einen Pinsel hinein. Vorsichtig trägt sie damit das Pulver auf die Oberfläche der Schublade auf. Und tatsächlich: Ein Fingerabdruck wird sichtbar.
Die Kriminaltechnikerin macht mit einer Kamera Fotos von allen Seiten. Dann nimmt sie eine transparente Folie zur Hand, presst sie auf den Fingerabdruck und hebt die Folie sorgfältig ab. Sie fixiert den Abdruck auf einer Karteikarte, wirft einen prüfenden Blick darauf und nickt zufrieden. Der Fingerabdruck ist gesichert.
Wer sich regelmässig Krimis ansieht, kennt, ja liebt solche Szenen. Sie sind prickelnd und spannungsgeladen. Die Realität allerdings sieht anders aus. Es ist aufwändig und zeitraubend, Fingerabdrücke an einem Tatort zu sichern. Kriminaltechnikerinnen und -techniker müssen dafür viel Ausrüstung zum Einsatzort mitnehmen: Stativ, Fotokamera, Objektiv, Taschenlampe, Massstab, Fingerabdruckpulver, Pinsel, Gelatinefolie und Klebefilm. Ausserdem benötigen sie viel Zeit und technisches Know-how: Sie müssen eine Ausrüstung so aufbauen und einsetzen, dass die gesicherten Spuren verwertbar sind.
Täglich im Einsatz: SPUFO-App vereinfacht die Spurensicherung
Neuerdings geht das einfacher: Zwei ehemalige Studenten der Hochschule Luzern – Informatik haben den Prozess radikal vereinfacht: Jordan Suter und Josip Corkovic haben dazu eine Spurensicherungs-Foto-App entwickelt, die sie mit dem Akronym SPUFO benennen. Sie entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Forensischen Institut Zürich (FOR). Die App ist so gut, dass sie im Kanton Zürich täglich im Einsatz ist. Dank der App können nun auch Polizistinnen und Polizisten Fingerabdrücke besser erfassen, nicht nur spezialisierte Kriminaltechnikerinnen und -techniker.
Sie werden immer dann gerufen, wenn es zu einer Straftat oder einem Unfall gekommen ist. Dazu gehören unter anderem Einbruchdiebstähle, schwere Verkehrsunfälle, Brandstiftung oder Gewaltverbrechen. Kriminaltechnikerinnen und -techniker sichern Spuren, sammeln Beweise und dokumentieren den Tatort.
Fingerabdrücke sind einmalig und unveränderlich. Sie dienen als Beweismittel, wenn es darum geht, Personen zu identifizieren. Darum ist es so wichtig, dass die Kriminaltechnik und die Polizei bei einem Ereignis Fingerabdrücke sichern kann.
Drehen wir das Rad knapp drei Jahre zurück: Am Anfang der SPUFO-Erfolgsgeschichte steht die Frage eines Polizisten des FOR: «Wäre es nicht viel einfacher, Fingerabdrücke mit dem Handy aufzunehmen?» Auf Umwegen landet die Frage bei Jordan Suter. Dessen Vater arbeitet im FOR und weiss, dass sein Sohn und sein Freund Josip Corkovic ein Thema für ihre gemeinsame Vorbachelor-Arbeit suchen. Also wenden sich die damaligen Studenten ihrerseits ans FOR und schlagen vor, eine App zu entwickeln.
«App als echter Mehrwert»: Kooperation mit der Polizei
Diese Anfrage kommt wie gerufen. Als Leiter Informatik und Digitalisierung des FOR überlegt sich Dominik Hänni ständig, wie er die Arbeit für sein Team einfacher und effizienter gestalten kann. «Die herkömmliche Methode, um Fingerabdrücke zu erfassen und zu bearbeiten, ist tatsächlich umständlich», räumt er ein. «Wir waren deshalb bereit, uns auf das Experiment einzulassen.» Suter und Corkovic entwickeln in Zusammenarbeit mit dem FOR eine iPhone-Applikation. Im Spätsommer 2023 ist der erste SPUFO-Prototyp einsatzbereit. Zwanzig Mitarbeitende des FOR testen die App im spurenkundlichen Tagesgeschäft.
Smart-up ist ein Förderprogramm der Hochschule Luzern. Es hat zum Ziel, Studierende und Mitarbeitende zu motivieren und zu befähigen, ihre Geschäftsideen umzusetzen. Es begleitet sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Smart-up bietet individuelles Coaching und Infrastruktur. Es unterstützt Gründende, sich untereinander und mit externen Stakeholdern zu vernetzen. Es veranstaltet Workshops und Events. Zudem erlaubt das Programm, Arbeiten für sein eigenes Start-up im Studium anrechnen zu lassen.
Obwohl der erste Entwurf nur grundlegende, einfache Funktionen enthält, sind die Rückmeldungen durchwegs positiv. Hänni: «Wir merkten: Diese App kann einen echten Mehrwert für uns schaffen. Und letztlich auch für die Gesellschaft. Denn die Menschen sind interessiert daran, dass die Polizei Straftaten rasch und lückenlos aufklärt.»
Vom Prototyp zur marktreifen Lösung
Diese positive Zwischenbilanz spornt Suter und Corkovic an. Nachdem sie sich angehört haben, was sie verbessern müssen, hocken sie sich wieder an ihre Computer. Sie passen die App so an, dass sie den Ansprüchen der Kriminaltechnik gerecht wird. Mehrere hundert Stunden stecken die beiden in die Entwicklung der App. «Und das neben unseren 100-Prozent-Jobs», wie Corkovic betont.
Inzwischen haben er und Suter ihr Studium nämlich beendet und sind berufstätig. Für SPUFO arbeiten sie deshalb vorwiegend am Wochenende und abends. Als sich abzeichnet, dass sie mit ihrer Erfindung Erfolg haben könnten, gründen Suter und Corkovic ihre eigene Firma. Ende 2023 starteten sie beim Smart-up-Förderprogramm der Hochschule Luzern – Informatik (HSLU I) und setzten die Gründung ihrer GmbH in Gang. «Wir merkten, dass wir unsere App so besser bekannt machen und vermarkten können», sagt Suter. Mitgründer ist auch der Informatiker Festim Jetishi, ein Kollege von Corkovic und Suter. Sie holten ihn an Bord, um die zunehmende Arbeitslast stemmen zu können.
Unternehmer zu werden, ist für die beiden Entwickler zwar eine aufregende Erfahrung, verlangt ihnen aber viel ab. «Zunächst waren wir euphorisch, hatten wir doch schon in der Berufsschule davon geträumt, uns selbstständig zu machen», erzählt Suter. Bald stellen sie fest: Eine Firmengründung ist kein Zuckerschlecken. Corkovic: «Mit vielen Dingen kannten wir uns nicht aus: Mehrwertsteuer, Buchhaltung, rechtliche Fragen – das alles mussten wir uns aneignen. Manchmal waren wir damit überfordert.»
Hier kommt das Förderprogramm «Smart-up» der Hochschule Luzern ins Spiel. «Ohne die Unterstützung von Smart-up hätten wir uns oft verloren gefühlt», gibt Suter zu. «Das Coaching hat uns sehr geholfen, vor allem bei den Lizenz- und Wartungsverträgen. Das haben wir geschätzt, denn rechtliche Aspekte sind nun mal nicht unsere Domäne.»
Meilenstein in der Kriminaltechnik: SPUFO überzeugt auch andere
Neun Monate später, im April 2024, geht SPUFO live. Hänni findet lobende Worte für die App, vor allem für die benutzerfreundliche Oberfläche: «SPUFO ist simpel. Es braucht kein Vorwissen, jede Polizistin, jeder Polizist erfasst innerhalb kürzester Zeit intuitiv, wie die App funktioniert. Das spart Zeit.»
Ausserdem gelangen die Polizeibeamtinnen und -beamten dank des Handys für die Spurensicherung auch an schlecht zugängliche Stellen. Laut Hänni führt die Vereinfachung insgesamt dazu, dass jetzt deutlich mehr Fotos von Fingerabdrücken gemacht werden. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, Täterinnen und Täter identifizieren zu können. «Das Beispiel SPUFO zeigt auf, wie bedeutsam neue Technologien auch für die Kriminaltechnik sind», fasst der Fachmann zusammen. «Die App sorgt für deutlich mehr Effizienz und vor allem mehr eingelieferte Spuren.» Ab Herbst kommt sie voraussichtlich auch bei der Frontpolizei zum Einsatz.
SPUFO hat eine einfache und benutzerfreundliche Oberfläche mit einer integrierten Kamerafunktion. Benutzerinnen und Benutzer können Fingerabdrücke damit direkt am Tatort aufnehmen. Die App macht Fotos in höchster Qualität. Sie skaliert sie automatisch auf 1’000 dpi. Dank der Lineal-Erkennungsfunktion erfolgt diese Skalierung präzise und ohne zusätzliche Arbeitsschritte. Nutzende können die Bilder zudem direkt in der App bearbeiten: So ändern sie beispielsweise Farbe, Helligkeit oder Kontrast und können die Bilder auch zuschneiden.
Die fertigen Bilder werden auf den Computer hochgeladen und für einen Abgleich ans Bundesamt für Polizei (fedpol) übermittelt. Für den Abgleich setzt das fedpol das Automatisierte Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) ein. Es ist seit 1984 in Betrieb und erkennt Personen anhand von Finger- und Handflächenabdrücken. Diese werden auch daktyloskopische Spuren genannt.
Schweizweit konnten im letzten Jahr 4’309 solcher daktyloskopischer Spuren Personen zugeordnet werden. Ein längerfristiges Ziel der Entwickler von SPUFO ist es, dass Nutzende ihre Fotos künftig direkt aus der App heraus in die AFIS-Datenbank übermitteln können. Damit das möglich wird, müssen die hohen Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz zuerst erfüllt sein.
In anderen Kantonen beobachtet man den Einsatz von SPUFO am FOR aufmerksam. Zürich ist mit seinen 170 Mitarbeitenden das grösste Forensische Institut schweizweit. Es nimmt damit eine Vorreiterrolle ein. Hänni: «Wenn wir etwas erfolgreich entwickeln und umsetzen, weckt das oft das Interesse von anderen Polizeikorps und forensischen Institutionen.»
Neue Märkte, neue Feature-Wünsche
Zurzeit bewerben Corkovic und Suter ihre App, die inzwischen für iOS und Android verfügbar ist, nicht aktiv. «Wir sind Entwickler, keine Verkäufer», gibt Corkovic offen zu. «Früher oder später werden wir unser Team wohl mit einer Marketing-Fachperson erweitern müssen.»
Die Jungunternehmer sind optimistisch, dass weitere Polizeikorps SPUFO übernehmen werden. Gespräche finden statt, spruchreif ist noch nichts. Es ist durchaus möglich, dass Suter und Corkovic die App modifizieren müssen. Suter: «Aktuell ist die Software auf die Bedürfnisse des FOR zugeschnitten. Unter Umständen haben andere Polizeikorps neue Feature-Wünsche.»
Ohnehin steckt viel Potenzial in der App. So ist denkbar, dass SPUFO künftig auch Schuhabdrücke oder Werkzeugspuren erfassen kann. Corkovic: «Wir versuchen auf jeden Fall, innovativ zu bleiben und die App weiterzuentwickeln. Das ist es auch, was uns Spass macht.»
Veröffentlicht am: 8. Oktober 2024
Entwickeln Software für die Kriminaltechnik: Festim Jetishi, Josip Corkovic und Jordan Suter (auf dem Bild von links nach rechts).
Suter und Corkovic sind ehemalige Studenten der Hochschule Luzern – Informatik (HSLU I). Die beiden Alumni betreiben gemeinsam mit dem Informatiker Festim Jetishi die Twojo Software GmbH. Sie gründeten ihre Firma an der Hochschule Luzern – Informatik mit Unterstützung des Förderprogramms Smart-up. Ihr Produkt ist eine Spurensicherungs-App namens SPUFO.
Kennengelernt haben sich Suter und Corkovic bereits in der Berufsschule. Beide durchliefen ursprünglich eine Ausbildung zum Informatiker, Fachrichtung Applikationsentwicklung. 2022 trafen sie sich an der HSLU wieder. Dank ihres Wissens aus ihren unterschiedlichen Studienrichtungen an der HSLU ergänzten sie sich bei der Entwicklung der SPUFO-App ideal. Suter schloss den Bachelor-Studiengang Informatik ab. Corkovic holte sich seinen Bachelor im Studiengang Information & Cyber Security.
Einstieg in die IT-Welt: Das Departement Informatik der Hochschule Luzern bietet Bachelor-Studiengänge in Informatik, Artificial Intelligence & Machine Learning, Digital Ideation, Information & Cyber Security, International IT Management und Wirtschaftsinformatik an. Im Master-Studium vertiefen Studierende die Bereiche Informatik oder Wirtschaftsinformatik.
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Kommentare
1 Kommentare
Aurelio
Sehr cool - gratuliere!
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.