Ob Null-eins-Denken, Kreativität oder «Gschpürsch-mi»: Unser Informatik-Dozent und Nachwuchsförderer Ruedi Arnold liebt den Flow. Mit seinen Kindern, am Berg, beim Programmieren oder Gitarrespielen. Der Anti-Nerd findet, die Informatik habe ein Imageproblem, und fordert mehr Informatik-Kenntnisse für alle.
Informatikerinnen und Informatiker sind Nerds ohne Hobbys. Solche Klischees gibt es wie Sand am Meer. Ruedi Arnold will dem so nicht entsprechen. Gleich zu Beginn des Gesprächs stellt er klar: «In meiner Freizeit bin ich nicht am Gamen, Programmieren oder Lesen von Fachliteratur. Kurz: Informatik ist nicht mein Hobby.»
Ich bin Informatiker, privat habe ich andere Hobbys.
Ruedi Arnold ist seit zehn Jahren hauptamtlicher Dozent an der Hochschule Luzern – Informatik (HSLU I) und engagiert sich in der Nachwuchsförderung. Privat ist er gerne draussen oder zumindest offline: Ob beim Klettern, Snowboarden, auf Hochtouren, beim Gitarre spielen und Singen in der Siedlungsband, beim «Bräteln» mit den drei Kindern, in psychologischen Weiterbildungen, beim Organisieren von Klassentreffen oder beim Esel-Trekking in den Familien-Ferien – Arnold mag es, wenn «etwas läuft».
Mit seinen Interessen bringt er Farbe ins Departement Informatik. Etwa wenn er zum ersten Arbeitstag der Vizedirektorin ein Ständchen auf seiner Gitarre spielt, Studierende in psychologischen Themen unterrichtet, Bier-Sponsoren für den Modul-Abschluss organisiert oder mit grünen Crocks und wildem Haar am Departementsseminar präsentiert.
Wenn Arnold im «Präsentations-Modus» ist, begeistert er. Nicht selten schwappt sein Enthusiasmus dann auf das Publikum über. «Ich finde mich dann recht exhibitionistisch», sagt er und lacht.
Für Frauen- und Nachwuchsförderung
«Die Informatik hat ein Imageproblem», meint Arnold. Er ist geprägt von seiner Zeit als Verantwortlicher für die Frauenförderung an der ETH. Damals, vor fast 20 Jahren, seien die Rollenbilder festgefahrener gewesen als heute. Es sei aber immer noch ein weiter Weg bis zur Gleichberechtigung und einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung.
Deshalb setzt er sich für die gendergerechte Sprache ein. Oder betreut die Master-Arbeit einer Studentin, die beschreibt, wie wir mehr Frauen für die Informatik gewinnen. «Ich kämpfe für ein besseres Image der Informatik und für mehr Vielfalt.»
Vielleicht ist deshalb der MINT-Bereich Arnolds berufliche Leidenschaft: «Ich finde es wichtig, jungen Menschen ein realistisches Bild von der Informatik zu vermitteln.» Seit fast 20 Jahren führt er Programmierworkshops für Kinder und Jugendliche durch. «Dabei setze ich seit längerem auf die interaktive und frei verfügbare Programmiersprache Scratch.»
Mit Scratch können Kinder spielend die Grundlagen des Programmierens lernen. Sie lernen, wie Schleifen, Bedingungen oder Variablen funktionieren, ohne sich mit «echtem» Code auseinandersetzen zu müssen. In vielen Tutorials (Übungen) erarbeiten sie Schritt für Schritt die Grundlagen und nutzen das erlernte Wissen später kreativ in eigenen Programmen. Die Möglichkeiten reichen von einfachen Animationen über interaktive Geschichten bis hin zu kleinen Spielen. Dabei können die Kinder auch Musik, Bilder oder die eigene Webcam einbinden. Die fertigen Projekte lassen sich in einer Community teilen. Dort können die Kinder auch die Projekte anderer Nutzenden ausprobieren und an fremden Projektideen weiterarbeiten. Programmiert wird, indem Blöcke bzw. Bausteine mit einfachem Programmcode aneinandergereiht werden. Dadurch und durch das schrittweise Erarbeiten der Möglichkeiten ist Scratch gerade für Programmieranfängerinnen und -anfänger geeignet. Scratch funktioniert in jedem gängigen Browser wie Chrome, Firefox oder Safari. Den Ableger ScratchJr (für Kinder zwischen fünf und sieben) gibt es auch als kostenlose App.
Zwischen Psychologie und Null-eins-Denken
Dass die Informatik Zukunft hat, erkannte der 46-jährige Arnold schon im Gymnasium und verwarf deshalb das geplante Mathematik-Studium. Für seinen Beruf ist er stark intrinsisch motiviert: «Informatik ist intellektuell spannend und herausfordernd. Es reizt mich, diese auf verschiedenen Abstraktionsstufen zu durchdringen und anderen näher zu bringen. Ich kann damit einen Teil der Welt erklären.»
Informatik ist keine Magie.
Und obwohl das nicht alle so sehen: «Informatik ist keine Magie. Ein Programm oder eine App zu erstellen, hat viel mit Handwerk zu tun. Und Computer sind die Werkzeuge, die man dafür benutzt.»
Arnold hat Prinzipien. Von diesen rückt er nur selten ab. Für ihn ist klar, dass er 80 Prozent arbeitet und Zeit für seine Hobbys und die Familie haben möchte. Die Kinder sind drei, sieben und neun Jahre alt. Aktuell ist eineinhalbmal pro Woche Papitag. «Dann gibt’s immer Fischstäbchen», sagt Arnold und lacht.
Ich habe eine dreijährige Ausbildung in der Transaktionsanalyse gemacht.
In der Informatik sei vieles präzise und exakt geregelt, da gäbe es nichts zu interpretieren. «Bei Menschen hingegen gibt es viele Schattierungen.» Diese interessierten Ruedi Arnold so sehr, dass er vor ein paar Jahren eine dreijährige Weiterbildung in der Transaktionsanalyse (TA) machte.
«Ich fand es spannend, mehr darüber zu erfahren, wie Menschen funktionieren, psychologische Modelle kennenzulernen und dabei vor allem Neues über mich selbst herauszufinden.» Er darf sich nun psychosozialer Berater nennen. Das Thema interessiert ihn weiterhin sehr und er überlegt sich aktuell, sich zum lehrenden TA-ler weiterzubilden.
Seit ein paar Jahren gestaltet er im Studiengang Digital Ideation jeweils ein paar Blöcke zu TA und Kommunikationsmodellen. Und er würde zukünftig gerne ebenfalls mit anderen Menschen, auch ausserhalb der HSLU, in diese Welt eintauchen.
Dieses Wissen dient ihm auch im Job, zum Beispiel in herausfordernden Situationen mit Studierenden, Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten. Diese schätzen seine offene und konstruktive Art und seine Lust zu philosophieren und kritisch zu hinterfragen.
Ich mag es, wenn alles wie von alleine fliesst und zugleich alle Beteiligten auf eine Sache fokussieren.
Das tut Arnold auch mit den Studierenden. Etwa wenn er wieder mal «die philosophische Frage der Informatik» stellt: «Wie willst du programmieren?» Arnold gibt einen Exkurs zu Programmierparadigmen, den Grundprinzipien bei der Entwicklung von Software. Egal ob Bachelor- oder Master-Studierende: Er mag das Unterrichten am meisten, «wenn alles wie von alleine fliesst und zugleich alle Beteiligten auf eine Sache fokussieren» und am Ende das Gefühl bleibt, etwas Sinnvolles getan zu haben.
Dem Flow-Gefühl auf der Spur
Den Flow findet Arnold auch beim Klettern. «Das ist für mich ein guter Ausgleich zum kopflastigen Job, da kann ich Energie tanken. Wenn ich am Klettern bin, zählen nur die aktuellen Griffe und Tritte, die Sicherung und die nächsten Meter (oder eher Zentimeter), alles andere ist weit weg. Da kann ich im Job oder privat noch so viel Stress haben: Wenn ich am Felsen bin, blende ich das komplett aus.»
Ähnlich fokussieren kann er sich auch beim Singen oder Gitarrespielen. Oder auch beim Programmieren. «Wenn es so richtig läuft, nehme ich kaum mehr etwas anderes wahr.»
Algorithmen sind nicht nur eine rein technische Angelegenheit – sie können die Gesellschaft verändern.
Und natürlich greift das Nerd-Klischee zu kurz, gibt Arnold zu: «Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie Informatikerinnen und Informatiker mit ihrer Arbeit die Gesellschaft verändern. Man denke nur an Google, eine Internetfirma, die innert knapp 25 Jahren zum erfolgreichsten Unternehmen der Welt geworden und deren Firmenname heute ein deutsches Verb ist.»
Arnold ist es wichtig, Menschen «die Mischung aus Angst und Unsicherheit» gegenüber seinem Fachgebiet zu nehmen. Auch Nicht-Informatikerinnen und -Informatiker müssten sich aktuellen Fragen stellen. «Es gibt grosse gesellschaftliche, rechtliche und ethische Fragen, bei denen es wichtig ist, dass viele mitdenken und verstehen, worum es dabei geht.»
Zur Serie «Mitarbeitende mit Doppelleben»: Hier zeigen wir Mitarbeitende mit aussergewöhnlichen Hobbys oder Berufen.
Von Yasmin Billeter
Veröffentlicht am 15. September 2022
Engagierter MINT-Förderer:
Ruedi Arnold arbeitet seit 2012 als Informatik-Dozent an der Hochschule Luzern. Zu seinen Hauptinteressen gehören die (mobile) Software-Entwicklung und verschiedene Programmiersprachen und -paradigmen. Der dreifache Vater engagiert sich seit mehr als 15 Jahren aktiv in der Informatik-Nachwuchsförderung. Er besitzt u.a. Abschlüsse als Dipl. Informatik Ing. ETH, Dr. sc. ETH, Informatik-Didaktiker ETH, Scrum Master und als Berater SGfB.
Nachwuchsförderung: Die Hochschule Luzern – Informatik engagiert sich aktiv in der Kinder- und Jugendförderung. Unter anderem unterstützt sie die internationale Initiative «Roberta® – Lernen mit Robotern». Auch bietet sie mit Scratch-Workshops einen spielerischen Einstieg ins Programmieren.
Zum Lehren und Lernen: Master-Studiengang in Fachdidaktik Medien und Informatik
Ruedi Arnold ist Studiengangleiter des Masters in Fachdidaktik Medien und Informatik, welchen die Hochschule Luzern zusammen mit der Universität Zürich und den Pädagogischen Hochschulen Luzern und Schwyz durchführt.
Nächste MINT-Veranstaltung: Der nationale Zukunftstag bietet Kindern einen ersten Einblick in die Berufswelt.
Mehr über Informatik lernen und erfahren: Die Hochschule Luzern – Informatik bietet Bachelor- und Master-Studiengänge, anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung sowie Weiterbildungsangebote in der Informatik und Wirtschaftsinformatik auf einem Campus.
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Kommentare
1 Kommentare
Nina Blaettler
Loved reading this about my colorful colleague with green crocs. Ruedi always wears a big smile and is great fun to work with, specially on occasions when he pulls out his guitar and sings Beatles songs to welcome our new vice dean!
Danke für Ihren Kommentar, wir prüfen dies gerne.