26. September 2016
Banken beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit der Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Anzahl und auch die Art der Geschäftsstellen haben wird. Als Antwort auf diese Frage wurden in den letzten Jahren einerseits verschiedene Filialen geschlossen. Auf der anderen Seite zeigen innovative Filialkonzepte, wie z.B. die virtuelle Empfangsdame der Raiffeisenbank Burgdorf oder die Videotelefonie in der BLKB-Filiale Lausen, aber auch spannende Alternativen zu Filialschliessungen auf. Ein weiteres, aus meiner Sicht sehr spannendes Filialkonzept wurde mir am vergangenen Mittwoch in Lungern OW präsentiert. Diese Filiale der Raiffeisenbank Obwalden ist komplett unbemannt, bietet aber alle Arten von Beratungsdienstleistungen mithilfe von Videoberatung an. Meine Eindrücke zum Besuch und einige strategische Überlegungen zum Konzept stehen im Zentrum des heutigen Blog-Artikels.
Die Digitalisierung bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich. Eine oftmals emotional geführte Diskussion ist in diesem Zusammenhang der Einfluss der Digitalisierung auf die zukünftige Anzahl der Geschäftsstellen. Wie beispielsweise Dr. Patrik Gisel kürzlich angekündigt hat, plant die Raiffeisen-Gruppe, die derzeit noch hohe Filialdichte von 980 Geschäftsstellen in den nächsten zwei Jahren auf 800 Standorte zu reduzieren. Gleichzeitig möchten Banken jedoch ihre physische Kundennähe nicht verlieren und einen Markt nicht einem anderen Konkurrenten vor Ort überlassen. Genau in diesem Spannungsfeld befand sich auch die Raiffeisenbank Obwalden und speziell die Filiale in Lungern. Neben der Raiffeisenbank ist nämlich auch die Obwaldner Kantonalbank vor Ort.
Über die Raiffeisenbank Obwalden und Lungern
Die Raiffeisenbank Obwalden ist im Sarneraatal präsent. Nebst dem Hauptsitz in Sachseln werden Finanzdienstleistungen auch an fünf weiteren Bankstellen in Alpnach, Giswil, Kerns, Lungern und Sarnen von derzeit 47 Mitarbeitenden erbracht. Per 30. Juni 2016 hatte die Bank eine Bilanzsumme von rund CHF 1 Milliarde.
In Lungern, einer Gemeinde mit etwas mehr als 2‘000 Einwohnern, ist die Raiffeisenbank Obwalden erst seit 2012 vor Ort.
Das Konzept der unbemannten Beraterfiliale
Bisher war die im Jahr 2012 eröffnete Filiale jeweils nur freitags geöffnet und wurde von einer Beraterin vor Ort betrieben. Neu stehen die Berater/Beraterinnen der Bank jeweils an fünf Tagen pro Woche zur Verfügung (Montag bis Freitag). Der wichtige Unterschied: Physisch wird ausser dem Besucher niemand mehr in Lungern vor Ort sein (auch nicht wie bis anhin am Freitag).
Der erste Kontakt mit dem Beraterteam findet in der 24h-Zone statt (siehe Abbildung 1).
Über ein Infodisplay kann der Kunde Kontakt zu einem Berater, respektive einer Beraterin aufnehmen. Dabei hat der Besucher die Möglichkeit, via Touchscreen zwischen einzelnen Dienstleistungsthemen auszuwählen oder direkt einen Berater nach Wunsch (Fotos sind ersichtlich) zu kontaktieren. Wie in Abbildung 2 ersichtlich ist, sieht man, welche Kundenberater derzeit verfügbar sind („farbiges Bild“) und welche nicht („schwarzweisses Bild“).
Die Kontaktaufnahme erfolgt über «Skype for Business» direkt auf dem Infodisplay. Dieser Kanal dient als „Informationsaustausch“, d.h. es werden in diesem wenig diskreten, da offenen kleinen Empfangsbereich keine kundensensiblen Daten übertragen. Wenn der Kunde eine Beratung oder Auskünfte über seine Bankprodukte (kundenspezifische, vertrauliche Daten) wünscht, öffnet der Kundenberater elektronisch über seinen Monitor die Tür in den diskreten Beratungsraum in Lungern. Dort findet dann die eigentliche Kundenberatung ebenfalls via Skype statt (siehe Abbildung 3). Der Kundenberater „erwartet“ den Kunden hier bereits auf dem Screen, wenn er durch die Türe tritt. In diesem werden alle Dienstleistungsangebote der Bank angeboten. Der Kundenberater hat die Möglichkeit, die Ansicht seines Bildschirms nach Lungern an den Beratungsplatz zu projizieren (bzw. zu „sharen“). Der Berater kann den Kunden auch aktiv beim Ausfüllen von Formularen und Anträgen unterstützen und das fertig ausgefüllte Formular auf den Drucker im Beratungsraum ausdrucken. Der Kunde muss dann das Formular unterzeichnen und auf den automatischen Einzug des Multifunktionsdruckers auflegen. Das Scannen erfolgt ferngesteuert durch den Berater. Es gibt hier also trotz der physischen Distanz keinen eigentlichen Medienbruch. Bei Bedarf ist es ebenso möglich, weitere Spezialisten in einem Gespräch dazuzuschalten.
Effizient ist dabei aus meiner Sicht, dass der Kundenberater mit dem Besucher von seinem bestehenden Arbeitsplatz aus kommuniziert (z.B. in Sachseln, Alpnach, Kerns oder Sarnen). Es ist also nicht – wie zum Beispiel in der Geschäftsstelle der Raiffeisenbank in Alchenflüh – ein separater, aufwändig gestalteter Arbeitsplatz geschaffen worden. Viel eher sitzen die Kundenberater weiterhin an ihrem normalen Arbeitsplatz.
Die Öffnungszeiten sind – wie bei den anderen Filialen dieser Bank – von jeweils 08:30- 12:00 Uhr und von 14:00-17:00 Uhr. Nach Vereinbarung kann aber auch eine Beratung ausserhalb dieser Öffnungszeiten erfolgen. Man hätte vielleicht für eine solche digitale Filiale etwas kundenfreundlichere Öffnungs-, resp. Präsenzzeiten erwarten können. Gleichzeitig werden die Besuchsfrequenzen in dieser kleinen Gemeinde aber wohl so tief sein, dass sich das gar nicht lohnen würde. Sollte aber ein Kundenbedürfnis bestehen, würde man gemäss Bankleiter Oliver Britschgi eine Verlängerung der Öffnungszeiten prüfen.
Das Marketing bzw. die Bekanntmachung des neuen Konzepts ist in einem so kleinen Marktgebiet eher einfach. Das Ziel ist es schlussendlich, das Konzept den rund 2‘000 Einwohnern zu erklären und damit das Zielpublikum abzuholen. Ebenso wird man versuchen, über die lokalen Schulklassen das Konzept zu erläutern, um damit auch Mund-zu-Mund-Propaganda auszulösen.
Fazit
Die vorgestellte Filiale der Raiffeisenbank Obwalden in Lungern verfügt zusammengefasst über die folgenden zentralen Elemente:
Die entscheidende Frage ist nun, ob die Kunden die Hemmschwelle einer rein digitalen Filiale überwinden und eine Beratung in einem (ausser einem Bildschirm) leeren Büro akzeptieren. Auf Seiten der Bank hat man meines Erachtens das Ganze gut, sprich einfach und kundenfreundlich, aufgesetzt. Positiv ist dabei zum Beispiel, dass man im Bereich des Infodisplays nach zwei Klicks bereits mit einem Berater sprechen kann.
Das Modell der Raiffeisenbank Obwalden in Lungern ist aus meiner Sicht ein spannendes und möglicherweise auch wichtiges Projekt für die Entwicklung von Kleinstfilialen hierzulande. Funktioniert das Konzept, werden möglicherweise auch andere Schliessungen von Kleinstfilialen noch einmal kritisch hinterfragt. Das vorgestellte Projekt wurde dabei ziemlich schlank umgesetzt. Einerseits wurden keine neuen Arbeitsplätze spezifisch für dieses Projekt geschaffen. Andererseits war es auch sonst nicht sonderlich teuer, da man viel auf Bestehendem aufgebaut hat. Die Kundenberaterin, welche bis anhin jeweils am Freitag vor Ort in Lungern auf Kunden „gewartet“ hat, ist zudem am Hauptsitz möglicherweise ebenfalls besser ausgelastet als zuvor.
Entsprechend lohnt es sich möglicherweise nicht nur für die Raiffeisenbank, sondern auch für andere Banken, den Erfolg und die Entwicklung dieser Filiale genauer zu verfolgen. Auch ich werde versuchen, in einem Jahr ein erstes Zwischenfazit bei der Bank abzuholen.
PS: Dr. Patrik Gisel, CEO von Raiffeisen Schweiz wird – neben weiteren hochkarätigen Rednern – an der diesjährigen Retail Banking Konferenz im November ein sicherlich sehr spannendes Referat halten. Hier finden Sie weitere Informationen.
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