Artificial Intelligence & Machine Learning,
UX steht für User Experience – das bedeutet, wie Menschen ein Produkt oder eine Dienstleistung wahrnehmen und nutzen. UX-Professionals gestalten Anwendungen, die einfach, intuitiv anwendbar, angenehm und effektiv sind. Sie stellen die Bedürfnisse, Wünsche und Verhaltensweisen der Menschen in den Mittelpunkt.
Dieser menschenzentrierte Ansatz führt zu Produkten, die gerne genutzt werden und den Menschen helfen, ihre Ziele zu erreichen. UX-Professionals beobachten, befragen und testen Prototypen mit echten Nutzerinnen und Nutzern. So erkennen sie Probleme frühzeitig und lösen sie. Dank ihrer Arbeit entstehen Lösungen, die helfen und Freude bereiten.
Herr Uhr, UX und KI sind die Schlagworte der Stunde in der digitalen Transformation. Muss man im UX nun auf den KI-Zug aufspringen?
Marcel Uhr: Auch wir im UX sollten offen sein für neue Technologien, so wie alle Berufsleute. UX-Architektinnen, -Consultants und -Designer könnten dank KI einiges hinzugewinnen.
Setzen UX-Profis Künstliche Intelligenz noch zu wenig ein?
Marcel Uhr: Viele gehen noch stiefmütterlich damit um. Das ergab kürzlich eine Umfrage in der Schweizer UX-Industrie, die eine unserer Studentinnen im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit durchgeführt hat.
Marcel Uhr ist Dozent und UX-Experte an der Hochschule Luzern – Informatik (HSLU). Zusammen mit Raphael Zeder leitet er das neue CAS User Experience Management. Es wird in einer Kooperation zwischen den Departementen Informatik und Wirtschaft angeboten. An der HSLU leitet Marcel Uhr die UX Research Group im Informatikdepartement und ist zudem stellvertretender Studiengangleiter im Bachelor-Studiengang Immersive Technologies. Zusammen mit Armin Egli verantwortet er auch den Major Human Computer Interaction Design. Darüber hinaus engagiert er sich als gewähltes Mitglied in der Mitwirkungskommission der HSLU. Das ist ein Gremium, das den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen der Schulleitung und den Mitarbeitenden fördert.
Wie erschliessen Sie das Potenzial von KI in der UX?
Marcel Uhr: Ich betrachte das Thema KI in der UX ganzheitlich und suche nach nachhaltigem Nutzen. An der Hochschule Luzern untersuchen wir intensiv die Chancen und Grenzen von KI. Mein Kollege, Dozent Armin Egli, und ich beobachten diese Entwicklungen seit längerer Zeit. Als Leiter der UX Research Group am Immersive Realities Research Lab fördere ich diese Fragestellungen in unserer Forschung. Zudem integrieren wir KI zunehmend in unsere Weiterbildungsangebote.
Die Hochschule Luzern (HSLU) setzt neu auf das Motto «UX meets AI». Das klingt spannend, doch ist das nicht ein Widerspruch? In der UX steht der Mensch im Zentrum, bei der KI die Technik.
Marcel Uhr: Auf den ersten Blick scheint das ein Widerspruch zu sein, ist es aber nicht. Natürlich ist KI stark technikgetrieben, während UX klar den Menschen ins Zentrum stellt. Mein Ziel ist es, herauszufinden, wie KI die UX sinnvoll ergänzen und bereichern kann. Einfach gesagt: KI hilft, Prozesse zu automatisieren und zu beschleunigen. Im UX-Einsatz verschafft KI vor allem eines: Zeit. Diese gewonnene Zeit möchte ich nutzen, um besser zu verstehen, was Nutzerinnen und Nutzer wirklich brauchen. So unterstützt die Technik den menschzentrierten Ansatz.
Unsere Forschung zeigt, dass KI in allen vier Phasen des UX-Prozesses wertvolles Potenzial bietet.
Sie bezeichnen UX als «Handwerk». Wie kann Künstliche Intelligenz den UX-Berufen ausser mit dem Zeitgewinn noch von Nutzen sein?
Marcel Uhr: In unserem Beruf geht es darum, die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zu verstehen. Was erwarten sie von einem neuen System, einer Dienstleistung, einem Produkt oder einer Website? Dabei stehen ihre Wünsche im Mittelpunkt. Unser Prozess beginnt mit der Analyse des Nutzungskontextes und endet mit der Evaluation – also der Prüfung, ob unsere Lösungen den Anforderungen gerecht werden. Unsere Forschung zeigt, dass KI in allen vier Phasen des UX-Prozesses wertvolles Potenzial bietet. In einem meiner Blog-Beiträge habe ich beschrieben, wie KI den UX-Prozess jeder Phase verändern kann.
Starke Bachelor-Arbeiten im Bereich KI/UX:
Die Integration von KI in den UX-Prozess ist ein wichtiges Forschungsfeld der UX Research Group am Immersive Realities Research Lab der HSLU. In diesem Bereich unterstützt sie diverse Forschungsarbeiten und Projekte.
Ein Beispiel ist die Bachelor-Arbeit von Daniela Egli, einer ehemaligen Wirtschaftsinformatik-Studentin. Ihr praxisorientierter Leitfaden hilft dabei, die Potenziale von KI im UX-Design besser zu verstehen. Hier können Sie den Leitfaden_KI_UX herunterladen.
Interessant ist auch die Bachelor-Arbeit von Luisa Beroud , ebenfalls ehemalige Studentin der Wirtschaftsinformatik. Ihre Arbeit trägt den Titel «Die Integration Künstlicher Intelligenz im Human-Centered Design».
Nennen Sie bitte konkrete Beispiele, in denen KI nützlich ist.
Marcel Uhr: KI kann Prozesse beschleunigen und unsere Kreativität unterstützen, indem sie in kürzester Zeit verschiedene Varianten liefert. Nehmen wir zum Beispiel ein neues Modell für die Arbeitszeiterfassung: Eine KI kann innerhalb weniger Sekunden zahlreiche Logo-Entwürfe oder Startseiten in unterschiedlichen Stilrichtungen generieren – von klassisch bis modern. Auch im Bereich des UI-Designs (User Interface Design) schlägt KI schnell unterschiedliche visuelle Elemente vor. Aufgaben, für die früher mehrere Fachleute ein bis zwei Arbeitstage gebraucht hätten, lassen sich heute durch KI in wenigen Minuten umsetzen. Das erleichtert die Variantenbildung erheblich.
Eine gut eingesetzte KI kann einen zusätzlichen, objektiven Blickwinkel einbringen.
Ich nutze KI-Tools beim Schreiben gerne als Sparringpartner oder Buddy. Ist das im UX-Prozess auch sinnvoll?
Marcel Uhr: Ja, und das auf verschiedenen Ebenen. KI kann beispielsweise helfen, Prozesse zu objektivieren. Ein gutes Beispiel dafür sind UX-Tests: Dabei befragen wir Nutzerinnen und Nutzer, wie sie mit einem Prototyp umgehen. Ihre Antworten basieren oft auf persönlichen Erfahrungen und sind daher subjektiv. Sie sollen auch subjektiv sein. Doch Designerinnen oder Entwickler neigen manchmal dazu, solche Kritik als «zu subjektiv» abzutun – nach dem Motto: «Das siehst nur du so …». Hier kann eine gut eingesetzte KI einen zusätzlichen, objektiven Blickwinkel einbringen, indem sie als «buddy» die Tests unterstützt. Sie ergänzt die menschzentrierte Analyse durch eine datenbasierte Bewertung. Das macht den Prozess umfassender. Wir beschäftigen uns intensiv mit diesem Thema. Im Frühling 2025 wird dazu eine Bachelor-Arbeit bei uns veröffentlicht.
Wer Künstliche Intelligenz sinnvoll einsetzen und professionell würdigen will, muss sein Handwerk beherrschen.
Wo sehen Sie die Herausforderungen beim vermehrten Einsatz von KI in der UX?
Marcel Uhr: Wer KI sinnvoll einsetzen und professionell würdigen will, muss sein Handwerk beherrschen. Das ist mir in der Aus- und Weiterbildung sehr wichtig. Wir müssen fähig sein, die Vorschläge und Ergebnisse einer KI kritisch zu prüfen. Dafür braucht es fundiertes Fachwissen. Es reicht zum Beispiel nicht, dass uns eine KI im Visual Design einfach alles «schön anmalt». Wir müssen prüfen, ob die Gestaltung ästhetisch, funktional und nutzerzentriert ist. Ohne diese kritische Auseinandersetzung riskieren wir, dass KI-Lösungen oberflächlich bleiben. So werden sie den eigentlichen Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer nicht gerecht.
Lernschritte beschleunigen oder gar überspringen dank KI: Sie sehen also die Gefahr, dass grundlegendes Handwerk zu kurz kommt. Wie stellen Sie sicher, dass Studierende diese Basis dennoch beherrschen?
Marcel Uhr: Fundierte handwerkliche Kenntnisse sind heute wichtiger denn je. Nur wer sein Handwerk beherrscht, ist in der Lage, die Ergebnisse und Vorschläge einer KI kritisch zu bewerten. Ich habe UX vor über 25 Jahren von Grund auf gelernt und stelle mein Fachwissen heute gerne dem Wissen einer KI gegenüber. Wenn ich an der HSLU etwa Theorie zu User Research unterrichte, beziehe ich beispielsweise auch Tools wie ChatGPT ein. Ich frage das Tool, worauf man bei Testings achten muss, und stelle seine Antworten meinen eigenen gegenüber. Mit den Studierenden vergleiche ich die KI-Ergebnisse mit meinem Expertenwissen. So lernen sie, die Vorschläge einer KI auf einer einfachen Ebene differenziert zu beurteilen.
Was, wenn die KI bessere Antworten gibt als Sie?
Marcel Uhr: Man muss offen für Kritik sein – auch wenn diese die eigene Erfahrung stark hinterfragt. Genau darin liegt eine wertvolle Lernerfahrung für alle Beteiligten. Deshalb schätze ich die Diskussionen mit den Studierenden besonders. Wenn sie kritisch nachfragen, wird es zwar herausfordernd, aber gerade das macht es bereichernd.
Der Prototyping-Prozess startet bei mir immer ganz einfach: mit Papier und Bleistift.
Wie beurteilen Sie den Nutzen von KI im Prototyping?
Marcel Uhr: Auch hier ist es wichtig, dass wir neben Tools immer unsere eigenen Köpfe und unsere Kreativität einsetzen. Ein Beispiel: Wir nutzen Figma, ein webbasiertes Design- und Prototyping-Tool, mit dem Prototypen in Echtzeit erstellt werden können. Dank neuer KI-Funktionen in Figma lassen sich mittlerweile Designs aus einfachen Textbeschreibungen generieren. Das ist äusserst dynamisch und ermöglicht eine schnelle, sogar klickbare Visualisierung.
Aber Vorsicht! Ich sage immer: «a fool with a tool is still a fool». Im Prototyping geht es nicht primär um das Tool, sondern um die richtigen Fragestellungen: Was sind meine Hypothesen? Was möchte ich testen? Geht es um Ästhetik oder Funktionalität? Diese Fragen müssen wir beantworten – und das kann uns keine KI abnehmen. Das beibringen zu können, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit mit Studierenden.
Wo setzen Sie da im Unterricht über Prototyping an?
Marcel Uhr: Der Prototyping-Prozess startet bei mir immer ganz einfach: mit Papier und Bleistift. Die Studierenden skizzieren ihre Prototypen auf einem Block – das kann jede und jeder. Dadurch ist die Hemmschwelle sehr niedrig. Dieser Ansatz hat mehrere Vorteile: Der Prozess dauert nur fünf bis zehn Minuten, und alle setzen sich aktiv mit der Aufgabe auseinander. Wenn wir die Skizzen zusammenführen, entsteht eine Vielfalt an Varianten. Beim gemeinsamen Austausch ergeben sich oft neue Perspektiven. Das fördert nicht nur den kreativen Prozess, sondern stärkt auch das Team Building. Im Gegensatz dazu könnte ich KI-generierte Prototypen präsentieren. Diese wirken jedoch häufig wie fertige Designs. Das kann dazu führen, dass Studierende Hemmungen haben, sie kritisch zu hinterfragen oder zuzugeben, wenn sie etwas nicht verstehen.
KI kann ein grossartiger Buddy sein, aber wir brauchen auch Mut zum Eigenen, Selbstreflexion und Selbstkompetenz.
Voll analog, mit Stift und Papier: Finden Ihre jungen Studierenden Sie als «alten Hasen» da nicht etwas langweilig?
Marcel Uhr: Ich bestehe bewusst auf diesen Skizzen, selbst wenn einige Studierende bereits Figma-Erfahrung mitbringen. Es geht nicht darum, sie zu quälen, sondern sie zu ermächtigen. KI kann ein grossartiger Buddy sein, aber wir brauchen auch Mut zum Eigenen, Selbstreflexion und Selbstkompetenz.
Der analoge Ansatz fördert genau das. Durch aktive Beteiligung lernen die Studierenden, sich selbst einzubringen und ihren kreativen Prozess zu stärken. Das ist entscheidend für ihre persönliche und berufliche Weiterentwicklung.
Wie nutzen Sie KI beim Erstellen von Personas?
Marcel Uhr: Das sehe ich kritisch. KI kann schnell Personas generieren, doch ihr Wert liegt im Entwicklungsprozess. Dabei geht es darum, sich intensiv mit den Nutzenden auseinanderzusetzen und eigene Überlegungen anzustellen. Dieser kreative und reflektierende Prozess ist im UX entscheidend. Erst wenn wir eigene Personas erstellt haben, können wir die Ergebnisse einer KI sinnvoll prüfen und kritisch bewerten.
Besonders kritisch sehe ich den Einsatz von KI zur Bewertung eines Interfaces. Das ist für mich ein No-Go.
Gibt es Phasen im UX, die man besser ohne die Hilfe von KI durchläuft?
Marcel Uhr: Absolut. Man sollte zwischendurch bewusst auf KI verzichten, auch wenn sie hilfreich sein könnte. Der Einsatz von KI sollte gut geplant und gezielt eingesetzt werden. Es ist wichtig, bewusst Phasen ohne KI einzuplanen, um eigene Erkenntnisse zu entwickeln, bevor man sie durch KI validiert oder hinterfragen lässt.
So wird KI ein Werkzeug zur Reflexion, statt den kreativen Prozess vorwegzunehmen. Ein Beispiel aus unserer Arbeit: Für die Benutzerarchitektur entwickeln wir einen UX-Bot, der allen Nutzenden – auch externen – zugänglich ist. Dieser Bot lernt aus unseren Überlegungen, Beobachtungen und Notizen. Am Ende liefert er entweder eine Gegenanalyse oder eine Bestätigung unserer Annahmen.
Haben Sie rote Linien beim Einsatz von KI?
Marcel Uhr: Ja, besonders kritisch sehe ich den Einsatz von KI zur Bewertung eines Interfaces. Das ist für mich ein No-Go. Ein zentraler Grundsatz im UX ist «human-centered design» – und das bedeutet, dass Interfaces für Menschen gemacht sind und auch von Menschen beurteilt werden sollten.
Im März 2025 startet die HSLU das neue CAS User Experience Management. Es soll das erste Weiterbildungsprogramm in der Schweiz sein, das UX und KI verbindet. Sprechen Sie damit gestandene UX-Profis oder Neueinsteigerinnen und -einsteiger an?
Marcel Uhr: Das ist ein anspruchsvoller Spagat, aber wir sind überzeugt, dass alle profitieren, wenn erfahrene Profis und neue Talente zusammenarbeiten. Das neue CAS User Experience Management ist modular aufgebaut und bietet den Teilnehmenden viel Flexibilität. Sie können ihre Schwerpunkte individuell setzen – zum Beispiel mehr auf Research oder auf Design. Die Teilnehmenden definieren ihre Lernziele selbst: Wer bereits Erfahrung mit UX-Tests hat, aber noch nie eine Tagebuch-Studie durchgeführt hat, kann genau das bei uns lernen. Wir begleiten diesen Prozess mit Coaching, Lernmaterialien und – neu – durch die Unterstützung von KI. Je nach Fragestellung empfehlen wir spezifische KI-Tools und prüfen gemeinsam, wie diese strategisch und systematisch in den UX-Prozess integriert werden können. Dieses modulare und praxisnahe Konzept macht das CAS einzigartig.
Frage in die Runde: Wie nutzen Sie KI im UX-Prozess? Oder verzichten Sie lieber darauf? Schreiben Sie uns gerne unten ins Kommentarfeld.
Veröffentlicht am 17. Dezember 2024
Interview: Gabriela Bonin
Textprüfung: Dieser Text wurde von einer menschlichen Korrektorin und von zwei KI-Systemen geprüft.
Bilden Sie sich aus und weiter: Neues CAS User Experience Management ab März 2025. Die Teilnehmenden erwerben Strategien und Methoden für mehr Nutzerfokus im digitalen Marketing. Sie erhalten praxisorientierte Kenntnisse in den Bereichen User Experience Research, UX Design sowie UX Projekt- und Prozessmanagement. Für das neue CAS kooperiert das Departement Informatik mit dem Institut für Kommunikation und Marketing (IKM) des Wirtschaftsdepartements.
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Kommentare
1 Kommentare
Nina Blaettler
As an AI novice, someone who knows nothing about terms like UXand a lover of pen and paper, thank you for this insightful read Marcel.
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.