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«Künftig wird AR/VR auch die breite Bevölkerung abholen»

«Künftig wird AR/VR auch die breite Bevölkerung abholen»
Mit leicht bedienbaren XR-Brillen in die Zukunft blicken: «Sobald man AR- oder VR-Anwendungen selbst ausprobiert, versteht man sofort, um was es geht.»

Prognosen von unseren Expertinnen und Experten: Teil 1

Von Gabriela Bonin

Was wird sich im Bereich Augmented und Virtual Reality (AR/VR) in nächster Zeit tun? Unser Experte Richard Wetzel spricht darüber, wie VR diesen Frühling auf die Luzerner Theaterbühne kommt und warum «Captain Kirk» uns virtuell ins All bringen möchte.

Das bedeuten die Begriffe: AR, VR, MR, XR

AR steht für «Augmented Reality», zu Deutsch «Erweiterte Realität»: Dank AR-Technologie können die Nutzenden ihre Realitätswahrnehmung erweitern. Dabei überlagern virtuelle Informationen und Objekte ihre reale Welt. So können Hörgeschädigte zum Beispiel in einem Theater eine AR-Brille aufsetzen, die ihnen die gesprochenen Texte schriftlich einblendet.

VR ist die Abkürzung von «Virtuelle Realität» oder auf Englisch «Virtual Reality». Die Nutzenden tauchen dabei in eine vollständig digital erstellte Umgebung ein. Diese Technologie hat sich in den letzten Jahren schnell entwickelt. Sie wird nicht nur in der Spiele- und Unterhaltungsindustrie eingesetzt, sondern auch in diversen Branchen wie Maschinenindustrie, Gesundheitswesen und Architektur. So können Teilnehmende etwa in einer virtuellen Trainingsumgebung Handgriffe auf sichere und effiziente Art und Weise üben. Oder ein Designteam erlebt ein neues Produkt in der virtuellen Betrachtung «wie in echt».

MR bedeutet «Mixed Reality» und wird sehr unterschiedlich verwendet. Aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet umfasst sie das gesamte Spektrum zwischen der physischen Welt, in der wir leben, bis hin zur vollständig virtuellen Realität. Vielfach wird darunter aber auch eine Realität verstanden, die zwischen Virtual und Augmented Reality liegt. Auch hier wird die Realität mit virtuellen Elementen überlagert, aber diese sollen so wirken, als ob sie wirklich Teil der realen Welt wären. Ein Beispiel für dieses MR-Begriffsverständnis ist beispielsweise die HoloLens von Microsoft.

In der Branche entfernt man sich jedoch immer weiter davon, AR, MR und VR separat und isoliert zu betrachten. Vielmehr sieht man sie als unterschiedliche Punkte eines Spektrums. Dies führte zu neuen Begriffsbildungen wie «XR». Dabei soll x als Variable die Gesamtheit des Spektrums ausdrücken. Weitere Bedeutungen können sein: «eXtended Reality», «Enhanced Reality», «X-Reality», «Expanded Reality» oder «Cross Reality».

Herr Wetzel, welche Entwicklung hat Sie im vergangenen Jahr überrascht?

AR- und VR-Anwendungen gelangen immer mehr ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung. Jüngstes Beispiel war William Shatners Flug ins All: Der mittlerweile 90-jährige Darsteller von Captain Kirk aus der TV-Serie «Raumschiff Enterprise» erlebte im Herbst 2021 seinen ersten echten Flug ins All. Anschliessend sagte er tief bewegt, er hoffe, dass viele Menschen einen solchen Flug in Zukunft zumindest virtuell erleben könnten.

Shatner glaubt, dass der Perspektivenwechsel, also der Blick aus dem All auf die Erde, die Menschen ehrfürchtiger macht. In der Raumfahrt wird das als Overview-Effekt bezeichnet. Um das zu erreichen, wünscht sich Shatner VR-Anwendungen, die Flüge ins All virtuell erlebbar machen. Noch weiss ich von keiner Anwendung, die das ermöglicht, aber die «Moon Shot AR» der US-Raumfahrtbehörde NASA geht ansatzweise in diese Richtung.

Sobald man AR/VR-Anwendungen ausprobiert, versteht man sofort, um was es geht.

Wie erklären Sie AR/VR so einfach wie möglich?

Mit reinem Erklären kommt man hier meist nicht weit, da es bei unseren Anwendungen auch immer um das persönliche Erlebnis geht. Sobald man AR- oder VR-Anwendungen aber selbst ausprobiert, versteht man sofort, um was es geht. Darum bieten wir im Immersive Realities Center Schulklassen und Unternehmen die Möglichkeit an, diese neuen Technologien auszuprobieren.

Es geht darum, die physische Welt mit der digitalen zu verschmelzen und daraus eine Welt zu erschaffen. Je nachdem, ob es sich um AR oder VR handelt, steht dann jeweils eine der beiden Welten stärker im Vordergrund. Bei AR ist die reale Welt spürbarer, bei VR die virtuelle.

Wann werden wir virtuelle Flüge ins All unternehmen können? Noch ist die Technik nicht so weit, aber die «Moon Shot AR» der US-Raumfahrtbehörde NASA bietet eine Ahnung davon, in welche Richtung es gehen kann.

Wer Applikationen entwickelt, sollte sie so gestalten, dass auch Laien einfach Zugang dazu finden.

Was gilt es in Ihrem Fachbereich in diesem Jahr anzupacken?

AR- und VR-Anwendungen richten sich bislang vorwiegend an erfahrene Nutzerinnen und Nutzer. Diese weisen eine hohe Technikkompetenz auf. Künftig geht es verstärkt darum, dass die Angebote auch die breite Bevölkerung abholen. Dabei sollten Designer und Entwicklerinnen die Applikationen bewusst so gestalten, dass auch Unkundige einfach Zugang dazu finden. Deren Interesse nimmt zu: Wie mein Kollege Markus Zank an dieser Stelle schon vor einem Jahr angekündigt hat, sind die Verkaufszahlen von VR-Headsets 2021 in die Höhe geschnellt.

Was nehmen Sie sich fachlich vor?

Unsere Gruppe ist seit der Gründung sehr gewachsen. 2018 sind wir mit zwei Personen gestartet. Mittlerweile sind wir 16 Teammitglieder. Nun werden wir die verschiedenen Expertisen in diversen spannenden Projekten noch stärker miteinander verknüpfen.

Im kommenden April bringt das Kleintheater Luzern Virtual Reality auf die Bühne. Dazu tragen wir bei.

Eines unserer publikumswirksamsten Projekte beschäftigt sich beispielsweise mit hybridem digitalem Theater. Wir unterstützen das Kleintheater Luzern dabei, sein Programm zu transformieren. Dazu werden verschiedene Räume des Kleintheaters virtuell nachgebildet, sodass diese auch in Virtual Reality bespielt werden können. Die Stücke werden dann in einem Festival zu Theater und Digitalität im April 2022 einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Dafür arbeiten wir mit fünf Gruppen von Kunstschaffenden, dem Kleintheater selbst und der Forschungsgruppe Visual Narrative des Departements Design & Kunst zusammen.

Bild zeigt einen leeren, virtuellen Theatersaal.
Mehr als einfach ein Theatersaal: Diese virtuelle Nachbildung der Räumlichkeiten des Kleintheaters Luzern bietet den beteiligten Kunstschaffenden eine digitale Bühne für künftige VR-Performances.

Was ist ein typisches Vorurteil gegenüber Ihrem Fachgebiet?

Gerade bei Virtual Reality stellen sich die Leute oft vor, dass wir damit alle Aktivitäten, die sich bislang in der «echten» Welt abspielten, ersetzen wollen. Dass man dann also nur noch mit virtuellen Menschen und Objekten «über so eine Brille» interagiert.

Und wie treten Sie diesem entgegen?

Indem ich darauf verweise, dass wir mit AR-VR-Anwendungen Bewährtes nicht ersetzen wollen. Bei uns steht immer die Frage im Vordergrund, wie wir diese Technologien sinnvoll und gewinnbringend einsetzen. Viele Vorhaben sind in der analogen Welt effektiver und passender beheimatet. Dort sollen sie auch bleiben. Gerade die direkte Kommunikation zwischen Personen ist ein Beispiel dafür. Diese wollen wir erhalten.

Zur Serie «Prognosen»: Expertinnen und Experten der Hochschule Luzern – Informatik geben einen Ausblick auf Entwicklungen in ihrem Fachgebiet. 

An unsere Leserinnen und Leser: Welche Prognosen machen Ihnen Freude oder Sorge? Welche Entwicklungen streben Sie im Bereich Augmented und Virtual Reality an? Schreiben Sie es unten in die Kommentarspalte!

Veröffentlicht am 3. Januar 2022

Richard Wetzel
Richard Wetzel

Unser Experte für XR:  Richard Wetzel erforscht bereits seit 2006 augmentierte und andere Realitäten. Er ist Professor an der Hochschule Luzern – Informatik und Co-Leiter des dortigen Immersive Realities Research Labs. Seinen Doktortitel hat er an der University of Nottingham erlangt. Er unterrichtet Game Design und Game Development und führt jeweils die International Summer School on Designing Serious Games durch.

Privat spielt er gerne – komplett analog – anspruchsvolle Brettspiele wie etwa Twilight Imperium, Hanabi oder Spirit Island. Er war schon als Kind gerne auf der Suche nach neuen Welten: damals noch, indem er beim Fernsehen mit Captain Kirk alias William Shatner im Raumschiff Enterprise durchs All reiste.

Bilden Sie sich weiter: Die Hochschule Luzern bietet Aus- und Weiterbildungen im Bereich XR an: So etwa den Major Augmented & Virtual Reality oder den Fachkurs Virtual & Augmented Reality.

? Besuchen Sie unsere (Online-) Info-Veranstaltungen!

Angebote für Partnerfirmen und Interessierte:  Besuchen Sie das Immersive Realities Center der Hochschule Luzern – Informatik. Es öffnet am 20. Januar 2022 seine Türen. Im Center lernen KMU neue Technologien kennen und testen Prototypen. Expertinnen und Experten beraten Unternehmen und realisieren mit ihnen zusammen XR-Projekte. Das Center bietet Forschungskompetenzen, schafft Lernumgebungen und Raum für Networking. Hier geht’s zur Anmeldung. Wir freuen uns auf Ihren Besuch! Dieses Video bietet einen Einblick.  Erleben Sie XR!

Community im Gespräch, mit «Demo» und Apéro im Immersive Realities Center in Rotkreuz. Am 9. Februar 2022 hält Markus Zank einen Vortag über «Mixed Reality in Training und Ausbildung». Anschliessend gibt es Raum für Diskussionen, eine AR-/VR-Demo und einen Apéro. Jetzt anmelden!  

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