17. August 2015

Bankregulierung

Ein erstes Zwischenfazit zur neuen Liquiditätskennzahl „Liquidity Coverage Ratio (LCR)“

Von Prof. Dr. Andreas Dietrich

Mit dem Regelwerk Basel III wurden zwei neue Liquiditätskennzahlen geschaffen. Zur Sicherung der kurzfristigen Liquidität die Liquidity Coverage Ratio (LCR) und für die mittel- bis langfristige Abdeckung der Liquidität die Net Stable Funding Ratio (NSFR). Die Liquidity Coverage Ratio ist seit dem 1. Januar 2015 für alle Banken in der Schweiz verpflichtend. Zeit, ein erstes Resümee in Bezug auf die LCR zu ziehen und einige Meinungen von Banken aufzuzeigen.

Aufgrund ihrer Funktion als Finanzintermediäre entsteht bei den Banken oftmals ein sogenannter Maturity Mismatch. Die eher kurzfristigen Einlagen werden von den Banken genutzt, um längerfristige Kredite an Unternehmen oder Privatpersonen zu gewähren. Dies alleine führt bereits zu einem gewissen Liquiditätsrisiko aufgrund der ungleichen Laufzeiten. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Kundeneinlagen, welche zur Kreditfinanzierung entgegen genommen werden, häufig relativ kurzfristig abgezogen werden können. Um die entsprechenden Risiken zu bemessen und zu mildern, wurde die Liquidity Coverage Ratio geschaffen. Sie dient dazu, die Widerstandskraft einer Bank gegen kurzfristige Kapitalabflüsse zu quantifizieren. Dabei werden die erwarteten Abflüsse von Liquidität (beispielsweise Rückzüge von Kundengeldern im Krisenfall) mit den erwarteten Zuflüssen an Liquidität innerhalb der nächsten 30 Tage verrechnet. Dieser Nettogeldabfluss wird anschliessend mit dem Bestand an erstklassigen liquiden Aktiva (High Quality Liquid Assets, HQLA) ins Verhältnis gesetzt. Untenstehend die Formel für die Berechnung der LCR.

Seit Beginn dieses Jahres muss eine LCR von mindestens 60% erreicht werden. Diese Ratio steigt mit jedem Jahr um weitere 10% an, bis ab 2019 das endgültige Zielergebnis von mindestens 100% zu erreichen ist. Ausgenommen hiervon sind hier die „systemrelevanten Banken“. UBS, Credit Suisse, Raiffeisen und die Zürcher Kantonalbank müssen die Zielgrösse von 100% bereits heute erzielen.
Grundsätzlich bestehen zwei Ansatzpunkte um die geforderte Zielgrösse zu erreichen: Die Erhöhung des Zählers oder die Reduzierung des Nenners. Im ersteren Falle muss die Menge der sogenannten High Quality Liquid Assets HQLA erhöht werden. Eine Bank kann aber auch durch eine Umstellung ihrer Geschäftspolitik die erwartete Höhe der Nettobarmittelabflüsse senken, was ebenso zu einem besseren LCR-Resultat führt. Dieses Vorgehen kann aber für die Volkswirtschaft potenziell negative Auswirkungen haben, da Banken gewisse Dienstleistungen möglicherweise nur noch in einem reduzierten Umfang anbieten könnten.

Was Schweizer Banken zur LCR sagen

Das Thema der LCR – auch in Bezug auf Schweizer Banken – wurde bisher von den Medien und auch in akademischen Artikeln, nur wenig aufgenommen. In seiner Masterarbeit ging daher Simon Leimgruber der Frage nach, wie Schweizer Banken mit diesen Herausforderungen umgehen. Die wichtigsten Erkenntnisse seiner anhand von neun Experteninterviews zusammengetragenen Informationen möchte ich nachfolgend kurz zusammenfassen. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, geben aber einen guten Überblick und sind ein erster Anhaltspunkt.

  • Alle untersuchten Banken erfüllen die Anforderungen der neuen Liquiditätsregulierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
  • Ausnahmslos alle Experten befürworten die schrittweise Einführung der LCR für die nicht systemrelevanten Banken.
  • Die bislang umgesetzten Massnahmen waren häufig auf die Erhöhung der HQLA ausgerichtet, um eine ausreichend hohe LCR zu erzielen. Dieser Weg war insbesondere für die kleinen Banken vergleichsweise einfach, da sie davon profitieren, ihre Giro-Gelder bei der Schweizerischen Nationalbank ohne Negativ-Verzinsung anlegen zu können. Da Nationalbankguthaben als HQLA Level 1 gezählt werden, kann man die gewünschte LCR auf diese Art vergleichsweise rasch und einfach erhöhen. Eher mittlere und grössere Banken scheinen sich bislang darauf konzentriert zu haben, ihre bestehenden Finanzreserveportfolios umzubauen. So wurden die bestehenden Investments oftmals durch HQLA-fähige Anleihen ergänzt oder ersetzt, um die notwendige LCR zu erreichen.
  • Der Mangel an HQLA in der Schweiz bei gleichzeitig hoher Nachfrage aufgrund der LCR könnte zukünftig zu weiterhin steigenden Preisen für diese Titel führen. Einerseits generieren dadurch Banken tiefere Erträge. Gleichzeitig betrifft diese neue Regulierung aber auch andere Finanzinstitute wie Versicherungen oder Pensionskassen, welche auch auf Investments in jene Titel angewiesen sind. Hierfür muss eine Lösung gefunden werden. Eine davon kann die Beantragung der Ausnahmeklausel für Staaten mit Mangel an HQLA in der landeseigenen Währung beim Basel Committee on Banking Supervision sein. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, Pfandbriefbank-Anleihen als HQLA Level 1 zu kategorisieren und nicht als HQLA Level 2a. Die derzeitige Risikoklassifizierungs-Bewertung ist für mich persönlich nur bedingt nachvollziehbar.
  • Massnahmen, welche sich aktuell in der Prüfungsphase befinden, zielen meistens darauf ab, die Nettobarmittelabflüsse zu reduzieren oder stärker zu kontrollieren. Es gibt bereits einzelne Banken, welche reine Sichtgelddeponierungen von Institutionellen Kunden nicht mehr oder nur reduziert annehmen wollen. Die Opportunitätskosten aufgrund der höheren notwendigen Unterlegung mit HQLA übersteigen den Ertrag aus derartigen Geldern oftmals. Es gilt als wahrscheinlich, dass infolgedessen zumindest die Preisgestaltung für das Kontosortiment und die restlichen Bankdienstleistungen angepasst werden. Mehrere Banken sind bereits dabei, die Liquiditätskosten, welche für ein bestimmtes Produkt aufgrund der Vorschriften der LCR und anderen Gründen entstehen, vollumfänglich an die Kunden weiterzugeben. Sollte sich ein bestimmtes Dienstleistungsprodukt oder eine Kontoart nicht mehr profitabel betreiben lassen, ist auch davon auszugehen, dass es komplett aufgegeben werden könnte. Kunden, welche ausschliesslich oder zu grossen Teilen Sichtgelder halten möchten, müssen sich an die neue Situation anpassen. Entweder sind sie bereit, einen Preis in Form einer Gebühr für die Flexibilität ihrer Gelder zu bezahlen. Andernfalls werden sie auf andere Produkte ausweichen müssen, wie beispielsweise die vielerorts neu eingeführten Konten mit 31 Tagen Rückzugsfrist im Ausgleich für bessere Zinskonditionen.
  • Die Mehrzahl der Experten gibt an, dass die LCR einen negativen Einfluss auf die Ertragslage ihrer Bank haben wird. Einerseits ist der Ertrag aus Finanzanlagen sinkend, anderseits steigen die Kosten insbesondere in den Bereichen Personal und IT. In Bezug auf den Umfang dieses Einflusses sind sich die verschiedenen Experten aber nicht einig.

Fazit

Nach der letzten Finanzkrise war die Notwendigkeit einer Liquiditäts-Regulierung auch in der Finanzbranche ziemlich unbestritten. Hinsichtlich der Gestaltung der einzelnen Parameter gab und gibt es jedoch noch immer Kritiken („zu streng“, „zu wenig definiert“, „nicht griffig genug“) und Verbesserungsvorschläge. Derartige Kritik gehört aber wohl zu einem Einführungsprozess und dient der Verbesserung der entsprechenden Kennzahl.
In den kommenden Jahren wird die erforderliche LCR bis zum Zielwert von 100% laufend ansteigen. Das gegenwärtig extrem tiefe Zinsniveau macht einen Ausbau der HQLA durch Investments in Anleihen aus finanzieller Sicht aber wenig attraktiv. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass für den Markt Schweiz wohl nicht ausreichend Anleihen mit HQLA-Qualität vorhanden sind, sollten sich sämtliche Banken bis zu einer LCR von 100% auf diese Weise eindecken wollen. Es erstaunt daher nicht, dass der Fokus verstärkt auf die Optimierung der Nettomittelflüsse gerückt ist. Es ist in den nächsten Jahren mit neuen Kontoarten, verlängerten Rückzugsfristen oder einer stark erhöhten Strafzahlung für Rückzüge ohne Einhaltung von Fristen oder Limiten zu rechnen. Das Potenzial für eine substantielle Verbesserung der LCR ist im Bereich der Nettobarmittelflüsse sicherlich hoch und dürfte die meisten Banken wohl kostengünstiger zu stehen kommen als eine hohe Reserve an HQLA. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Schweizer Banken bis 2019 die 100% LCR mehr oder weniger problemlos erreichen werden.

PS: Zusammen mit meinen Kollegen Gabrielle Wanzenried und Kurt Hess habe ich mich auch vertieft mit der Net Stable Funding Ratio (NSFR) auseinander gesetzt. Der Artikel dazu ist im Journal of Banking & Finance erschienen. Den Abstract finden Sie hier.

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