Schon 2013 stellte eine KMU-Studie in Deutschland fest, dass mit Blick auf die zunehmende Verknappung von qualifizierten Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt, die Bindung der Mitarbeitenden an das Unternehmen für eine Mehrheit der befragten KMU oberste Priorität hat (Festinger et al. 2013). Diese Erkenntnisse gelten auch für die Schweiz.
So zeigen zum Beispiel Ergebnisse der KMU-Barometerumfragen des Kantonalen KMU- und Gewerbeverbands Luzern (KGL), dass die Bewältigung des Fachkräftemangels in den letzten Jahren zu einer der grössten und schwierigsten Herausforderungen für KMU geworden ist (Halene & Senn 2020). Fachkräftesicherung wird auch in Zukunft eine der wichtigsten Herausforderungen für Unternehmen darstellen, weil der Arbeitsmarkt gemäss Bundesamt für Statistik aufgrund der anstehenden Pensionierungswellen in den kommenden Jahren durch ein markant steigendes Arbeitskräftedefizit (mehr Personen, die aus dem Arbeitsmarkt austreten, als eintreten) gekennzeichnet sein wird (Wolf 2020).
Wenn es KMU gelingt, durch wirksame Mitarbeiterbindung ungewollte Fluktuation zu minimieren und dem Phänomen der inneren Kündigung entgegenzuwirken, sinkt ihr Rekrutierungsbedarf. Damit wird Mitarbeiterbindung zu einem entscheidenden Hebel für die Fachkräftesicherung. Da in vielen KMU keine spezialisierten Personalabteilungen existieren, sind die Vorgesetzten gefordert, diesen Hebel wirksam zu betätigen.
Dabei stellen sich ihnen drei Fragen:
Die nachfolgende Abbildung beantwortet die ersten beiden Fragen. Berthon et al. (2005) unterscheiden sechs Einflussfaktoren von Arbeitgeberattraktivität:
Die Mitarbeiterbindung ist durch drei Merkmale gekennzeichnet:
Wir konnten im Rahmen einer KMU-Befragung 2023 (n=112) feststellen, dass diese sechs Einflussfaktoren der Arbeitgeberattraktivität mit den Merkmalen der Mitarbeiterbindung korrelieren. Insgesamt erklären diese Einflussfaktoren in unserer Studie knapp 70% der Mitarbeiterbindung.
Die allgemeine Antwort lautet, dass Vorgesetzte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Mitarbeiterbindung fördern können, indem sie diese sechs Einflussfaktoren der Arbeitgeberattraktivität unterstützen und damit die Arbeitgeberattraktivität steigern.
Konkret bedeutet dies, dass…
Zu 1): Stärken und Entwicklungsfelder der Arbeitgeberattraktivität
Mit Blick auf die sechs obigen Einflussfaktoren der Arbeitgeberattraktivität können nachfolgende Leitfragen dazu dienen, die Stärken und Entwicklungsfelder der Arbeitgeberattraktivität zu erkennen:
Einflussfaktoren | Leitfragen |
Interesse: | Ist unser Unternehmen ein innovativer Arbeitgeber mit neuartigen Arbeitspraktiken und fortschrittlichem Denken? |
Anwendung: | Erhalten unsere Mitarbeitenden die Möglichkeit, das in der Vergangenheit Gelernte im Unternehmen anzuwenden? |
Beziehungen: | Haben unsere Mitarbeitenden ein gutes Verhältnis zu ihren Vorgesetzten? |
Perspektiven: | Bieten wir unseren Mitarbeitenden gute Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten? |
Mitwirkung: | Erhalten die Mitarbeitende zu ihren eingebrachten Ideen durch ihre Vorgesetzten laufend Feedback? |
Bedingungen: | Bieten wir unseren Mitarbeitenden ein attraktives Gesamtvergütungspaket? |
Aus dem Dialog zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden zu den Antworten und deren Begründungen, resultieren die unternehmensspezifischen Stärken und Entwicklungsfelder der Arbeitgeberattraktivität.
Zu 2): Massnahmen zur Förderung der Arbeitgeberattraktivität
Fust et al. (2021) beschreiben mögliche Massnahmen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität von KMU – Beispiele:
Einflussfaktoren | Massnahmen-Beispiele |
Anwendung: | Massnahmen zur Selbstorganisation von Teams (Organisation, Eigenverantwortung fördern und mehr Verantwortung übertragen). |
Beziehungen: | Regelmässiger Austausch von Führungskräften und Mitarbeitenden (inkl. Feedbacks/Coachings). |
Mitwirkung: | Mitarbeitende an der Strategieentwicklung beteiligen (z.B. mögliche Mitarbeit zur Umsetzung von strategischen Projekten; Ziele des Unternehmens auf den eigenen Bereich herunterbrechen). |
Mit Fokus auf die sechs Einflussfaktoren von Arbeitgeberattraktivität führen wir im Verlauf 2024 qualitative Fallstudien (Best Practice Interviews) in Zentralschweizer KMU durch, um weitere konkrete Massnahmen zu identifizieren, dank denen diese Einflussfaktoren wirksam beeinflusst werden können und somit die Mitarbeiterbindung gefördert werden kann. Zudem entwickeln wir momentan auf Basis dieses Reflexionstools an der Hochschule Luzern Wirtschaft ein Weiterbildungsprogramm für Führungspersonen zum Thema «Arbeitgeberattraktivität & Fachkräftesicherung».
Berthon, P., Ewing, M., & Hah, L. L. (2005). Captivating Company: Dimensions of Attractiveness in Employer Branding. International Journal of Advertising, 24(2), 151-172.
Festing, M., Schäfer, L., & Scullion, H. (2013). Talent management in medium-sized German companies: An explorative study and agenda for future research. International Journal of Human Resource Management, 24(9), 1872–1893.
Fust, A., Mahler, M., Graf A., Züger T., Bolliger N. & Brunner Ch. (2021). KMU-Leitfaden zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität. Mit effektivem Employer Branding und geeigneten Massnahmen den Fachkräftemangel angehen. In www.obt.ch. Abgerufen am 29. April 2024 von https://www.obt.ch/resources/folders/28/OBT_KMU_Arbeitgeberattraktivitaet.pdf.
Halene, V. & Senn, P. (2020). Error: Fachkraft nicht gefunden. In: Schweizer Monat. Politik und Wirtschaft. April 2020, 14-15.
Kyndt, E., Dochy, F., Michielsen, M., & Moeyaert, B. (2009). Employee Retention: Organisational and Personal Perspectives. Vocations and Learning, 2, 195-215.
McKay, P., Avery, D. R., Tonidandel, S., Morris, M. A., Hernandez, M., & Hebl, M. R. (2007). Racial Differences in Employee Retention: Are Diversity Climate Perceptions the Key? Personnel Psychology, 60, 35-62.
Wolf, G. (2020). Mitarbeiterbindung – inkl. Arbeitshilfen online: Strategie und Um-setzung im Unternehmen. Haufe Lexware Verlag.
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