8. Juni 2020

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Videoberatung bei Finanzinstituten während und «nach» Corona: Entwicklungen bei Helvetia Versicherungen, der Basler Kantonalbank und der Bank Cler

Von Prof. Dr. Andreas Dietrich

Videotelefonate sind in der Schweiz bereits ziemlich verbreitet. Rund 29 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer führen gemäss einer Umfrage von Moneyland (in unterschiedlicher Häufigkeit) Video-Telefonate. Hingegen werden Videoberatungen bei Finanzinstituten noch immer selten eingesetzt. Durch die Covid-19-Krise haben aber einige Institute erkannt, dass ein solches Angebot in verschiedener Hinsicht sinnvoll sein kann. Im heutigen Blog zeige ich anhand von Helvetia Versicherungen sowie der Basler Kantonalbank und der Bank Cler auf, welche Erfahrungen mit der Videoberatung bislang gemacht wurden und welche Kunden dies nutzen.

Die Technologie, zusätzlich zu reiner Sprache auch Videobilder zu übertragen, ist nahezu so alt wie das Fernsehen. Die Videotelefonie wurde aber erst mit der zunehmenden Geschwindigkeit des Internets und den günstigen Kameras in Laptops, Smartphones und Tablets für jedermann und auf verschiedenen Geräten verfügbar. Obwohl die technische Infrastruktur zur Verfügung steht, hat sich die Videoberatung im Schweizer Finanzsektor noch nicht durchsetzen können.

Anwendungsfälle und Beispiele aus der Schweiz

Gleichwohl wird die Videotelefonie heute bei Banken und Versicherungen für verschiedene Anwendungsfälle verwendet. Unter anderem kommt sie für die folgenden Fälle zum Einsatz:

  • Zuschaltung eines Experten im Beratungsgespräch: Gerade in kleineren Filialen sind oft nur „generalistische“ Kundenberater anwesend. Hat ein Kunde einen spezifischen Beratungsbedarf, zum Beispiel zu Vorsorgelösungen, so kann ein Spezialist (per Video) eingeladen werden. In der Schweiz bietet dies beispielsweise die Basler Kantonalbank an (vgl. Blog vom 19.09.2016).
  • Co-Browsing auf der Webseite / im e-Banking. Dieser Fall wird von verschiedenen Call-Center von Banken angeboten, beispielsweise um dem Kunden etwas zu zeigen.
  • Videoterminal in der Selbstbedienungs-Zone: Bei diesem Anwendungsfall wird in der Lobby oder in der Selbstbedienungs-Zone einer Filiale ein Videoterminal installiert. Darüber können Kundinnen und Kunden per Video mit dem Callcenter sprechen. Gerade in Filialen, die nur noch halbtags oder gar nicht mehr besetzt sind, kann auf diese Weise dem Kunden eine Kontaktmöglichkeit gegeben werden.
  • Videoidentifikations-Verfahren: Dieser Anwendungsfall ist technisch auf allen Kanälen einsetzbar und ermöglicht die rechtskonforme Identifikation des Kunden als Ersatz für eine Kundenunterschrift (bzw. deren Beglaubigung).

Interessiert hat mich für diesen Blog aber vor allem die Videoberatung von Kundenberaterinnen und Kundenberatern zu komplexeren Beratungsthemen. Auch für anspruchsvollere Beratungen eignet sich die Videoberatung. Der Vorteil für den Kunden ist, dass er sich den Weg zur Filiale spart und möglicherweise auch von erweiterten „Öffnungszeiten“ profitieren kann. In der technischen Umsetzung ist wichtig, dass der Kunde nicht zusätzliche Software installieren muss. Die Funktionalität der Videoberatung darf also lediglich einen Mausklick entfernt sein. Die Covid-19-Krise bot eine Chance, dies vermehrt einzusetzen.

Die Entwicklung der Videoberatung bei Helvetia Versicherungen

Helvetia Versicherungen ist eines der ersten Finanzinstitute, welches Videoberatung mit Hilfe eines Kollaborations-Tools einsetzt und sämtliche Kundenberaterinnen und -berater diesbezüglich bereits geschult hat. Die Berater müssen für die Videotelefonie speziell geschult werden, weil die Kunden neben der Stimme auch das Aussehen, die Mimik und die Umgebung der Beraterinnen und Berater wahrnehmen. Somit sind die Ansprüche an die Kommunikation und Erscheinung sehr hoch. Allein schon die Position der Kamera im Verhältnis zum Bildschirm des Beraters kann dazu führen, dass der Kundenberater dem Kunden nicht direkt in die Augen schaut (weil er beispielsweise immer wieder zur Seite in seinen Bildschirm schauen muss). Dies kann auf Kundinnen und Kunden irritierend wirken. Weiterhin ist der technische Umgang mit der Lösung ein sehr grosser Teil der Schulung – ohne Beherrschung der Technik kann das Gespräch nicht adäquat funktionieren. Neben der Schulung scheint aber natürlich auch die regelmässige Nutzung dieses Kanals wichtig zu sein, um die Qualität der Beratungsform zu erhöhen.

Ende Februar hat Helvetia Versicherungen die Videoberatungs-Lösung von unblu eingeführt. Die Lancierung dieser Lösung war ursprünglich schrittweise geplant, wurde aber aufgrund von Covid-19 beschleunigt. Schliesslich wurde die Software innerhalb von drei Wochen komplett eingeführt. Wichtig für das Versicherungsunternehmen ist bei dieser Lösung auch der Kollaborations-Aspekt –  also die Möglichkeit, Dokumente oder Bilder zu teilen oder das Geschäft gleich über die Plattform abzuschliessen. Lizenzen wurden an diejenigen Kundenberaterinnen und -berater erteilt, welche nach der Ausbildung bestätigten, dass sie das Tool in der Beratung einsetzen möchten. Derzeit nutzen 570 Mitarbeiter die Software. In den ersten elf Wochen seit der Lancierung des Tools wurden mit knapp 1’100 Personen Beratungsgespräche per Video geführt. Wenn man davon ausgeht, dass Kundenberater im Schnitt rund sieben bis acht Gespräche pro Woche führen, lässt sich berechnen, dass in dieser Zeitspanne rund 4 bis 6 Prozent der Gespräche über Video geführt wurden. Dabei waren die meisten Videoberatungen zum Thema «Nicht-Leben». Beratungsgespräche zum Thema Lebensversicherungen wurden bislang nur sehr selten über Video getätigt.
Interessant ist die jeweilige Nutzung pro Woche. Wie in Abbildung 1 ersichtlich wird, hat der Lockdown zu einem ziemlich starken Anstieg in der Nutzung der Videoberatungs-Lösung geführt. Nachdem die Massnahmen wieder etwas gelockert wurden, ging hingegen die Anzahl an Videoberatungen wieder schnell und stark zurück. Es scheint, dass die Kundenberater so rasch wie möglich wieder persönlich zu den Kunden gingen.

Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl Videoberatungen pro Woche bei Helvetia Versicherungen

Eine wichtige Erkenntnis der Mitarbeitenden von Helvetia Versicherungen in dieser ersten Phase der Videoberatung war, dass Gespräche über Video in der Regel kürzer dauern als persönliche Gespräche. Zudem entfällt die Reisezeit. Gerade für einfache Gespräche (z.B. Verlängerungen oder Anpassungen von bestehenden Verträgen) mit persönlichem Kontaktwunsch von Seiten des Kunden, könnte also eine Videoberatung ein effizienter Weg in der Beratung sein.
Der Einsatz von Videoberatung hat für Helvetia Versicherungen durchaus eine strategische Bedeutung im Vertrieb. So soll unter anderem eine Anbindung an das CRM-System folgen, damit Gespräche hinterlegt werden können.

So verläuft die Nutzung bei der Basler Kantonalbank und der Bank Cler

Auch die Basler Kantonalbank (BKB) und die Bank Cler führen seit Anfang April 2020 Videoberatungs-Gespräche durch. Erste Auswertungen von einer rund dreistelligen Beratungsanzahl zeigen die folgenden Merkmale der Kunden:

  • Männliche Kunden beanspruchen die Möglichkeit der Videoberatung stärker als Frauen. Bei der Bank Cler fanden rund 60 Prozent der Videoberatungs-Gespräche bislang mit Männern statt, derweil 4 von 10 Beratungsgespräche über Video mit Frauen durchgeführt wurden. Bei der BKB ist das Verhältnis von 58:42 zu «Gunsten» der Männer sehr ähnlich.
  • Nach Segment wird ersichtlich, dass bei der Bank Cler Beratungsgespräche mit Privatkunden aus dem Affluent-Bereich (69%) vor Gesprächen mit Retailbanking-Kunden (26%) mit Abstand am Wichtigsten waren. Geschäftskunden hatten einen Anteil von 3% an den entsprechenden Anrufen. Bei der BKB beträgt der Anteil an Firmenkunden-Gesprächen über Video im Verhältnis zu der Gesamtzahl an Video-Beratungen in den ersten zwei Monaten 6 Prozent. Videogespräche mit Affluent Kunden sind auch bei der BKB relativ gesehen am häufigsten (41%).
  • In Bezug auf das Alter fällt bei der Analyse der Anzahl Gespräche im Verhältnis zur Kundenpopulation auf, dass vor allem jüngere Kunden (unter 40 Jahre) überproportional oft Videoberatung nutzen. Auch Kunden zwischen 40 und 50 Jahren sind in Bezug auf die Anzahl Videoberatungen im Verhältnis zur Gesamtkundenzahl noch etwas übervertreten. Im Gegensatz dazu fanden zwar etwas mehr als 20 Prozent der Videoberatungen mit Kunden über 60 Jahre statt. Der Anteil dieser Kunden an der Gesamtpopulation an Beratungskunden ist aber deutlich höher.

Fazit

Bei den Schweizer Banken und Versicherungen ist der Kanal Videotelefonie heute noch immer eher eine Seltenheit. Durch die Corona-Krise und auch die unsicheren Aussichten in Bezug auf den weiteren Verlauf der Pandemie sind Finanzinstitute aber fast «gezwungen», sich intensiver mit den Möglichkeiten der Videoberatung (und im weiteren Sinne von «Kollaborations-Plattformen») auseinanderzusetzen.
Die obigen Analysen zeigen, dass der persönliche Kontakt nach wie vor im Fokus bei komplexeren Beratungsgesprächen steht. Es ist auch nachvollziehbar, dass sich Kundenberater nach den Lockerungen der Massnahmen gegen die Pandemie wieder auf persönliche physische Kundenkontakte freuen und die Anzahl der Videoberatungen stark nachgelassen hat. Gleichwohl scheint es sinnvoll, sich nicht möglichst rasch wieder in die «Vor-Corona»-Welt zu bewegen, sondern die gemachten Erfahrungen auch strategisch besser zu nutzen (z.B. welche Gespräche machen über Videoberatung Sinn? Welche Kundengruppen können damit angesprochen werden?).
Obwohl gewisse Vorteile auf der Hand liegen, wird der Kanal der Videoberatung andere Kanäle zumindest kurz- bis mittelfristig nicht ersetzen. Die Gewohnheiten von Kunden und Kundenberatern ändern sich nicht so schnell, wie man das vielleicht erwarten könnte. Das Thema Videoberatung muss entsprechend – wie auch andere Digitalisierungsvorhaben – als ein Marathon und nicht ein Sprint betrachtet werden.

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